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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Antoine Üiatteau

Gesellschaft, die beste und die edelste ältere Kunst und die feinste, modernste und ele¬
ganteste Gesellschaft" fand, war, als ihm der reiche Bankier Pierre Crozat, der
größte, feinsinnigste und zugleich liberalste Kunstsammler des vorigen Jahr¬
hunderts, die Gastfreundschaft seines palastartigen Hauses und damit freien
Verkehr in seinen Sammlungen gewährte. Der Zeitpunkt der Übersiedelung
Watteaus in das Hotel Crozat ist nicht genau bekannt. Doch hat Hannover
durch geschickte Vereinigung von andern Zeitangaben den überzeugenden Beweis
geführt, daß Watteau seinen Wohnsitz bei Crozat im Anfange des Jahres 1716
genommen haben muß. Er war um diese Zeit bereits ein angesehener Künstler,
der sich in einer eignen Gattung von Darstellungen bewegte und Käufer und
Liebhaber gefunden hatte. Denn ein Jahr später wurde er in die Akademie mit
dem Beinamen "der Maler der galanten Feste" aufgenommen, nachdem er
schon am W. Juli 1712 zum Mitgliede gewählt worden war. Da er bis
zu diesem Zeitpunkte in der Wahl seiner Gegenstände noch schwankend gewesen
war und Soldatenbildcr in der Art des van der Meuten, Landschaften mit
Figuren in: Geschmacke von David Teniers und Schäferstückc ohne scharf aus¬
geprägte Physiognomie durch einander gemalt hatte, muß er die Gattung von
Gemälden, der er seinen akademischen Beinamen verdankte, in der Zeit von
1712 bis 1717 begründet und zu großer Beliebtheit gebracht haben. Denn
er war in diesen Jahre" so stark beschäftigt, daß er das vorgeschriebene Bild,
das er der Akademie vor seiner förmlichen Aufnahme einzureichen hatte, nicht
liefern konnte und erst durch die Drohung, daß sein Name aus den Listen der
Akademiker gestrichen werden würde, im Jahre 1717 dazu bewogen wurde.
Er erfüllte damit aber keine Förmlichkeit, sondern er bot in seinem Aufnahmebilde,
der berühmten "Abfahrt nach der Insel Chthera," den Gipfel seiner Gattung,
das Höchste seines künstlerischen Vermögens. Dieses Bild, das sozusagen in
jedem Pinselstrich "Watteaus ganzes Temperament mit seinem schnellen Puls¬
schlag, mit seiner Unruhe, mit seinem dünnen und doch heißen Blute" verrät,
ist also unter dem Eindrucke der Kunstschätze entstanden, in deren Studium
sich Watteau bei Crozat versenken konnte. Crozat besaß etwa 400 Gemälde,
1400 antike Gemmen, eine große Sammlung von Kupferstichen, Terrakotten,
prächtige Möbel und eine reiche Bibliothek. Sein größter Schatz bestand aber
in 19000 Handzeichnungen der bedeutendsten Künstler Italiens und der Nieder¬
lande, unter denen sich 229 von Rubens, 129 von van Dhck, 106 von Paolo
Veronese und 103 von Tizian befanden. Zu dem Studium von Rubens, der,
wie sich aus deu wenigen erhaltenen Briefen Wattenus schließen läßt, auch
später der Gegenstand seiner höchsten Verehrung blieb, trat jetzt der Einfluß
der venezianischen Koloristen, und Veronese und Tizian haben denn anch bei
der "Abfahrt nach der Insel Cvthera" Pate gestanden. Aber ein Nachahmer
war Watteau darum nicht, denn Rubens, Tizian und Veronese waren in erster
Linie Maler großen Stils, und Watteau konnte für seiue Welt die weiten


