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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Bedenken über die Sprachvcrbessernng

fngung nicht genau und genire°^) dich nicht, aus der Konstruktion z" fallen.
Was macht in Frau Ajas und des Apostel Paulus Briefen den Eindruck des
Ungekünstelten, Wahren, Herzlichen, Lebendigen? Daß sie oft aus der Kon¬
struktion fallen, d. h. jeder augenblicklichen Eingebung zuliebe ohne Scheu
die Regeln des Satzbaues verletzen. Darf der Lehrer den Schüler so schreiben
lassen? New! Was folgt daraus? Daß der junge Mensch von dem Augen¬
blicke an, wo er das Papier zur Hand nimmt, papieren zu schreiben gezwungen
ist. Die Abweichung vom Gesprocheneu würde indes immer noch in mäßigen
Grenzen bleiben, wenn sich das Schreiben auf das Aufzeichnen von Gedichten,
Geschichten und Mitteilungen beschränkte, die ursprünglich gesprochen oder ge¬
sungen wurden oder doch ebensogut gesprochen oder gesungen als geschrieben
werden könnten. Allein mit fortschreitender Bildung und als verwickelte Ver¬
hältnisse entstanden, ergab sich mancherlei Gelegenheit und sogar häusig die
Notwendigkeit, Dinge zu schreiben, die nur gelesen, nicht gesprochen zu werden
bestimmt sind. Die Ilins und die Odyssee wurden gesprochen und gesungen;
man zeichnete sie später auf, nicht damit sie gelesen, sondern damit sie nicht
vergessen würden. Wolfram von Eschenbach konnte weder lesen noch schreiben;
er diktirte sein ungeheures Epos. Horaz dagegen drechselte seine Strophen
für Leser, die den Schlangenwindungen des allerlei Einschiebungen umklam¬
mernden Hauptsatzes mit dem Auge folgen. Herodot las seine Geschichten vor,
und wie schön mögen sie sich angehört haben! Thukydides schrieb für Lesende,
die den Satz, den sie beim ersten Durchlesen nicht verstanden haben, zwei- oder
dreimal lesen tonnen. Plato philosophirte noch gesprächsweise; Aristoteles (ich
kenne ihn, aufrichtig gestanden, nur aus zweiter und dritter Hand) schrieb als
Buchgelehrter natürlicherweise schwerfälliger und ist darum schwieriger zu lese".
Der Volksdichter, der Ehrvnist, der echte Volksredner reiht Bild an Bild,
daher Satz an Satz; der Denker türmt einen Gedankenbau auf, und bringt er
diesen zu Papiere, so entsteht eine Periode. Der Periodenbau ist nicht, wie
die Feinde der alten Sprachen behaupten, eine Eigentümlichkeit des Griechische"
und Lateinischen, obwohl diese Sprachen besonders geschickt dafür sind, sondern
ein notwendiges Erzeugnis des verwickelten Gedankenbanes und der verwickelten
Verhältnisse einer höhern Kultur. Auch der verwickelte" Verhältnisse! Weins
Vergnügen macht, diesem Zusammenhange nachzuspüren, dem empfehle ich das
Studium des Brauntweinstenergesetzes oder des Gesetzes über die Jnvaliditnts-
und Altersversicherung. Ich komme später noch einmal aus diesen Punkt
zurück. Und nun denke man sich die tausend und aber tausend Männer und
leider auch Frauen und Jungfräulein, die in Schreibstuben sitzen, von früh
bis abends sitzen und schwitze" und Zeug zusammenkritzel" -- Berichte, Gesetz-



Ei" nnnbersetz- und unersetzbares Fremdwort, nur sollte man es "scheniren
schreiben, ebenso Schmidarm u. s. w.
Bedenken über die Sprachvcrbessernng

fngung nicht genau und genire°^) dich nicht, aus der Konstruktion z» fallen.
Was macht in Frau Ajas und des Apostel Paulus Briefen den Eindruck des
Ungekünstelten, Wahren, Herzlichen, Lebendigen? Daß sie oft aus der Kon¬
struktion fallen, d. h. jeder augenblicklichen Eingebung zuliebe ohne Scheu
die Regeln des Satzbaues verletzen. Darf der Lehrer den Schüler so schreiben
lassen? New! Was folgt daraus? Daß der junge Mensch von dem Augen¬
blicke an, wo er das Papier zur Hand nimmt, papieren zu schreiben gezwungen
ist. Die Abweichung vom Gesprocheneu würde indes immer noch in mäßigen
Grenzen bleiben, wenn sich das Schreiben auf das Aufzeichnen von Gedichten,
Geschichten und Mitteilungen beschränkte, die ursprünglich gesprochen oder ge¬
sungen wurden oder doch ebensogut gesprochen oder gesungen als geschrieben
werden könnten. Allein mit fortschreitender Bildung und als verwickelte Ver¬
hältnisse entstanden, ergab sich mancherlei Gelegenheit und sogar häusig die
Notwendigkeit, Dinge zu schreiben, die nur gelesen, nicht gesprochen zu werden
bestimmt sind. Die Ilins und die Odyssee wurden gesprochen und gesungen;
man zeichnete sie später auf, nicht damit sie gelesen, sondern damit sie nicht
vergessen würden. Wolfram von Eschenbach konnte weder lesen noch schreiben;
er diktirte sein ungeheures Epos. Horaz dagegen drechselte seine Strophen
für Leser, die den Schlangenwindungen des allerlei Einschiebungen umklam¬
mernden Hauptsatzes mit dem Auge folgen. Herodot las seine Geschichten vor,
und wie schön mögen sie sich angehört haben! Thukydides schrieb für Lesende,
die den Satz, den sie beim ersten Durchlesen nicht verstanden haben, zwei- oder
dreimal lesen tonnen. Plato philosophirte noch gesprächsweise; Aristoteles (ich
kenne ihn, aufrichtig gestanden, nur aus zweiter und dritter Hand) schrieb als
Buchgelehrter natürlicherweise schwerfälliger und ist darum schwieriger zu lese».
Der Volksdichter, der Ehrvnist, der echte Volksredner reiht Bild an Bild,
daher Satz an Satz; der Denker türmt einen Gedankenbau auf, und bringt er
diesen zu Papiere, so entsteht eine Periode. Der Periodenbau ist nicht, wie
die Feinde der alten Sprachen behaupten, eine Eigentümlichkeit des Griechische»
und Lateinischen, obwohl diese Sprachen besonders geschickt dafür sind, sondern
ein notwendiges Erzeugnis des verwickelten Gedankenbanes und der verwickelten
Verhältnisse einer höhern Kultur. Auch der verwickelte» Verhältnisse! Weins
Vergnügen macht, diesem Zusammenhange nachzuspüren, dem empfehle ich das
Studium des Brauntweinstenergesetzes oder des Gesetzes über die Jnvaliditnts-
und Altersversicherung. Ich komme später noch einmal aus diesen Punkt
zurück. Und nun denke man sich die tausend und aber tausend Männer und
leider auch Frauen und Jungfräulein, die in Schreibstuben sitzen, von früh
bis abends sitzen und schwitze» und Zeug zusammenkritzel» — Berichte, Gesetz-



