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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Natwnalliberaleu und die Sozialistengesetzporlage

Parteien, welche die Grundlagen des Staates erhalten wollen, begehen, wenn sie
denen, die ausgesprochenermaßen uns Vernichtung dieser Staatsordnung aus¬
gehen, gleichwohl die auf ihr beruhenden politischen Rechte geben. Er führte
dem Hause die aus einem verhältnismäßig ruhig geschriebenen Aufsätze der letzten
Nummer des "Socialdemokrat" angeführten Grundsätze dieser Partei vor,
worin die Socialdemokratie die revolutionärste Partei genannt wird, die es
giebt, mit Zielen, die uur erreicht werdeu können "durch die fortdauernde
Steigerung des Klassenhasses beim Proletariat." Und gegen eine solche Partei, die
die Existenzberechtigung des modernen Staates überhaupt leugnet, wollen die
Nativualliberalen der Regierung diese Vollmacht verweigern, die sie für allein
genügend erklärt! Hatte die Partei Bedenken wegen Verbreitung der Seuche
in bisher von ihr nicht ergriffene Kreise Recht, so wäre es folgerichtig, die Aus-
weisnngsbefngnis durch Jnternirung an bestimmte Orte zu ergänzen, nicht aber
die Vollmacht einfach aufzuheben. Als ob die Sache besser würde ohne Aus-
weisuugsbefuguis und schlechter mit ihr! Wenigstens könnte man die Verant¬
wortung für das Schlechterwerden ruhig der Regierung überlassen, die sie
auch auf sich zu nehmen gar kein Bedenken trug. Sie kann das um so ruhiger,
als es wahr ist, was Münster Herrfurtl) sagte: "Die Socialdemokraten sind
nicht die Vertreter der Arbeiter, sondern sie vertreten nur die versetzten und
verhetzenden Arbeiter und die unznfriednen Elemente aus andern Ständen,
höchstens den Teil der Arbeiter, der nicht arbeiten will." Mit diesem Ausspruch
will Liebknecht, der ihn dahin abänderte, die Sozialdemokraten verträten nur
Bummler, als mit seiner Wahlparole zur Wahl am 20. Februar gehen.
Mag er das immerhin! Wenn nur die Nativualliberaleu eine bestimmte und
klare Wahlparole aufstellen konnten! Aber das ist auch der wunde Fleck bei
ihrer Politik mit dem Streichen des Z 24, sie haben sich damit die beste
Waffe stumpf gemacht. Der bereits erschienene nationalliberale Reichstags¬
wahlaufruf vermeidet jedes Eingehen auf das Svzialisteugesetz. Das ist uuter
den jetzige" Umständen gewiß das Gescheiteste; aber besser wäre es doch ge¬
wesen, das Gesetz selbst wäre nnter Dach und Fach gebracht worden. Wenn
der Aufruf jetzt erklärt, daß der Regierung die unerläßlichen Machtmittel
liegen die Umstnrzbestrebuugeu der Sozialdemokratie gewährt werden müßten,
so darf man das wohl dahin nuslegeu, daß die Partei schließlich auch für
die Ausweisungsbefugnis als ein "unerläßliches Machtmittel" stimmen wird.
Aber die Sache lag besser, wenn die Partei sich vor den Wahlen von dieser
Verläßlichkeit hätte überzeugen können. Sie konnte dann mit dem klaren
Programm auftreten: Erhalten, was wir haben, und weiter bauen auf der
festen Grundlage, die wir gelegt haben! Die herrliche Mahnung, die der
Wahlaufruf enthält: "Nicht im Interesse der Partei, sür das Vaterland rufen
'or unsre Freunde auf, daß jeder seine Schuldigkeit thue. Es ist eure, es
lst die Sache des deutschen Reiches, um die es sich handelt. Vereinigt euch,


Die Natwnalliberaleu und die Sozialistengesetzporlage

Parteien, welche die Grundlagen des Staates erhalten wollen, begehen, wenn sie
denen, die ausgesprochenermaßen uns Vernichtung dieser Staatsordnung aus¬
gehen, gleichwohl die auf ihr beruhenden politischen Rechte geben. Er führte
dem Hause die aus einem verhältnismäßig ruhig geschriebenen Aufsätze der letzten
Nummer des „Socialdemokrat" angeführten Grundsätze dieser Partei vor,
worin die Socialdemokratie die revolutionärste Partei genannt wird, die es
giebt, mit Zielen, die uur erreicht werdeu können „durch die fortdauernde
Steigerung des Klassenhasses beim Proletariat." Und gegen eine solche Partei, die
die Existenzberechtigung des modernen Staates überhaupt leugnet, wollen die
Nativualliberalen der Regierung diese Vollmacht verweigern, die sie für allein
genügend erklärt! Hatte die Partei Bedenken wegen Verbreitung der Seuche
in bisher von ihr nicht ergriffene Kreise Recht, so wäre es folgerichtig, die Aus-
weisnngsbefngnis durch Jnternirung an bestimmte Orte zu ergänzen, nicht aber
die Vollmacht einfach aufzuheben. Als ob die Sache besser würde ohne Aus-
weisuugsbefuguis und schlechter mit ihr! Wenigstens könnte man die Verant¬
wortung für das Schlechterwerden ruhig der Regierung überlassen, die sie
auch auf sich zu nehmen gar kein Bedenken trug. Sie kann das um so ruhiger,
als es wahr ist, was Münster Herrfurtl) sagte: „Die Socialdemokraten sind
nicht die Vertreter der Arbeiter, sondern sie vertreten nur die versetzten und
verhetzenden Arbeiter und die unznfriednen Elemente aus andern Ständen,
höchstens den Teil der Arbeiter, der nicht arbeiten will." Mit diesem Ausspruch
will Liebknecht, der ihn dahin abänderte, die Sozialdemokraten verträten nur
Bummler, als mit seiner Wahlparole zur Wahl am 20. Februar gehen.
Mag er das immerhin! Wenn nur die Nativualliberaleu eine bestimmte und
klare Wahlparole aufstellen konnten! Aber das ist auch der wunde Fleck bei
ihrer Politik mit dem Streichen des Z 24, sie haben sich damit die beste
Waffe stumpf gemacht. Der bereits erschienene nationalliberale Reichstags¬
wahlaufruf vermeidet jedes Eingehen auf das Svzialisteugesetz. Das ist uuter
den jetzige» Umständen gewiß das Gescheiteste; aber besser wäre es doch ge¬
wesen, das Gesetz selbst wäre nnter Dach und Fach gebracht worden. Wenn
der Aufruf jetzt erklärt, daß der Regierung die unerläßlichen Machtmittel
liegen die Umstnrzbestrebuugeu der Sozialdemokratie gewährt werden müßten,
so darf man das wohl dahin nuslegeu, daß die Partei schließlich auch für
die Ausweisungsbefugnis als ein „unerläßliches Machtmittel" stimmen wird.
Aber die Sache lag besser, wenn die Partei sich vor den Wahlen von dieser
Verläßlichkeit hätte überzeugen können. Sie konnte dann mit dem klaren
Programm auftreten: Erhalten, was wir haben, und weiter bauen auf der
festen Grundlage, die wir gelegt haben! Die herrliche Mahnung, die der
Wahlaufruf enthält: „Nicht im Interesse der Partei, sür das Vaterland rufen
'or unsre Freunde auf, daß jeder seine Schuldigkeit thue. Es ist eure, es
lst die Sache des deutschen Reiches, um die es sich handelt. Vereinigt euch,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/259>, abgerufen am 01.07.2024.