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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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entwürfe, Romane, Bittschriften, Straf- und Zahlungsbefehle, Gedichte, Lösungen
der sozialen Frage und des Weltproblems -- Zeug, das nachzusprechen oder
auch nur laut zu lesen niemals einem Sterblichen einfallen wird! Und nun
denke man sich ferner, daß ja die meisten dieser Papiermenschen über ihrem
papiernen Berufe das Sprechen ganz verlernen -- wie könnten sie anders
schreiben illo papieren?

Ans dem Gesagten folgt, daß es einen berechtigten und notwendigen
papiernen Stil giebt. Eine Sprache, die gar nicht dazu bestimmt ist, gesprochen
zu werden, kann, darf und muß vielleicht sogar andern Gesetzen folgen wie
die Sprechsprache. Im Gespräch baut auch der Philosoph keine Perioden.
Aber beim Schreiben, wo er hinter jedem dritten Worte fünf Minuten über¬
legen kann, wies weiter gehen soll, wo er streichen, ausbessern, einschieben kann,
warum sollte er da nicht eine Menge zusammengehöriger Gedanken in ein
Satzgefüge bringen, das ihre Über-, Unter- nud Nebenordnung, ihre gegen¬
seitigen Beziehungen und Abhängigkeiten recht deutlich veranschaulicht? Dem
Leser hält ja das Buch still, und wenn er über jedem Satze fünf Minuten
zubringt, so kann das der gründlichen Durchdringung des Gegenstandes nur
förderlich sein. Und sollten für den Schreibstil nicht auch ein wenig andre
Schönheitsgesetze gelten als für die Sprechsprache? Ich sage nicht für
den Sprcchstil, weil sich beim Sprechen noch gar kein Stil bildet. Zum
schönen Sprechen gehört vor allem eine schöne oder kräftige Stimme, gute
Betonung, ein von lebhaftem oder angenehmem Mienen- und Geberdenspiel
begleiteter Ausdruck und Vermeidung häßlich klingender Wörter und Wvrt-
gruppen. Der Satzbau ist ziemlich gleichgiltig. Ich habe Reden gehört, die
einen mächtigen Eindruck machten, die aber ohne vorherige Umarbeitung gar
nicht gedruckt werden konnten. Wiederholungen -- und damit komme ich ans
einen Punkt, in dem ich andrer Meinung bin als der Herr Verfasser der
"Sprachdunnnheiten" -- schaden beim Sprechen nur dann, wenn sie unangenehm
klingen, und das ist bei die die so wenig der Fall wie bei einem gesungenen
la la. Nach drei oder fünf Wörtern wieder dasselbe Wort zu gebrauchen,
hindert gar nichts, denn mau hört ja immer nur zwei zusammen. Beim Lesen
hingegen überblickt man fünf bis zehn Zeilen auf einmal, und sieht man dabei
drei oder mehr Exemplare desselben Wortes, so sagt man sich: Wie a.rin ist
doch der Mann an Wörtern! Oder gar: Wie arm ist doch die deutsche Sprache!
Reichtum aber, Fülle, Maimichfaltigkeit, Abwechslung gehören zur Schönheit.
Darum möchte ich das Verbot der Wiederholungen nicht für einen "Schulmeister-
aberglcmben" halten. Und da nun das Deutsche eine lebendige Sprache ist,
die beständig neue Bildungen hervortreibt und ältere außer Gebrauch kommen
läßt, was Wunder, daß man zur Vermeidung von die die und der der
(letzteres klingt anch häßlich) ein neues Relativpronomen gemacht hat? Daß
welcher ursprünglich gar nicht daS einfache Relativpronomen sei, wollte mir


entwürfe, Romane, Bittschriften, Straf- und Zahlungsbefehle, Gedichte, Lösungen
der sozialen Frage und des Weltproblems — Zeug, das nachzusprechen oder
auch nur laut zu lesen niemals einem Sterblichen einfallen wird! Und nun
denke man sich ferner, daß ja die meisten dieser Papiermenschen über ihrem
papiernen Berufe das Sprechen ganz verlernen — wie könnten sie anders
schreiben illo papieren?

