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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Bedenken über die Sprachverbesserung

Aufsätze! Grundfalsch aber wäre es wieder, wenn man den Forderungen
einiger Schnlverbesserer nachkommen und wöchentlich mehrere Stunden für
Lektüre ansetzen wollte. Denn erstens ist das Lesen in der Muttersprache
auch keine oder fast keine Arbeit, in der Schule aber soll gearbeitet werden.
Zweitens soll in der Schule nichts betrieben werden, was die Schüler für
sich allein ebenso gut machen können. Das Lesen in der Schule darf daher
mir Anleitung zum häuslichen Lesen sein, nicht dieses ersetzen. Den ohnehin
so entsetzlich eng gezogenen Spielraum und karg zugemessenen Stoff für selb¬
ständige und freiwillige Thätigkeit den Schülern noch mehr beschränken wäre
beinahe ein Verbrechen. Was das Schreiben anlangt, so wird jetzt in den
Unterklassen des Gymnasiums die kostbare Zeit, die für Aufsätze verwandt
werden könnte, mit orthographischen Übungen vertrödelt. Das ist aus zwei
Ursache" Unsinn. Einmal, weil die Rechtschreibung gelegentlich beim Schreiben
gelernt werden kaun und früher immer so gelernt worden ist. Sodann, weil
wir zur Zeit in Deutschland gar keine Orthographie haben, die zu lernen
sich verlohnte. Kriege der junge Mann ein Reichsamt oder eine Anstellung
bei der "Schlesischen Zeitung," so muß er den kleinen Puttkamer wieder
verlernen, der ihm mit einem Zeitaufwande von hundert und mehr Stunden
eingMänt worden ist.

Mit den Verteidigern des humanistischen Gymnasiums bin ich der Ansicht,
daß das Erlernen fremder Sprachen, namentlich der beiden alten, in hohem
Grade der Muttersprache zu gute kommt; nicht allein weil der Schüler dabei
einen Begriff von Grammatik bekommt, ohne durch Zerfaseruug seiner Mutter¬
sprache in deren Gebrauch unsicher zu werden, und weil er auf das logische
Verhältnis der Satzglieder und Sätze zu einander achten lernt, sondern anch
weil das schriftliche und mündliche Übersetzen in die Muttersprache eine der
vortrefflichsten Sprachübuugeu ist. Ein andrer Mitarbeiter der Grenzboten
hat das in Abrede gestellt. Er meint, übersetzen sei nicht eine Schülerübung,
sondern eine Kraftprobe, weil eine gute Übersetzung zu deu allerschwierigsten
Leistungen gehöre. Aber das vollkommen Gute ist in jeder Art von Aufsätzen
das schwierigste. Einen Bericht über durchgegangene Pferde fürs Stadtblättel
so abzufassen, daß er weder aus lauter stereotype" Redensarten besteht, noch
mit seinen gesuchten neuen Wendungen läppisch ausfüllt, ist weit schwieriger
als eine Übersetzung aus Platon. Vom Schüler verlangt man eben nicht das
absolut Beste, sondern das Beste, was er auf seinem Standpunkte leisten kann.
Schon der Quintaner vermag dem Geiste der deutschen Sprache so weit gerecht
0" werde", daß er nicht "Cäsar, nachdem er," sondern "nachdem Cäsar" übersetzt.

Die Hauptsache wäre, daß der gesamte Schulunterricht ein Unterricht im
Deutschen würde, d. h. daß die Lehrer aller Fächer gut sprächen und schrieben
und ihren Schülern keinen Fehler im Deutschsprechen und -schreiben durch¬
gehen ließen. In diese", Falle bliebe den, deutschen Sprachunterricht außer


Grenzboten I 1890 M
Bedenken über die Sprachverbesserung

Aufsätze! Grundfalsch aber wäre es wieder, wenn man den Forderungen
einiger Schnlverbesserer nachkommen und wöchentlich mehrere Stunden für
Lektüre ansetzen wollte. Denn erstens ist das Lesen in der Muttersprache
auch keine oder fast keine Arbeit, in der Schule aber soll gearbeitet werden.
Zweitens soll in der Schule nichts betrieben werden, was die Schüler für
sich allein ebenso gut machen können. Das Lesen in der Schule darf daher
mir Anleitung zum häuslichen Lesen sein, nicht dieses ersetzen. Den ohnehin
so entsetzlich eng gezogenen Spielraum und karg zugemessenen Stoff für selb¬
ständige und freiwillige Thätigkeit den Schülern noch mehr beschränken wäre
beinahe ein Verbrechen. Was das Schreiben anlangt, so wird jetzt in den
Unterklassen des Gymnasiums die kostbare Zeit, die für Aufsätze verwandt
werden könnte, mit orthographischen Übungen vertrödelt. Das ist aus zwei
Ursache» Unsinn. Einmal, weil die Rechtschreibung gelegentlich beim Schreiben
gelernt werden kaun und früher immer so gelernt worden ist. Sodann, weil
wir zur Zeit in Deutschland gar keine Orthographie haben, die zu lernen
sich verlohnte. Kriege der junge Mann ein Reichsamt oder eine Anstellung
bei der „Schlesischen Zeitung," so muß er den kleinen Puttkamer wieder
verlernen, der ihm mit einem Zeitaufwande von hundert und mehr Stunden
eingMänt worden ist.

