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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Natioualliberalen und die 5ozialistengesetzvorlage

wollte, so ist es unbegreiflich, wie eine der Regierung geneigte Partei auf
der Streichung des Ausweisuugsparagraphen "fest" bestehen konnte. Alles
erst daran setzen, um die Frage, ob das Gesetz dauernd zu erlassen sei, zu
bejahen, und dann es doch wegen eines Paragraphen, der bisher einer sehr
"riben Praxis in der Ausführung unterlegen hatte, zu Falle bringen, das
scheint doch keine reale Politik zu sein. Jetzt ist es thatsächlich so, daß die
Nationalliberalen mehr zum Scheitern des Gesetzes beigetragen haben, als alle
Gegner der Regierung, obschon sie für die Annahme stimmten. Was hilft ein
solches Stimmen, wenn man das Gesetz selbst für die Regierung unbrauchbar
gemacht hat! Was hilft da die Versicherung des Abgeordneten Buhl: "Wir
unter Ihnen damit (mit der Nichtaufnahme der Ausweisuugsbefugnis in ein
dauerndes Gesetz) nicht die Ablehnung des Gesetzes zu; denn leine Partei,
erkennt wie die natioualliberale die Gefahr, welche in der Sozialdemokratie liegt.
Aber wir können eine Maßregel, die nur zur Ausbreitung der Sozialdemokratie
beiträgt, nicht in ein dauerndes Gesetz aufnehmen." Ist es denn wirklich so
gewiß und, von einzelnen Fällen abgesehen, so ausgemachte Sache, daß durch
die Ausweisungen der Sozialdemokratie nur genützt worden sei? Wer will denn
behaupten, daß, wenn die Ausweisungsvvllmacht nicht bestanden hätte, weniger
agitirt worden wäre? daß der Chor der Agitatoren nicht viel stärker und frecher
gewesen wäre, wenn die Ausweisung nicht als ein drohendes Warnungszeichen
dagestanden hätte? Wenn die Behörde, die die Sache weiter als irgend jemand
überblicken kann, dies behauptet, so hat auch keine Partei ein begründetes Recht,
von der Ausweisungsbesugnis als einer Maßregel zu reden, die nur zur Aus¬
breitung der Sozialdemokratie beitrage. Man konnte eben so gut sagen,
das ganze Svzialistengesetz habe nur zur Stärkung der Sozialdemokratie gedient,
wie denn auch das, insonderheit von den Freisinnigen, gesagt wird. Aber wo
wir jetzt ohne das Svzialistengesetz wären, das sagt keiner der Herren. Und
wohin wir ohne Ausweisungsbesugnis steuern, davon weiß auch keiner der
Gegner dieser Bestimmung Rechenschaft zu geben. So viel steht fest, daß die
sozialdemokratischen Agitatoren selbst zum größten Teile doch nichts mehr
fürchteten als diese Ausweisung, und daß es eitle Renommage ist, wenn sie
sie als Veranlassung zu willkommenen Märthrertum hinstellen. Eine Partei,
die wie die Natioualliberalen das Bestreben hat, die Regierung zu unter¬
stützen, sollte auch deu Erfahrungen der Behörde da entschieden glaube", wo
die Erfahrung allein entscheiden kann.

Nun sagt man, die Regierung habe das aufklärende Wort nicht gesprochen.
In der Schlußsitzung hat sie das freilich nicht gethan. Aber Minister Herrfurth
hat mit seiner hochbedeutsamen Rede, in der er gerade den Nativnallibernlen
das Wort zurief: ^rin rv" ^'nur, den Stuudpuukt der Regierung bestimmt
genug gezeichnet und die Grenzen angegeben, wie weit sie gehen könne und
wie weit nicht. Er traf die Sache, wenn er von Selbstmord redete, den die


Die Natioualliberalen und die 5ozialistengesetzvorlage

wollte, so ist es unbegreiflich, wie eine der Regierung geneigte Partei auf
der Streichung des Ausweisuugsparagraphen „fest" bestehen konnte. Alles
erst daran setzen, um die Frage, ob das Gesetz dauernd zu erlassen sei, zu
bejahen, und dann es doch wegen eines Paragraphen, der bisher einer sehr
»riben Praxis in der Ausführung unterlegen hatte, zu Falle bringen, das
scheint doch keine reale Politik zu sein. Jetzt ist es thatsächlich so, daß die
Nationalliberalen mehr zum Scheitern des Gesetzes beigetragen haben, als alle
Gegner der Regierung, obschon sie für die Annahme stimmten. Was hilft ein
solches Stimmen, wenn man das Gesetz selbst für die Regierung unbrauchbar
gemacht hat! Was hilft da die Versicherung des Abgeordneten Buhl: „Wir
unter Ihnen damit (mit der Nichtaufnahme der Ausweisuugsbefugnis in ein
dauerndes Gesetz) nicht die Ablehnung des Gesetzes zu; denn leine Partei,
erkennt wie die natioualliberale die Gefahr, welche in der Sozialdemokratie liegt.
Aber wir können eine Maßregel, die nur zur Ausbreitung der Sozialdemokratie
beiträgt, nicht in ein dauerndes Gesetz aufnehmen." Ist es denn wirklich so
gewiß und, von einzelnen Fällen abgesehen, so ausgemachte Sache, daß durch
die Ausweisungen der Sozialdemokratie nur genützt worden sei? Wer will denn
behaupten, daß, wenn die Ausweisungsvvllmacht nicht bestanden hätte, weniger
agitirt worden wäre? daß der Chor der Agitatoren nicht viel stärker und frecher
gewesen wäre, wenn die Ausweisung nicht als ein drohendes Warnungszeichen
dagestanden hätte? Wenn die Behörde, die die Sache weiter als irgend jemand
überblicken kann, dies behauptet, so hat auch keine Partei ein begründetes Recht,
von der Ausweisungsbesugnis als einer Maßregel zu reden, die nur zur Aus¬
breitung der Sozialdemokratie beitrage. Man konnte eben so gut sagen,
das ganze Svzialistengesetz habe nur zur Stärkung der Sozialdemokratie gedient,
wie denn auch das, insonderheit von den Freisinnigen, gesagt wird. Aber wo
wir jetzt ohne das Svzialistengesetz wären, das sagt keiner der Herren. Und
wohin wir ohne Ausweisungsbesugnis steuern, davon weiß auch keiner der
Gegner dieser Bestimmung Rechenschaft zu geben. So viel steht fest, daß die
sozialdemokratischen Agitatoren selbst zum größten Teile doch nichts mehr
fürchteten als diese Ausweisung, und daß es eitle Renommage ist, wenn sie
sie als Veranlassung zu willkommenen Märthrertum hinstellen. Eine Partei,
die wie die Natioualliberalen das Bestreben hat, die Regierung zu unter¬
stützen, sollte auch deu Erfahrungen der Behörde da entschieden glaube», wo
die Erfahrung allein entscheiden kann.

