Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.Farbenflächen jener Meister mir in einem kleinen Hohlspiegel auffangen. Daher Neben einem weiten Überblicke über alle künstlerischen Schöpfungen der Watteaus Kunst ans seiner seelischen Verfassung und aus seiner Lage Farbenflächen jener Meister mir in einem kleinen Hohlspiegel auffangen. Daher Neben einem weiten Überblicke über alle künstlerischen Schöpfungen der Watteaus Kunst ans seiner seelischen Verfassung und aus seiner Lage <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0203" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206848"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_553" prev="#ID_552"> Farbenflächen jener Meister mir in einem kleinen Hohlspiegel auffangen. Daher<lb/> bisweilen jene Buntheit, jenes unruhige Nebeneinander, jene Färbung, die<lb/> Hannover „mehr Koloriruug als Kolorit" nennt.</p><lb/> <p xml:id="ID_554"> Neben einem weiten Überblicke über alle künstlerischen Schöpfungen der<lb/> Vergangenheit, die den Liebhabern des achtzehnten Jahrhunderts begehrenswert<lb/> erschienen, erhielt Watteau bei Crozat aber auch einen neuen Einblick in die<lb/> beste Gesellschaft, und er brauchte diesmal nicht durch die Fenster in den Park<lb/> zu sehen, sondern er bewegte sich inmitten dieser Gesellschaft, die vorurteilsfrei<lb/> genug war, den Maler ihrer galanten Feste auch als ihresgleichen in Person<lb/> zu behandeln, „Crozat war der Mittelpunkt eines Kreises von Schöngeistern,<lb/> die wöchentlich in seinem.herrlichen Heim zusammenkamen, über Kunst sprachen<lb/> oder Musik trieben. Bei Crvzats Soireen waren u. a. Mariette, Caylus,<lb/> Julienne und der Abb5 von Maroulle als,'. Zuhörer anwesend. Bei Crozat<lb/> traf er den ganzen Luxus und die ganze Eleganz der Zeit; und wenn er nicht<lb/> der historische Erzähler, sondern der schwärmerische Darsteller dieses Glanzes<lb/> und dieser Eleganz wurde, so lag das uur darau, daß er selbst nie deS höchsten<lb/> Schöuheitsgenusses im Dasei», der Liebe, teilhaftig wurde. Seine ganze große<lb/> Produktion kann mit zweifellosen Rechte als ein großes Entbehren, ein großes<lb/> Sehnen aufgefaßt werde», das Sehnen eines kranken Mannes nach Gesundheit<lb/> und Kraft, eines von de» Schönheitsgöttinnen verschmähten Mannes nach<lb/> der Liebe und Anmut einer Frau. Denn er trug im Innern ein unheil¬<lb/> bares Leiden (Brustkrankheit) und hatte von der Geburt an ein häßliches<lb/> Äußere. Welche Ironie, daß er, der Maler der Grazie, der Schönheit, der<lb/> Eleganz, der Koketterie, der Geselligkeit, der Galanterie, große häßliche Hände<lb/> hatte, ungeschickt im Verkehrston, beißend und nichts weniger als kokett, scheu<lb/> "»d ungesellig war! Um ihn herum Reichtum, Liebe und Lust, bei ihm Armut,<lb/> "> seinem Innern Lebensüberdruß und das nagende Gefühl der Einsamkeit!<lb/> Sein Leben war ein Traun,, dessen Verwirklichung ihm versagt war. I.it>ereilt<lb/> Esprit, mais suH's et'-linear, sagt Gersaint so hübsch von ihm. Doch seine<lb/> Weisheit war Resignation, keine wahre Natur. Aber aus dieser Resignation,<lb/> "us diesem Leben ohne Lächeln, ohne Lichtblick formt sich gerade seine Kunst<lb/> der ihm eignen Individualität. Sie ist der Ausfluß der unbefriedigten<lb/> Leidenschaft eines leidenschaftlichen Geistes. Wenn seine Phantasie die gleich¬<lb/> seitigen Menschen in Wesen eines Zeitalters umwandelte, die aßen und tranken,<lb/> "hre satt, und liebten, ohne müde zu werden, wenn sie sich in seinem Traum<lb/> «ach den Küsten der schönen Jusel Cythera einschifften, Arm in Arm und<lb/> Mund an Mund, so blieb er, der Verschmähte, allein am Strande zurück und<lb/> starrte über das Meer der Poesie hinaus, über welches das Boot die Günst¬<lb/> linge des Glücks uach des Glücks beseligenden Lande entführte."</p><lb/> <p xml:id="ID_555" next="#ID_556"> Watteaus Kunst ans seiner seelischen Verfassung und aus seiner Lage<lb/> ^klärt und zu vollem Verständnis gebracht zu habe«, ist das hervorragendste</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0203]
Farbenflächen jener Meister mir in einem kleinen Hohlspiegel auffangen. Daher
bisweilen jene Buntheit, jenes unruhige Nebeneinander, jene Färbung, die
Hannover „mehr Koloriruug als Kolorit" nennt.
