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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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"ultramontanen" 'Beobachtern wahrgenommen und in der Erfindung eines ge¬
meinsamen Namens zum Ausdruck gebracht wird. Nicht sie selbst haben sich
Germanen genannt, sondern von den Römern sind sie so genannt worden; und
erst nachdem die vier Stämme des Reiches der Ottonen von den Italienern
schon einige Jahrzehnte hindurch mit dem gemeinsamen Namen 1.'<ze>08vbi gerufen
worden waren, haben sich Baiern, Alamannen, Franken und Sachsen an den
Gebrauch der gemeinsamen Bezeichnung "Deutsch" gewöhnt, die der Bibel¬
übersetzung des Ulfila (Galater 2, 14) verdankt wird. Wie schwierig es nnter
diesen Umständen für die deutschen Stämme sein mußte, es zu einer gemein¬
samen Schriftsprache zu bringen, liegt auf der Hand und wird aus einer Mit¬
teilung Walafried Strabos recht deutlich. Dieser war von 81K bis 825
Zögling der Klosterschule zu Reichencin und hat einen Bericht über seine
Studienzeit hinterlassen. Darin heißt es: "Abt Hatto war von dem großen
Karl wiederholt aufgefordert worden, der deutschen Sprache an der Klosterschule
mehr Geltung zu verschaffen. Diesem Auftrage gemäß gab uus Hatto nun
Anleitung, zuerst deutsche Wörterblicher, sodann Übersetzungen und Reden zu
machen, und mehreren von uns gelangen die deutschen Reden sogar besser als
die lateinischen. Nur mit der Rechtschreibung kamen wir nicht zu stände,
weil sich viele deutsche Laute mit lateinischen Buchstaben nicht ausdrücken lassen,
und jeder von uns je nach der Gegend, aus der er stammte, wieder seine
eigne Aussprache und somit Schreibweise hatte. Es gelang uns deswegen weit
eher, einen freien Vortrag in deutscher Sprache zu halten, als eine Übersetzung
oder einen Aufsatz niederzuschreiben."

Aber nicht bloß um die Rechtschreibung handelt es sich -- die Schwierig¬
keit besteht ja noch heute --, sondern nur Wörter, Abwandlung und Satzbau.
Der Süddeutsche kennt unsern Fleischer, Klempner und Kürschner gar nicht,
denn er hat bei sich zu Hause nur Metzger, Wurster, Blechner und Kappen¬
macher. Der Badener streicht auf sein Brot nicht die Butter und den Weich¬
quark, sondern "den Bühler und den Piepelcsküs"; er gebraucht weibliche
Wörter männlich, bildet den Akkusativ des männlichen Hauptwortes gleich dem
Nominativ und spricht kein End-e. Verbietet ihm "ischt" für "ist" zusprechen,
und er bleibt in seinem Trinkspruch wie in seiner Predigt stecken und fürchtet
sich beim Biere den Mund aufzuthun. Er erzählt auch uicht im Imperfectum,
sondern im Perfektum. Kurz und gut: das Hochdeutsche ist ihm eine fremde
Sprache, in der er sich nnr unbeholfen bewegt. Kein Wunder, wenn man es
seinem geschriebenen Deutsch ansieht! Nicht anders geht es dem, der gewöhnt
ist, platt zu frater, vom Österreicher, Schweizer und den nnzühligeu Unter¬
dialekten -- im schlesischen Gebirge beinahe so viele, als es Dörfer giebt
gar nicht zu reden.

Schreibe, wie du sprichst -- das bedeutet für das Kind, die Frau und
den gemeinen Mann: Schreibe in kurzen Sätzen, nimm es mit deren Aneinander-


„ultramontanen" 'Beobachtern wahrgenommen und in der Erfindung eines ge¬
meinsamen Namens zum Ausdruck gebracht wird. Nicht sie selbst haben sich
Germanen genannt, sondern von den Römern sind sie so genannt worden; und
erst nachdem die vier Stämme des Reiches der Ottonen von den Italienern
schon einige Jahrzehnte hindurch mit dem gemeinsamen Namen 1.'<ze>08vbi gerufen
worden waren, haben sich Baiern, Alamannen, Franken und Sachsen an den
Gebrauch der gemeinsamen Bezeichnung „Deutsch" gewöhnt, die der Bibel¬
übersetzung des Ulfila (Galater 2, 14) verdankt wird. Wie schwierig es nnter
diesen Umständen für die deutschen Stämme sein mußte, es zu einer gemein¬
samen Schriftsprache zu bringen, liegt auf der Hand und wird aus einer Mit¬
teilung Walafried Strabos recht deutlich. Dieser war von 81K bis 825
Zögling der Klosterschule zu Reichencin und hat einen Bericht über seine
Studienzeit hinterlassen. Darin heißt es: „Abt Hatto war von dem großen
Karl wiederholt aufgefordert worden, der deutschen Sprache an der Klosterschule
mehr Geltung zu verschaffen. Diesem Auftrage gemäß gab uus Hatto nun
Anleitung, zuerst deutsche Wörterblicher, sodann Übersetzungen und Reden zu
machen, und mehreren von uns gelangen die deutschen Reden sogar besser als
die lateinischen. Nur mit der Rechtschreibung kamen wir nicht zu stände,
weil sich viele deutsche Laute mit lateinischen Buchstaben nicht ausdrücken lassen,
und jeder von uns je nach der Gegend, aus der er stammte, wieder seine
eigne Aussprache und somit Schreibweise hatte. Es gelang uns deswegen weit
eher, einen freien Vortrag in deutscher Sprache zu halten, als eine Übersetzung
oder einen Aufsatz niederzuschreiben."

