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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Wohnungsnot der Beamten

hat sich Wilhelm Röscher, auch noch in seiner unlängst erschienenen Finanz¬
wissenschaft, dieses Gegenstandes angenommen. Er weist darauf hin, daß die
Kirche seit unvordenklichen Zeiten ihren Dienern Amtswohnungen gewährt habe.
Er bemerkt mit vollem Rechte, daß die Überlassung von Dienstwohnungen als
Dienstentschädigung, ohne die sonstigen Schattenseiten der Besoldung in nawr",
wirklich genau so weit, aber auch nicht weiter gehe, als der Staat beabsichtige;
ferner, daß durch das Naheaneinanderrückeu der Wohnungen der Beamten, wie
es dann zu erreichen sei, der Austausch der Meinungen unter ihnen und das
wünschenswerte Zusammenhalten als Stand gefördert würde, "bedeutsam zumal
für solche Ämter, die nicht in einzelnen Leistungen gleichsam aufgehen, sondern
Kopf und Herz des ganzen Menschen in Anspruch nehmen, wie z. B. das
Richteramt." Freilich möchte ich daneben zu erwägen geben, daß doch auch
leicht sehr unerquickliche und dienstlich schädliche MißHelligkeiten unter deu Amts-
genossen entstehen können, wenn diese sogar ein und dasselbe Haus zu bewohnen
haben. Endlich macht dann Röscher auch noch geltend, daß der seiner Amtsstube
nahe wohnende Beamte bei gleicher Kraft und Mühe viel mehr leiste, als der,
der täglich weite Wege dorthin zurücklegen müsse.

Leider, wem, auch, wie schon gesagt, ganz begreiflicherweise, ist nun diese be¬
sondre Wohnungsfrage in der letzten Zeit vor der allgemeinern der besitzlosen
Volksklassen, vornehmlich der der gewerblichen Arbeiter, mehr und mehr in den
Hintergrund getreten. Doch wird sie sich ohne Zweifel infolge der durch die an¬
schwellenden Lebeusmittelpreise immer unerträglicher werdenden Zustände wieder
der öffentlichen Besprechung aufdrängen. Die allgemeine Wohlfahrt ist hier
ja ganz besonders bedroht; läßt man den Benmtenstcmd sozial verkümmern, so
büßt früher oder später das ganze Volk dafür. Und gerade die richterlichen
Beamten müssen sich in ihrem Bezirk in einer gesellschaftlich angesehenen oder
doch ausreichenden Lage befinden, wenn sie die durchaus, beispielsweise in Vor-
"umdschaftssachen, erforderliche Vertrauensstellung einnehmen, wenn sie nicht
neben dem vielverdienenden Anwalt oder gar dein Gerichtsvollzieher, ihrem
Untergebnen, gar zur sehr in den Schatten treten sollen. Wenn die deutschen
Gerichtsbehörden bei Verhandlungen gegen einen Rechtsanwalt im schlimmsten
Falle wegen "Ungebühr" sofort strafend einschreiten dürfen, so scheint mir ein
derartiges Aufsichtsrecht thatsächlich undurchführbar, wo sich die Gerichtsmitglieder
M einer durch ihre Vermögenslage verursachten wesentlich niedrigern sozialen
Stellung im Vergleich zu dem Diszipliuirten befinden.

Das Verlangen nach Abhilfe der Wohnungsbedräugnis enthält nicht den
Wunsch nach einer unmittelbaren Gehaltsaufbesserung, die in einer Zeit, wo
ohnehin schon riesenhafte Ansprüche an den Staatssäckel gemacht und so manche
dringende doch abgewiesen werden müssen, immer etwas Gehässiges hätte. Auch
sind die wünschenswerten Gegenmaßregeln hier um so leichter getroffen, als
doch nach dem Urteil einer Reihe von Kennern bei wirklich umsichtiger Verwal-


Die Wohnungsnot der Beamten

hat sich Wilhelm Röscher, auch noch in seiner unlängst erschienenen Finanz¬
wissenschaft, dieses Gegenstandes angenommen. Er weist darauf hin, daß die
Kirche seit unvordenklichen Zeiten ihren Dienern Amtswohnungen gewährt habe.
Er bemerkt mit vollem Rechte, daß die Überlassung von Dienstwohnungen als
Dienstentschädigung, ohne die sonstigen Schattenseiten der Besoldung in nawr»,
wirklich genau so weit, aber auch nicht weiter gehe, als der Staat beabsichtige;
ferner, daß durch das Naheaneinanderrückeu der Wohnungen der Beamten, wie
es dann zu erreichen sei, der Austausch der Meinungen unter ihnen und das
wünschenswerte Zusammenhalten als Stand gefördert würde, „bedeutsam zumal
für solche Ämter, die nicht in einzelnen Leistungen gleichsam aufgehen, sondern
Kopf und Herz des ganzen Menschen in Anspruch nehmen, wie z. B. das
Richteramt." Freilich möchte ich daneben zu erwägen geben, daß doch auch
leicht sehr unerquickliche und dienstlich schädliche MißHelligkeiten unter deu Amts-
genossen entstehen können, wenn diese sogar ein und dasselbe Haus zu bewohnen
haben. Endlich macht dann Röscher auch noch geltend, daß der seiner Amtsstube
nahe wohnende Beamte bei gleicher Kraft und Mühe viel mehr leiste, als der,
der täglich weite Wege dorthin zurücklegen müsse.