Neben einem weiten Überblicke über alle künstlerischen Schöpfungen der
Vergangenheit, die den Liebhabern des achtzehnten Jahrhunderts begehrenswert
erschienen, erhielt Watteau bei Crozat aber auch einen neuen Einblick in die
beste Gesellschaft, und er brauchte diesmal nicht durch die Fenster in den Park
zu sehen, sondern er bewegte sich inmitten dieser Gesellschaft, die vorurteilsfrei
genug war, den Maler ihrer galanten Feste auch als ihresgleichen in Person
zu behandeln, „Crozat war der Mittelpunkt eines Kreises von Schöngeistern,
die wöchentlich in seinem.herrlichen Heim zusammenkamen, über Kunst sprachen
oder Musik trieben. Bei Crvzats Soireen waren u. a. Mariette, Caylus,
Julienne und der Abb5 von Maroulle als,'. Zuhörer anwesend. Bei Crozat
traf er den ganzen Luxus und die ganze Eleganz der Zeit; und wenn er nicht
der historische Erzähler, sondern der schwärmerische Darsteller dieses Glanzes
und dieser Eleganz wurde, so lag das uur darau, daß er selbst nie deS höchsten
Schöuheitsgenusses im Dasei», der Liebe, teilhaftig wurde. Seine ganze große
Produktion kann mit zweifellosen Rechte als ein großes Entbehren, ein großes
Sehnen aufgefaßt werde», das Sehnen eines kranken Mannes nach Gesundheit
und Kraft, eines von de» Schönheitsgöttinnen verschmähten Mannes nach
der Liebe und Anmut einer Frau. Denn er trug im Innern ein unheil¬
bares Leiden (Brustkrankheit) und hatte von der Geburt an ein häßliches
Äußere. Welche Ironie, daß er, der Maler der Grazie, der Schönheit, der
Eleganz, der Koketterie, der Geselligkeit, der Galanterie, große häßliche Hände
hatte, ungeschickt im Verkehrston, beißend und nichts weniger als kokett, scheu
"»d ungesellig war! Um ihn herum Reichtum, Liebe und Lust, bei ihm Armut,
"> seinem Innern Lebensüberdruß und das nagende Gefühl der Einsamkeit!
Sein Leben war ein Traun,, dessen Verwirklichung ihm versagt war. I.it>ereilt
Esprit, mais suH's et'-linear, sagt Gersaint so hübsch von ihm. Doch seine
Weisheit war Resignation, keine wahre Natur. Aber aus dieser Resignation,
"us diesem Leben ohne Lächeln, ohne Lichtblick formt sich gerade seine Kunst
der ihm eignen Individualität. Sie ist der Ausfluß der unbefriedigten
Leidenschaft eines leidenschaftlichen Geistes. Wenn seine Phantasie die gleich¬
seitigen Menschen in Wesen eines Zeitalters umwandelte, die aßen und tranken,
"hre satt, und liebten, ohne müde zu werden, wenn sie sich in seinem Traum
«ach den Küsten der schönen Jusel Cythera einschifften, Arm in Arm und
Mund an Mund, so blieb er, der Verschmähte, allein am Strande zurück und
starrte über das Meer der Poesie hinaus, über welches das Boot die Günst¬
linge des Glücks uach des Glücks beseligenden Lande entführte."
Watteaus Kunst ans seiner seelischen Verfassung und aus seiner Lage
^klärt und zu vollem Verständnis gebracht zu habe«, ist das hervorragendste
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