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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Wohnungsnot der Beamten

Privatgrundeigentum sich hinzuneigen, wie sie der Amerikaner Henry George
mit so großer Lebhaftigkeit vertritt.

Diese böseste Seite der Sache ist ja freilich auch schon früher öffentlich
besprochen worden. Wohlmeinende Volkswirte haben auf die Gefährlichkeit
solcher Verhältnisse hingewiesen, weil sie geeignet sind, die Unabhängigkeit und
die Unbescholtenheit der Beamten zu untergraben. Für den Richterstand aber
werden sie völlig zu einem Hohn auf das Gesetz. Denn während dieses in
Deutschland dem Richter Vonseiten des Staates die Unversetzbarkeit gewährt,
muß er sich in dem Orte, ans dem ihn seine vorgesetzte Behörde nicht ent¬
fernen kann, übermütigen Hauseigentümern beugen oder sich von ihnen von
Wohnung zu Wohnung Hetzen und seinen Gehalt durch die unnützen Umzugs¬
kosten mit auszehren lassen. Zum Erwerb eines eignen Hauses ist ja der
Beamte aus verschiednen Gründen selten in der Lage: wegen unzureichender
Vermögensmittel oder weil er sich oder seine Familie für den Fall der Ver¬
setzung oder des Todes nicht mit solchem Besitze beschweren darf. Je größern
Wert man aber in Deutschland auf diese Unversetzbarkeit der Richter legt,
je empörender beispielsweise die aus politischen Gründen 1885 in Frank¬
reich durchgeführte 8U8xen8inen as l'MwviKilitv war, um so bedauerlicher
sollte es erscheinen, die richterlichen Beamten dann doch in einer weit
schlimmern Abhängigkeit, in der von gewinnsüchtigen Hauseigentümern, zu
lassen. Man vergesse dabei nicht, daß unter letztern nicht nur die unge-
bildeten "Spekulanten" ihnen Not machen, sondern auch die philisterhafte
Spießbürgerlichkeit hier Gelegenheit zu Reibungen und Schraubereien fucht,
wie sie ja überhaupt die geflissentliche Gegnerschaft gegen die Regierung und
alles, was damit zusammenhängt, häufig als ihre besonders vergnügliche Auf¬
gabe betrachtet.

Zweierlei foll allerdings nicht verkannt werden. Glücklicherweise sind
nicht alle Hausbesitzer von derartigen Gesinnungen beseelt, immerhin hört aber
auch bei den wohlmeinenden und billig denkenden in Geldsachen die "Gemüt¬
lichkeit" auf, zumal wo sie selbst unter dem starken Drucke der Teuerung zu
leiden haben. Und weiter mag hin und wieder die Baulust erwachen und
dann zeitweilig der Wohnungsnot die äußerste Schärfe nehmen; aber leider
verliert sie sich auch nach einigen Neubauten, die die den Städten zuströmende
Bevölkerung bald ausgefüllt hat, ebenso rasch, und die Sache steht wie vor¬
dem; Angebot und Nachfrage bringen es auch hier zu keinem gesunden Verhältnisse.

Der Mißstand, den die Wohnungsnot in den Kreisen der Beamten erzeugt,
ist, wie bereits bemerkt, früher, besonders Anfang der siebziger Jahre, vielfach
besprochen worden. Vor allem ist dabei von den verschiedensten Seiten -- Röscher,
Adolf Wagner, Miquel, Engel, Dr. Max Hirsch -- betont worden, daß der
Staat seinen Beamten Dienstwohnungen schaffen möge, und daß er dies auch
ohne allzu große Geldopfer durchführen könne. Mit besonderm Eifer


Die Wohnungsnot der Beamten

Privatgrundeigentum sich hinzuneigen, wie sie der Amerikaner Henry George
mit so großer Lebhaftigkeit vertritt.