Mit den Verteidigern des humanistischen Gymnasiums bin ich der Ansicht,
daß das Erlernen fremder Sprachen, namentlich der beiden alten, in hohem
Grade der Muttersprache zu gute kommt; nicht allein weil der Schüler dabei
einen Begriff von Grammatik bekommt, ohne durch Zerfaseruug seiner Mutter¬
sprache in deren Gebrauch unsicher zu werden, und weil er auf das logische
Verhältnis der Satzglieder und Sätze zu einander achten lernt, sondern anch
weil das schriftliche und mündliche Übersetzen in die Muttersprache eine der
vortrefflichsten Sprachübuugeu ist. Ein andrer Mitarbeiter der Grenzboten
hat das in Abrede gestellt. Er meint, übersetzen sei nicht eine Schülerübung,
sondern eine Kraftprobe, weil eine gute Übersetzung zu deu allerschwierigsten
Leistungen gehöre. Aber das vollkommen Gute ist in jeder Art von Aufsätzen
das schwierigste. Einen Bericht über durchgegangene Pferde fürs Stadtblättel
so abzufassen, daß er weder aus lauter stereotype» Redensarten besteht, noch
mit seinen gesuchten neuen Wendungen läppisch ausfüllt, ist weit schwieriger
als eine Übersetzung aus Platon. Vom Schüler verlangt man eben nicht das
absolut Beste, sondern das Beste, was er auf seinem Standpunkte leisten kann.
Schon der Quintaner vermag dem Geiste der deutschen Sprache so weit gerecht
0» werde», daß er nicht „Cäsar, nachdem er," sondern „nachdem Cäsar" übersetzt.

Die Hauptsache wäre, daß der gesamte Schulunterricht ein Unterricht im
Deutschen würde, d. h. daß die Lehrer aller Fächer gut sprächen und schrieben
und ihren Schülern keinen Fehler im Deutschsprechen und -schreiben durch¬
gehen ließen. In diese», Falle bliebe den, deutschen Sprachunterricht außer


Grenzboten I 1890 M
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[0289] Bedenken über die Sprachverbesserung Aufsätze! Grundfalsch aber wäre es wieder, wenn man den Forderungen einiger Schnlverbesserer nachkommen und wöchentlich mehrere Stunden für Lektüre ansetzen wollte. Denn erstens ist das Lesen in der Muttersprache auch keine oder fast keine Arbeit, in der Schule aber soll gearbeitet werden. Zweitens soll in der Schule nichts betrieben werden, was die Schüler für sich allein ebenso gut machen können. Das Lesen in der Schule darf daher mir Anleitung zum häuslichen Lesen sein, nicht dieses ersetzen. Den ohnehin so entsetzlich eng gezogenen Spielraum und karg zugemessenen Stoff für selb¬ ständige und freiwillige Thätigkeit den Schülern noch mehr beschränken wäre beinahe ein Verbrechen. Was das Schreiben anlangt, so wird jetzt in den Unterklassen des Gymnasiums die kostbare Zeit, die für Aufsätze verwandt werden könnte, mit orthographischen Übungen vertrödelt. Das ist aus zwei Ursache» Unsinn. Einmal, weil die Rechtschreibung gelegentlich beim Schreiben gelernt werden kaun und früher immer so gelernt worden ist. Sodann, weil wir zur Zeit in Deutschland gar keine Orthographie haben, die zu lernen sich verlohnte. Kriege der junge Mann ein Reichsamt oder eine Anstellung bei der „Schlesischen Zeitung," so muß er den kleinen Puttkamer wieder verlernen, der ihm mit einem Zeitaufwande von hundert und mehr Stunden eingMänt worden ist. Mit den Verteidigern des humanistischen Gymnasiums bin ich der Ansicht, daß das Erlernen fremder Sprachen, namentlich der beiden alten, in hohem Grade der Muttersprache zu gute kommt; nicht allein weil der Schüler dabei einen Begriff von Grammatik bekommt, ohne durch Zerfaseruug seiner Mutter¬ sprache in deren Gebrauch unsicher zu werden, und weil er auf das logische Verhältnis der Satzglieder und Sätze zu einander achten lernt, sondern anch weil das schriftliche und mündliche Übersetzen in die Muttersprache eine der vortrefflichsten Sprachübuugeu ist. Ein andrer Mitarbeiter der Grenzboten hat das in Abrede gestellt. Er meint, übersetzen sei nicht eine Schülerübung, sondern eine Kraftprobe, weil eine gute Übersetzung zu deu allerschwierigsten Leistungen gehöre. Aber das vollkommen Gute ist in jeder Art von Aufsätzen das schwierigste. Einen Bericht über durchgegangene Pferde fürs Stadtblättel so abzufassen, daß er weder aus lauter stereotype» Redensarten besteht, noch mit seinen gesuchten neuen Wendungen läppisch ausfüllt, ist weit schwieriger als eine Übersetzung aus Platon. Vom Schüler verlangt man eben nicht das absolut Beste, sondern das Beste, was er auf seinem Standpunkte leisten kann. Schon der Quintaner vermag dem Geiste der deutschen Sprache so weit gerecht 0» werde», daß er nicht „Cäsar, nachdem er," sondern „nachdem Cäsar" übersetzt. Die Hauptsache wäre, daß der gesamte Schulunterricht ein Unterricht im Deutschen würde, d. h. daß die Lehrer aller Fächer gut sprächen und schrieben und ihren Schülern keinen Fehler im Deutschsprechen und -schreiben durch¬ gehen ließen. In diese», Falle bliebe den, deutschen Sprachunterricht außer Grenzboten I 1890 M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/289>, abgerufen am 01.07.2024.