Aber nicht bloß um die Rechtschreibung handelt es sich — die Schwierig¬
keit besteht ja noch heute —, sondern nur Wörter, Abwandlung und Satzbau.
Der Süddeutsche kennt unsern Fleischer, Klempner und Kürschner gar nicht,
denn er hat bei sich zu Hause nur Metzger, Wurster, Blechner und Kappen¬
macher. Der Badener streicht auf sein Brot nicht die Butter und den Weich¬
quark, sondern „den Bühler und den Piepelcsküs"; er gebraucht weibliche
Wörter männlich, bildet den Akkusativ des männlichen Hauptwortes gleich dem
Nominativ und spricht kein End-e. Verbietet ihm „ischt" für „ist" zusprechen,
und er bleibt in seinem Trinkspruch wie in seiner Predigt stecken und fürchtet
sich beim Biere den Mund aufzuthun. Er erzählt auch uicht im Imperfectum,
sondern im Perfektum. Kurz und gut: das Hochdeutsche ist ihm eine fremde
Sprache, in der er sich nnr unbeholfen bewegt. Kein Wunder, wenn man es
seinem geschriebenen Deutsch ansieht! Nicht anders geht es dem, der gewöhnt
ist, platt zu frater, vom Österreicher, Schweizer und den nnzühligeu Unter¬
dialekten — im schlesischen Gebirge beinahe so viele, als es Dörfer giebt
gar nicht zu reden.

Schreibe, wie du sprichst — das bedeutet für das Kind, die Frau und
den gemeinen Mann: Schreibe in kurzen Sätzen, nimm es mit deren Aneinander-


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[0282] „ultramontanen" 'Beobachtern wahrgenommen und in der Erfindung eines ge¬ meinsamen Namens zum Ausdruck gebracht wird. Nicht sie selbst haben sich Germanen genannt, sondern von den Römern sind sie so genannt worden; und erst nachdem die vier Stämme des Reiches der Ottonen von den Italienern schon einige Jahrzehnte hindurch mit dem gemeinsamen Namen 1.'<ze>08vbi gerufen worden waren, haben sich Baiern, Alamannen, Franken und Sachsen an den Gebrauch der gemeinsamen Bezeichnung „Deutsch" gewöhnt, die der Bibel¬ übersetzung des Ulfila (Galater 2, 14) verdankt wird. Wie schwierig es nnter diesen Umständen für die deutschen Stämme sein mußte, es zu einer gemein¬ samen Schriftsprache zu bringen, liegt auf der Hand und wird aus einer Mit¬ teilung Walafried Strabos recht deutlich. Dieser war von 81K bis 825 Zögling der Klosterschule zu Reichencin und hat einen Bericht über seine Studienzeit hinterlassen. Darin heißt es: „Abt Hatto war von dem großen Karl wiederholt aufgefordert worden, der deutschen Sprache an der Klosterschule mehr Geltung zu verschaffen. Diesem Auftrage gemäß gab uus Hatto nun Anleitung, zuerst deutsche Wörterblicher, sodann Übersetzungen und Reden zu machen, und mehreren von uns gelangen die deutschen Reden sogar besser als die lateinischen. Nur mit der Rechtschreibung kamen wir nicht zu stände, weil sich viele deutsche Laute mit lateinischen Buchstaben nicht ausdrücken lassen, und jeder von uns je nach der Gegend, aus der er stammte, wieder seine eigne Aussprache und somit Schreibweise hatte. Es gelang uns deswegen weit eher, einen freien Vortrag in deutscher Sprache zu halten, als eine Übersetzung oder einen Aufsatz niederzuschreiben." Aber nicht bloß um die Rechtschreibung handelt es sich — die Schwierig¬ keit besteht ja noch heute —, sondern nur Wörter, Abwandlung und Satzbau. Der Süddeutsche kennt unsern Fleischer, Klempner und Kürschner gar nicht, denn er hat bei sich zu Hause nur Metzger, Wurster, Blechner und Kappen¬ macher. Der Badener streicht auf sein Brot nicht die Butter und den Weich¬ quark, sondern „den Bühler und den Piepelcsküs"; er gebraucht weibliche Wörter männlich, bildet den Akkusativ des männlichen Hauptwortes gleich dem Nominativ und spricht kein End-e. Verbietet ihm „ischt" für „ist" zusprechen, und er bleibt in seinem Trinkspruch wie in seiner Predigt stecken und fürchtet sich beim Biere den Mund aufzuthun. Er erzählt auch uicht im Imperfectum, sondern im Perfektum. Kurz und gut: das Hochdeutsche ist ihm eine fremde Sprache, in der er sich nnr unbeholfen bewegt. Kein Wunder, wenn man es seinem geschriebenen Deutsch ansieht! Nicht anders geht es dem, der gewöhnt ist, platt zu frater, vom Österreicher, Schweizer und den nnzühligeu Unter¬ dialekten — im schlesischen Gebirge beinahe so viele, als es Dörfer giebt gar nicht zu reden. Schreibe, wie du sprichst — das bedeutet für das Kind, die Frau und den gemeinen Mann: Schreibe in kurzen Sätzen, nimm es mit deren Aneinander-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/282>, abgerufen am 23.07.2024.