Antoine Üiatteau

Gesellschaft, die beste und die edelste ältere Kunst und die feinste, modernste und ele¬
ganteste Gesellschaft" fand, war, als ihm der reiche Bankier Pierre Crozat, der
größte, feinsinnigste und zugleich liberalste Kunstsammler des vorigen Jahr¬
hunderts, die Gastfreundschaft seines palastartigen Hauses und damit freien
Verkehr in seinen Sammlungen gewährte. Der Zeitpunkt der Übersiedelung
Watteaus in das Hotel Crozat ist nicht genau bekannt. Doch hat Hannover
durch geschickte Vereinigung von andern Zeitangaben den überzeugenden Beweis
geführt, daß Watteau seinen Wohnsitz bei Crozat im Anfange des Jahres 1716
genommen haben muß. Er war um diese Zeit bereits ein angesehener Künstler,
der sich in einer eignen Gattung von Darstellungen bewegte und Käufer und
Liebhaber gefunden hatte. Denn ein Jahr später wurde er in die Akademie mit
dem Beinamen „der Maler der galanten Feste" aufgenommen, nachdem er
schon am W. Juli 1712 zum Mitgliede gewählt worden war. Da er bis
zu diesem Zeitpunkte in der Wahl seiner Gegenstände noch schwankend gewesen
war und Soldatenbildcr in der Art des van der Meuten, Landschaften mit
Figuren in: Geschmacke von David Teniers und Schäferstückc ohne scharf aus¬
geprägte Physiognomie durch einander gemalt hatte, muß er die Gattung von
Gemälden, der er seinen akademischen Beinamen verdankte, in der Zeit von
1712 bis 1717 begründet und zu großer Beliebtheit gebracht haben. Denn
er war in diesen Jahre» so stark beschäftigt, daß er das vorgeschriebene Bild,
das er der Akademie vor seiner förmlichen Aufnahme einzureichen hatte, nicht
liefern konnte und erst durch die Drohung, daß sein Name aus den Listen der
Akademiker gestrichen werden würde, im Jahre 1717 dazu bewogen wurde.
Er erfüllte damit aber keine Förmlichkeit, sondern er bot in seinem Aufnahmebilde,
der berühmten „Abfahrt nach der Insel Chthera," den Gipfel seiner Gattung,
das Höchste seines künstlerischen Vermögens. Dieses Bild, das sozusagen in
jedem Pinselstrich „Watteaus ganzes Temperament mit seinem schnellen Puls¬
schlag, mit seiner Unruhe, mit seinem dünnen und doch heißen Blute" verrät,
ist also unter dem Eindrucke der Kunstschätze entstanden, in deren Studium
sich Watteau bei Crozat versenken konnte. Crozat besaß etwa 400 Gemälde,
1400 antike Gemmen, eine große Sammlung von Kupferstichen, Terrakotten,
prächtige Möbel und eine reiche Bibliothek. Sein größter Schatz bestand aber
in 19000 Handzeichnungen der bedeutendsten Künstler Italiens und der Nieder¬
lande, unter denen sich 229 von Rubens, 129 von van Dhck, 106 von Paolo
Veronese und 103 von Tizian befanden. Zu dem Studium von Rubens, der,
wie sich aus deu wenigen erhaltenen Briefen Wattenus schließen läßt, auch
später der Gegenstand seiner höchsten Verehrung blieb, trat jetzt der Einfluß
der venezianischen Koloristen, und Veronese und Tizian haben denn anch bei
der „Abfahrt nach der Insel Cvthera" Pate gestanden. Aber ein Nachahmer
war Watteau darum nicht, denn Rubens, Tizian und Veronese waren in erster
Linie Maler großen Stils, und Watteau konnte für seiue Welt die weiten


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[0202] Antoine Üiatteau Gesellschaft, die beste und die edelste ältere Kunst und die feinste, modernste und ele¬ ganteste Gesellschaft" fand, war, als ihm der reiche Bankier Pierre Crozat, der größte, feinsinnigste und zugleich liberalste Kunstsammler des vorigen Jahr¬ hunderts, die Gastfreundschaft seines palastartigen Hauses und damit freien Verkehr in seinen Sammlungen gewährte. Der Zeitpunkt der Übersiedelung Watteaus in das Hotel Crozat ist nicht genau bekannt. Doch hat Hannover durch geschickte Vereinigung von andern Zeitangaben den überzeugenden Beweis geführt, daß Watteau seinen Wohnsitz bei Crozat im Anfange des Jahres 1716 genommen haben muß. Er war um diese Zeit bereits ein angesehener Künstler, der sich in einer eignen Gattung von Darstellungen bewegte und Käufer und Liebhaber gefunden hatte. Denn ein Jahr später wurde er in die Akademie mit dem Beinamen „der Maler der galanten Feste" aufgenommen, nachdem er schon am W. Juli 1712 zum Mitgliede gewählt worden war. Da er bis zu diesem Zeitpunkte in der Wahl seiner Gegenstände noch schwankend gewesen war und Soldatenbildcr in der Art des van der Meuten, Landschaften mit Figuren in: Geschmacke von David Teniers und Schäferstückc ohne scharf aus¬ geprägte Physiognomie durch einander gemalt hatte, muß er die Gattung von Gemälden, der er seinen akademischen Beinamen verdankte, in der Zeit von 1712 bis 1717 begründet und zu großer Beliebtheit gebracht haben. Denn er war in diesen Jahre» so stark beschäftigt, daß er das vorgeschriebene Bild, das er der Akademie vor seiner förmlichen Aufnahme einzureichen hatte, nicht liefern konnte und erst durch die Drohung, daß sein Name aus den Listen der Akademiker gestrichen werden würde, im Jahre 1717 dazu bewogen wurde. Er erfüllte damit aber keine Förmlichkeit, sondern er bot in seinem Aufnahmebilde, der berühmten „Abfahrt nach der Insel Chthera," den Gipfel seiner Gattung, das Höchste seines künstlerischen Vermögens. Dieses Bild, das sozusagen in jedem Pinselstrich „Watteaus ganzes Temperament mit seinem schnellen Puls¬ schlag, mit seiner Unruhe, mit seinem dünnen und doch heißen Blute" verrät, ist also unter dem Eindrucke der Kunstschätze entstanden, in deren Studium sich Watteau bei Crozat versenken konnte. Crozat besaß etwa 400 Gemälde, 1400 antike Gemmen, eine große Sammlung von Kupferstichen, Terrakotten, prächtige Möbel und eine reiche Bibliothek. Sein größter Schatz bestand aber in 19000 Handzeichnungen der bedeutendsten Künstler Italiens und der Nieder¬ lande, unter denen sich 229 von Rubens, 129 von van Dhck, 106 von Paolo Veronese und 103 von Tizian befanden. Zu dem Studium von Rubens, der, wie sich aus deu wenigen erhaltenen Briefen Wattenus schließen läßt, auch später der Gegenstand seiner höchsten Verehrung blieb, trat jetzt der Einfluß der venezianischen Koloristen, und Veronese und Tizian haben denn anch bei der „Abfahrt nach der Insel Cvthera" Pate gestanden. Aber ein Nachahmer war Watteau darum nicht, denn Rubens, Tizian und Veronese waren in erster Linie Maler großen Stils, und Watteau konnte für seiue Welt die weiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/202>, abgerufen am 23.07.2024.