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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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tung eine große Belastung der Staatskasse durch den Bau und die Unter¬
haltung von Dienstwohnungen gar nicht einmal eintreten würde. Denn das
Anlagekapital würde sich wenigstens durch den dann wegfallenden Wohuungsgcld-
znschuß allmählich abzahlen lassen. Eine entsprechende Vorwärtsbewegung scheint
ja auch erfreulicherweise vorhanden zu sein. Während 1867 in Preußen nur
8 Prozent aller Staatsbeamten Dienstwohnungen besaßen (Engel), fielen 1875
auf 75 839 Beamte im Hauptamte und 1277 im Nebenamte 7480 Wohnungen
(Preußische statistische Zeitschrift 1876), also doch 9-10 Prozent. Auch ist in
den verschiednen Gegenden die Sachlage verschieden. Beispielsweise herrschen
in der Provinz Hannover auf dem Lande zum wesentlichen Vorteile der Be¬
amten die Dienstwohnungen für Gericht und Verwaltung vor. Gerade dort
wird ja auch dadurch ein gar nicht abzuweisendes Bedürfnis befriedigt, da
der Beamte auf dem Lande sonst möglicherweise überhaupt kein Unterkommen
finden würde. Tritt das ein, und fehlt eine Amtswohnung, so hat die Jnstiz-
verwaltung auch wohl schon zu dein Mittel gegriffen, die betreffende Gemeinde
zur Beschaffung angemessener Wohnräume dadurch zu zwingen, daß sie im
andern Falle mit Verlegung der Behörde drohte.

Es läßt sich nun zwar nicht verkennen, daß, wie Professor seelig aus Kiel
auf der Eisenacher Versammlung von 1872 bemerkte, der Staat sich bisher
als der allerteuerste Verwalter beim Bauwesen gezeigt hat. Wohl mancher
mag dafür die sonderbarsten Belege ans eigner Erfahrung kennen. Ich erinnere
auch an die Worte, die der Geh. Oberregierungsrat Dr. Thiel, Mitglied des
preußischen Landwirtschaftsmiuisteriums, noch 1886 auf einer Versammlung
des "Vereins für Sozialpolitik" geäußert hat: "So lange unsre Staats¬
architekten uicht lernen, zweckmäßig und billig zu bauen, so lange es vorkommt,
daß nicht nur die Dienstwohnungen für höhere Beamte, an denen man sich
bei der Mvblirung ruiniren kauu, sondern auch die kleinen Dienstwohnungen
für untergeordnete Beamte, für Leute, die einen Wohnungsgeldzuschuß von
120 bis 150 Mark bekommen, so teuer im Bau sind, daß die Zinsen des
Baukapitals, ganz abgesehen von dem Grunderwerb und den Unterhaltungs¬
kosten, das Mehrfache von dem betragen, was solche Beamte als höchste Miete
anlegen würden, und natürlich das Vielfache von dem offiziellen Wohnungs-
geldzuschuß, so lange-dies der Fall und so lange trotz aller Bemühungen hieran
nichts geändert werden kann -- und es scheint unmöglich, dagegen anzukämpfen --
wird man es " keinem Finanzminister verargen, wenn er sich der Schaffung
von Dienstwohnungen möglichst widersetzt. Das wird sich nur ändern, wenn
es gelingt, annähernd die Bauzinsen in ein Verhältnis zu den sonst gezählten
Mieter zu bringen."

sollten aber wirklich die Bestrebungen zur Beseitigung eines unbestreitbaren
Notstandes vor der Mangelhaftigkeit im staatlichen Bauwesen zurücktreten müssen?
Das wäre doch im Grunde eine höchst beschämende Thatsache. Man muß sich


tung eine große Belastung der Staatskasse durch den Bau und die Unter¬
haltung von Dienstwohnungen gar nicht einmal eintreten würde. Denn das
Anlagekapital würde sich wenigstens durch den dann wegfallenden Wohuungsgcld-
znschuß allmählich abzahlen lassen. Eine entsprechende Vorwärtsbewegung scheint
ja auch erfreulicherweise vorhanden zu sein. Während 1867 in Preußen nur
8 Prozent aller Staatsbeamten Dienstwohnungen besaßen (Engel), fielen 1875
auf 75 839 Beamte im Hauptamte und 1277 im Nebenamte 7480 Wohnungen
(Preußische statistische Zeitschrift 1876), also doch 9-10 Prozent. Auch ist in
den verschiednen Gegenden die Sachlage verschieden. Beispielsweise herrschen
in der Provinz Hannover auf dem Lande zum wesentlichen Vorteile der Be¬
amten die Dienstwohnungen für Gericht und Verwaltung vor. Gerade dort
wird ja auch dadurch ein gar nicht abzuweisendes Bedürfnis befriedigt, da
der Beamte auf dem Lande sonst möglicherweise überhaupt kein Unterkommen
finden würde. Tritt das ein, und fehlt eine Amtswohnung, so hat die Jnstiz-
verwaltung auch wohl schon zu dein Mittel gegriffen, die betreffende Gemeinde
zur Beschaffung angemessener Wohnräume dadurch zu zwingen, daß sie im
andern Falle mit Verlegung der Behörde drohte.

Es läßt sich nun zwar nicht verkennen, daß, wie Professor seelig aus Kiel
auf der Eisenacher Versammlung von 1872 bemerkte, der Staat sich bisher
als der allerteuerste Verwalter beim Bauwesen gezeigt hat. Wohl mancher
mag dafür die sonderbarsten Belege ans eigner Erfahrung kennen. Ich erinnere
auch an die Worte, die der Geh. Oberregierungsrat Dr. Thiel, Mitglied des
preußischen Landwirtschaftsmiuisteriums, noch 1886 auf einer Versammlung
des „Vereins für Sozialpolitik" geäußert hat: „So lange unsre Staats¬
architekten uicht lernen, zweckmäßig und billig zu bauen, so lange es vorkommt,
daß nicht nur die Dienstwohnungen für höhere Beamte, an denen man sich
bei der Mvblirung ruiniren kauu, sondern auch die kleinen Dienstwohnungen
für untergeordnete Beamte, für Leute, die einen Wohnungsgeldzuschuß von
120 bis 150 Mark bekommen, so teuer im Bau sind, daß die Zinsen des
Baukapitals, ganz abgesehen von dem Grunderwerb und den Unterhaltungs¬
kosten, das Mehrfache von dem betragen, was solche Beamte als höchste Miete
anlegen würden, und natürlich das Vielfache von dem offiziellen Wohnungs-
geldzuschuß, so lange-dies der Fall und so lange trotz aller Bemühungen hieran
nichts geändert werden kann — und es scheint unmöglich, dagegen anzukämpfen —
wird man es " keinem Finanzminister verargen, wenn er sich der Schaffung
von Dienstwohnungen möglichst widersetzt. Das wird sich nur ändern, wenn
es gelingt, annähernd die Bauzinsen in ein Verhältnis zu den sonst gezählten
Mieter zu bringen."

sollten aber wirklich die Bestrebungen zur Beseitigung eines unbestreitbaren
Notstandes vor der Mangelhaftigkeit im staatlichen Bauwesen zurücktreten müssen?
Das wäre doch im Grunde eine höchst beschämende Thatsache. Man muß sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/124>, abgerufen am 23.07.2024.