Ei» nnnbersetz- und unersetzbares Fremdwort, nur sollte man es „scheniren
schreiben, ebenso Schmidarm u. s. w.
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[0283] Bedenken über die Sprachvcrbessernng fngung nicht genau und genire°^) dich nicht, aus der Konstruktion z» fallen. Was macht in Frau Ajas und des Apostel Paulus Briefen den Eindruck des Ungekünstelten, Wahren, Herzlichen, Lebendigen? Daß sie oft aus der Kon¬ struktion fallen, d. h. jeder augenblicklichen Eingebung zuliebe ohne Scheu die Regeln des Satzbaues verletzen. Darf der Lehrer den Schüler so schreiben lassen? New! Was folgt daraus? Daß der junge Mensch von dem Augen¬ blicke an, wo er das Papier zur Hand nimmt, papieren zu schreiben gezwungen ist. Die Abweichung vom Gesprocheneu würde indes immer noch in mäßigen Grenzen bleiben, wenn sich das Schreiben auf das Aufzeichnen von Gedichten, Geschichten und Mitteilungen beschränkte, die ursprünglich gesprochen oder ge¬ sungen wurden oder doch ebensogut gesprochen oder gesungen als geschrieben werden könnten. Allein mit fortschreitender Bildung und als verwickelte Ver¬ hältnisse entstanden, ergab sich mancherlei Gelegenheit und sogar häusig die Notwendigkeit, Dinge zu schreiben, die nur gelesen, nicht gesprochen zu werden bestimmt sind. Die Ilins und die Odyssee wurden gesprochen und gesungen; man zeichnete sie später auf, nicht damit sie gelesen, sondern damit sie nicht vergessen würden. Wolfram von Eschenbach konnte weder lesen noch schreiben; er diktirte sein ungeheures Epos. Horaz dagegen drechselte seine Strophen für Leser, die den Schlangenwindungen des allerlei Einschiebungen umklam¬ mernden Hauptsatzes mit dem Auge folgen. Herodot las seine Geschichten vor, und wie schön mögen sie sich angehört haben! Thukydides schrieb für Lesende, die den Satz, den sie beim ersten Durchlesen nicht verstanden haben, zwei- oder dreimal lesen tonnen. Plato philosophirte noch gesprächsweise; Aristoteles (ich kenne ihn, aufrichtig gestanden, nur aus zweiter und dritter Hand) schrieb als Buchgelehrter natürlicherweise schwerfälliger und ist darum schwieriger zu lese». Der Volksdichter, der Ehrvnist, der echte Volksredner reiht Bild an Bild, daher Satz an Satz; der Denker türmt einen Gedankenbau auf, und bringt er diesen zu Papiere, so entsteht eine Periode. Der Periodenbau ist nicht, wie die Feinde der alten Sprachen behaupten, eine Eigentümlichkeit des Griechische» und Lateinischen, obwohl diese Sprachen besonders geschickt dafür sind, sondern ein notwendiges Erzeugnis des verwickelten Gedankenbanes und der verwickelten Verhältnisse einer höhern Kultur. Auch der verwickelte» Verhältnisse! Weins Vergnügen macht, diesem Zusammenhange nachzuspüren, dem empfehle ich das Studium des Brauntweinstenergesetzes oder des Gesetzes über die Jnvaliditnts- und Altersversicherung. Ich komme später noch einmal aus diesen Punkt zurück. Und nun denke man sich die tausend und aber tausend Männer und leider auch Frauen und Jungfräulein, die in Schreibstuben sitzen, von früh bis abends sitzen und schwitze» und Zeug zusammenkritzel» — Berichte, Gesetz- Ei» nnnbersetz- und unersetzbares Fremdwort, nur sollte man es „scheniren schreiben, ebenso Schmidarm u. s. w.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/283>, abgerufen am 23.07.2024.