Ans dem Gesagten folgt, daß es einen berechtigten und notwendigen
papiernen Stil giebt. Eine Sprache, die gar nicht dazu bestimmt ist, gesprochen
zu werden, kann, darf und muß vielleicht sogar andern Gesetzen folgen wie
die Sprechsprache. Im Gespräch baut auch der Philosoph keine Perioden.
Aber beim Schreiben, wo er hinter jedem dritten Worte fünf Minuten über¬
legen kann, wies weiter gehen soll, wo er streichen, ausbessern, einschieben kann,
warum sollte er da nicht eine Menge zusammengehöriger Gedanken in ein
Satzgefüge bringen, das ihre Über-, Unter- nud Nebenordnung, ihre gegen¬
seitigen Beziehungen und Abhängigkeiten recht deutlich veranschaulicht? Dem
Leser hält ja das Buch still, und wenn er über jedem Satze fünf Minuten
zubringt, so kann das der gründlichen Durchdringung des Gegenstandes nur
förderlich sein. Und sollten für den Schreibstil nicht auch ein wenig andre
Schönheitsgesetze gelten als für die Sprechsprache? Ich sage nicht für
den Sprcchstil, weil sich beim Sprechen noch gar kein Stil bildet. Zum
schönen Sprechen gehört vor allem eine schöne oder kräftige Stimme, gute
Betonung, ein von lebhaftem oder angenehmem Mienen- und Geberdenspiel
begleiteter Ausdruck und Vermeidung häßlich klingender Wörter und Wvrt-
gruppen. Der Satzbau ist ziemlich gleichgiltig. Ich habe Reden gehört, die
einen mächtigen Eindruck machten, die aber ohne vorherige Umarbeitung gar
nicht gedruckt werden konnten. Wiederholungen — und damit komme ich ans
einen Punkt, in dem ich andrer Meinung bin als der Herr Verfasser der
„Sprachdunnnheiten" — schaden beim Sprechen nur dann, wenn sie unangenehm
klingen, und das ist bei die die so wenig der Fall wie bei einem gesungenen
la la. Nach drei oder fünf Wörtern wieder dasselbe Wort zu gebrauchen,
hindert gar nichts, denn mau hört ja immer nur zwei zusammen. Beim Lesen
hingegen überblickt man fünf bis zehn Zeilen auf einmal, und sieht man dabei
drei oder mehr Exemplare desselben Wortes, so sagt man sich: Wie a.rin ist
doch der Mann an Wörtern! Oder gar: Wie arm ist doch die deutsche Sprache!
Reichtum aber, Fülle, Maimichfaltigkeit, Abwechslung gehören zur Schönheit.
Darum möchte ich das Verbot der Wiederholungen nicht für einen „Schulmeister-
aberglcmben" halten. Und da nun das Deutsche eine lebendige Sprache ist,
die beständig neue Bildungen hervortreibt und ältere außer Gebrauch kommen
läßt, was Wunder, daß man zur Vermeidung von die die und der der
(letzteres klingt anch häßlich) ein neues Relativpronomen gemacht hat? Daß
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[0284] entwürfe, Romane, Bittschriften, Straf- und Zahlungsbefehle, Gedichte, Lösungen der sozialen Frage und des Weltproblems — Zeug, das nachzusprechen oder auch nur laut zu lesen niemals einem Sterblichen einfallen wird! Und nun denke man sich ferner, daß ja die meisten dieser Papiermenschen über ihrem papiernen Berufe das Sprechen ganz verlernen — wie könnten sie anders schreiben illo papieren? Ans dem Gesagten folgt, daß es einen berechtigten und notwendigen papiernen Stil giebt. Eine Sprache, die gar nicht dazu bestimmt ist, gesprochen zu werden, kann, darf und muß vielleicht sogar andern Gesetzen folgen wie die Sprechsprache. Im Gespräch baut auch der Philosoph keine Perioden. Aber beim Schreiben, wo er hinter jedem dritten Worte fünf Minuten über¬ legen kann, wies weiter gehen soll, wo er streichen, ausbessern, einschieben kann, warum sollte er da nicht eine Menge zusammengehöriger Gedanken in ein Satzgefüge bringen, das ihre Über-, Unter- nud Nebenordnung, ihre gegen¬ seitigen Beziehungen und Abhängigkeiten recht deutlich veranschaulicht? Dem Leser hält ja das Buch still, und wenn er über jedem Satze fünf Minuten zubringt, so kann das der gründlichen Durchdringung des Gegenstandes nur förderlich sein. Und sollten für den Schreibstil nicht auch ein wenig andre Schönheitsgesetze gelten als für die Sprechsprache? Ich sage nicht für den Sprcchstil, weil sich beim Sprechen noch gar kein Stil bildet. Zum schönen Sprechen gehört vor allem eine schöne oder kräftige Stimme, gute Betonung, ein von lebhaftem oder angenehmem Mienen- und Geberdenspiel begleiteter Ausdruck und Vermeidung häßlich klingender Wörter und Wvrt- gruppen. Der Satzbau ist ziemlich gleichgiltig. Ich habe Reden gehört, die einen mächtigen Eindruck machten, die aber ohne vorherige Umarbeitung gar nicht gedruckt werden konnten. Wiederholungen — und damit komme ich ans einen Punkt, in dem ich andrer Meinung bin als der Herr Verfasser der „Sprachdunnnheiten" — schaden beim Sprechen nur dann, wenn sie unangenehm klingen, und das ist bei die die so wenig der Fall wie bei einem gesungenen la la. Nach drei oder fünf Wörtern wieder dasselbe Wort zu gebrauchen, hindert gar nichts, denn mau hört ja immer nur zwei zusammen. Beim Lesen hingegen überblickt man fünf bis zehn Zeilen auf einmal, und sieht man dabei drei oder mehr Exemplare desselben Wortes, so sagt man sich: Wie a.rin ist doch der Mann an Wörtern! Oder gar: Wie arm ist doch die deutsche Sprache! Reichtum aber, Fülle, Maimichfaltigkeit, Abwechslung gehören zur Schönheit. Darum möchte ich das Verbot der Wiederholungen nicht für einen „Schulmeister- aberglcmben" halten. Und da nun das Deutsche eine lebendige Sprache ist, die beständig neue Bildungen hervortreibt und ältere außer Gebrauch kommen läßt, was Wunder, daß man zur Vermeidung von die die und der der (letzteres klingt anch häßlich) ein neues Relativpronomen gemacht hat? Daß welcher ursprünglich gar nicht daS einfache Relativpronomen sei, wollte mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/284>, abgerufen am 23.07.2024.