Leider, wem, auch, wie schon gesagt, ganz begreiflicherweise, ist nun diese be¬
sondre Wohnungsfrage in der letzten Zeit vor der allgemeinern der besitzlosen
Volksklassen, vornehmlich der der gewerblichen Arbeiter, mehr und mehr in den
Hintergrund getreten. Doch wird sie sich ohne Zweifel infolge der durch die an¬
schwellenden Lebeusmittelpreise immer unerträglicher werdenden Zustände wieder
der öffentlichen Besprechung aufdrängen. Die allgemeine Wohlfahrt ist hier
ja ganz besonders bedroht; läßt man den Benmtenstcmd sozial verkümmern, so
büßt früher oder später das ganze Volk dafür. Und gerade die richterlichen
Beamten müssen sich in ihrem Bezirk in einer gesellschaftlich angesehenen oder
doch ausreichenden Lage befinden, wenn sie die durchaus, beispielsweise in Vor-
"umdschaftssachen, erforderliche Vertrauensstellung einnehmen, wenn sie nicht
neben dem vielverdienenden Anwalt oder gar dein Gerichtsvollzieher, ihrem
Untergebnen, gar zur sehr in den Schatten treten sollen. Wenn die deutschen
Gerichtsbehörden bei Verhandlungen gegen einen Rechtsanwalt im schlimmsten
Falle wegen „Ungebühr" sofort strafend einschreiten dürfen, so scheint mir ein
derartiges Aufsichtsrecht thatsächlich undurchführbar, wo sich die Gerichtsmitglieder
M einer durch ihre Vermögenslage verursachten wesentlich niedrigern sozialen
Stellung im Vergleich zu dem Diszipliuirten befinden.

Das Verlangen nach Abhilfe der Wohnungsbedräugnis enthält nicht den
Wunsch nach einer unmittelbaren Gehaltsaufbesserung, die in einer Zeit, wo
ohnehin schon riesenhafte Ansprüche an den Staatssäckel gemacht und so manche
dringende doch abgewiesen werden müssen, immer etwas Gehässiges hätte. Auch
sind die wünschenswerten Gegenmaßregeln hier um so leichter getroffen, als
doch nach dem Urteil einer Reihe von Kennern bei wirklich umsichtiger Verwal-


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[0123] Die Wohnungsnot der Beamten hat sich Wilhelm Röscher, auch noch in seiner unlängst erschienenen Finanz¬ wissenschaft, dieses Gegenstandes angenommen. Er weist darauf hin, daß die Kirche seit unvordenklichen Zeiten ihren Dienern Amtswohnungen gewährt habe. Er bemerkt mit vollem Rechte, daß die Überlassung von Dienstwohnungen als Dienstentschädigung, ohne die sonstigen Schattenseiten der Besoldung in nawr», wirklich genau so weit, aber auch nicht weiter gehe, als der Staat beabsichtige; ferner, daß durch das Naheaneinanderrückeu der Wohnungen der Beamten, wie es dann zu erreichen sei, der Austausch der Meinungen unter ihnen und das wünschenswerte Zusammenhalten als Stand gefördert würde, „bedeutsam zumal für solche Ämter, die nicht in einzelnen Leistungen gleichsam aufgehen, sondern Kopf und Herz des ganzen Menschen in Anspruch nehmen, wie z. B. das Richteramt." Freilich möchte ich daneben zu erwägen geben, daß doch auch leicht sehr unerquickliche und dienstlich schädliche MißHelligkeiten unter deu Amts- genossen entstehen können, wenn diese sogar ein und dasselbe Haus zu bewohnen haben. Endlich macht dann Röscher auch noch geltend, daß der seiner Amtsstube nahe wohnende Beamte bei gleicher Kraft und Mühe viel mehr leiste, als der, der täglich weite Wege dorthin zurücklegen müsse. Leider, wem, auch, wie schon gesagt, ganz begreiflicherweise, ist nun diese be¬ sondre Wohnungsfrage in der letzten Zeit vor der allgemeinern der besitzlosen Volksklassen, vornehmlich der der gewerblichen Arbeiter, mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Doch wird sie sich ohne Zweifel infolge der durch die an¬ schwellenden Lebeusmittelpreise immer unerträglicher werdenden Zustände wieder der öffentlichen Besprechung aufdrängen. Die allgemeine Wohlfahrt ist hier ja ganz besonders bedroht; läßt man den Benmtenstcmd sozial verkümmern, so büßt früher oder später das ganze Volk dafür. Und gerade die richterlichen Beamten müssen sich in ihrem Bezirk in einer gesellschaftlich angesehenen oder doch ausreichenden Lage befinden, wenn sie die durchaus, beispielsweise in Vor- "umdschaftssachen, erforderliche Vertrauensstellung einnehmen, wenn sie nicht neben dem vielverdienenden Anwalt oder gar dein Gerichtsvollzieher, ihrem Untergebnen, gar zur sehr in den Schatten treten sollen. Wenn die deutschen Gerichtsbehörden bei Verhandlungen gegen einen Rechtsanwalt im schlimmsten Falle wegen „Ungebühr" sofort strafend einschreiten dürfen, so scheint mir ein derartiges Aufsichtsrecht thatsächlich undurchführbar, wo sich die Gerichtsmitglieder M einer durch ihre Vermögenslage verursachten wesentlich niedrigern sozialen Stellung im Vergleich zu dem Diszipliuirten befinden. Das Verlangen nach Abhilfe der Wohnungsbedräugnis enthält nicht den Wunsch nach einer unmittelbaren Gehaltsaufbesserung, die in einer Zeit, wo ohnehin schon riesenhafte Ansprüche an den Staatssäckel gemacht und so manche dringende doch abgewiesen werden müssen, immer etwas Gehässiges hätte. Auch sind die wünschenswerten Gegenmaßregeln hier um so leichter getroffen, als doch nach dem Urteil einer Reihe von Kennern bei wirklich umsichtiger Verwal-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/123>, abgerufen am 23.07.2024.