Nun sagt man, die Regierung habe das aufklärende Wort nicht gesprochen.
In der Schlußsitzung hat sie das freilich nicht gethan. Aber Minister Herrfurth
hat mit seiner hochbedeutsamen Rede, in der er gerade den Nativnallibernlen
das Wort zurief: ^rin rv« ^'nur, den Stuudpuukt der Regierung bestimmt
genug gezeichnet und die Grenzen angegeben, wie weit sie gehen könne und
wie weit nicht. Er traf die Sache, wenn er von Selbstmord redete, den die


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[0258] Die Natioualliberalen und die 5ozialistengesetzvorlage wollte, so ist es unbegreiflich, wie eine der Regierung geneigte Partei auf der Streichung des Ausweisuugsparagraphen „fest" bestehen konnte. Alles erst daran setzen, um die Frage, ob das Gesetz dauernd zu erlassen sei, zu bejahen, und dann es doch wegen eines Paragraphen, der bisher einer sehr »riben Praxis in der Ausführung unterlegen hatte, zu Falle bringen, das scheint doch keine reale Politik zu sein. Jetzt ist es thatsächlich so, daß die Nationalliberalen mehr zum Scheitern des Gesetzes beigetragen haben, als alle Gegner der Regierung, obschon sie für die Annahme stimmten. Was hilft ein solches Stimmen, wenn man das Gesetz selbst für die Regierung unbrauchbar gemacht hat! Was hilft da die Versicherung des Abgeordneten Buhl: „Wir unter Ihnen damit (mit der Nichtaufnahme der Ausweisuugsbefugnis in ein dauerndes Gesetz) nicht die Ablehnung des Gesetzes zu; denn leine Partei, erkennt wie die natioualliberale die Gefahr, welche in der Sozialdemokratie liegt. Aber wir können eine Maßregel, die nur zur Ausbreitung der Sozialdemokratie beiträgt, nicht in ein dauerndes Gesetz aufnehmen." Ist es denn wirklich so gewiß und, von einzelnen Fällen abgesehen, so ausgemachte Sache, daß durch die Ausweisungen der Sozialdemokratie nur genützt worden sei? Wer will denn behaupten, daß, wenn die Ausweisungsvvllmacht nicht bestanden hätte, weniger agitirt worden wäre? daß der Chor der Agitatoren nicht viel stärker und frecher gewesen wäre, wenn die Ausweisung nicht als ein drohendes Warnungszeichen dagestanden hätte? Wenn die Behörde, die die Sache weiter als irgend jemand überblicken kann, dies behauptet, so hat auch keine Partei ein begründetes Recht, von der Ausweisungsbesugnis als einer Maßregel zu reden, die nur zur Aus¬ breitung der Sozialdemokratie beitrage. Man konnte eben so gut sagen, das ganze Svzialistengesetz habe nur zur Stärkung der Sozialdemokratie gedient, wie denn auch das, insonderheit von den Freisinnigen, gesagt wird. Aber wo wir jetzt ohne das Svzialistengesetz wären, das sagt keiner der Herren. Und wohin wir ohne Ausweisungsbesugnis steuern, davon weiß auch keiner der Gegner dieser Bestimmung Rechenschaft zu geben. So viel steht fest, daß die sozialdemokratischen Agitatoren selbst zum größten Teile doch nichts mehr fürchteten als diese Ausweisung, und daß es eitle Renommage ist, wenn sie sie als Veranlassung zu willkommenen Märthrertum hinstellen. Eine Partei, die wie die Natioualliberalen das Bestreben hat, die Regierung zu unter¬ stützen, sollte auch deu Erfahrungen der Behörde da entschieden glaube», wo die Erfahrung allein entscheiden kann. Nun sagt man, die Regierung habe das aufklärende Wort nicht gesprochen. In der Schlußsitzung hat sie das freilich nicht gethan. Aber Minister Herrfurth hat mit seiner hochbedeutsamen Rede, in der er gerade den Nativnallibernlen das Wort zurief: ^rin rv« ^'nur, den Stuudpuukt der Regierung bestimmt genug gezeichnet und die Grenzen angegeben, wie weit sie gehen könne und wie weit nicht. Er traf die Sache, wenn er von Selbstmord redete, den die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/258>, abgerufen am 29.06.2024.