Diese böseste Seite der Sache ist ja freilich auch schon früher öffentlich
besprochen worden. Wohlmeinende Volkswirte haben auf die Gefährlichkeit
solcher Verhältnisse hingewiesen, weil sie geeignet sind, die Unabhängigkeit und
die Unbescholtenheit der Beamten zu untergraben. Für den Richterstand aber
werden sie völlig zu einem Hohn auf das Gesetz. Denn während dieses in
Deutschland dem Richter Vonseiten des Staates die Unversetzbarkeit gewährt,
muß er sich in dem Orte, ans dem ihn seine vorgesetzte Behörde nicht ent¬
fernen kann, übermütigen Hauseigentümern beugen oder sich von ihnen von
Wohnung zu Wohnung Hetzen und seinen Gehalt durch die unnützen Umzugs¬
kosten mit auszehren lassen. Zum Erwerb eines eignen Hauses ist ja der
Beamte aus verschiednen Gründen selten in der Lage: wegen unzureichender
Vermögensmittel oder weil er sich oder seine Familie für den Fall der Ver¬
setzung oder des Todes nicht mit solchem Besitze beschweren darf. Je größern
Wert man aber in Deutschland auf diese Unversetzbarkeit der Richter legt,
je empörender beispielsweise die aus politischen Gründen 1885 in Frank¬
reich durchgeführte 8U8xen8inen as l'MwviKilitv war, um so bedauerlicher
sollte es erscheinen, die richterlichen Beamten dann doch in einer weit
schlimmern Abhängigkeit, in der von gewinnsüchtigen Hauseigentümern, zu
lassen. Man vergesse dabei nicht, daß unter letztern nicht nur die unge-
bildeten „Spekulanten" ihnen Not machen, sondern auch die philisterhafte
Spießbürgerlichkeit hier Gelegenheit zu Reibungen und Schraubereien fucht,
wie sie ja überhaupt die geflissentliche Gegnerschaft gegen die Regierung und
alles, was damit zusammenhängt, häufig als ihre besonders vergnügliche Auf¬
gabe betrachtet.

Zweierlei foll allerdings nicht verkannt werden. Glücklicherweise sind
nicht alle Hausbesitzer von derartigen Gesinnungen beseelt, immerhin hört aber
auch bei den wohlmeinenden und billig denkenden in Geldsachen die „Gemüt¬
lichkeit" auf, zumal wo sie selbst unter dem starken Drucke der Teuerung zu
leiden haben. Und weiter mag hin und wieder die Baulust erwachen und
dann zeitweilig der Wohnungsnot die äußerste Schärfe nehmen; aber leider
verliert sie sich auch nach einigen Neubauten, die die den Städten zuströmende
Bevölkerung bald ausgefüllt hat, ebenso rasch, und die Sache steht wie vor¬
dem; Angebot und Nachfrage bringen es auch hier zu keinem gesunden Verhältnisse.

Der Mißstand, den die Wohnungsnot in den Kreisen der Beamten erzeugt,
ist, wie bereits bemerkt, früher, besonders Anfang der siebziger Jahre, vielfach
besprochen worden. Vor allem ist dabei von den verschiedensten Seiten — Röscher,
Adolf Wagner, Miquel, Engel, Dr. Max Hirsch — betont worden, daß der
Staat seinen Beamten Dienstwohnungen schaffen möge, und daß er dies auch
ohne allzu große Geldopfer durchführen könne. Mit besonderm Eifer


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[0122] Die Wohnungsnot der Beamten Privatgrundeigentum sich hinzuneigen, wie sie der Amerikaner Henry George mit so großer Lebhaftigkeit vertritt. Diese böseste Seite der Sache ist ja freilich auch schon früher öffentlich besprochen worden. Wohlmeinende Volkswirte haben auf die Gefährlichkeit solcher Verhältnisse hingewiesen, weil sie geeignet sind, die Unabhängigkeit und die Unbescholtenheit der Beamten zu untergraben. Für den Richterstand aber werden sie völlig zu einem Hohn auf das Gesetz. Denn während dieses in Deutschland dem Richter Vonseiten des Staates die Unversetzbarkeit gewährt, muß er sich in dem Orte, ans dem ihn seine vorgesetzte Behörde nicht ent¬ fernen kann, übermütigen Hauseigentümern beugen oder sich von ihnen von Wohnung zu Wohnung Hetzen und seinen Gehalt durch die unnützen Umzugs¬ kosten mit auszehren lassen. Zum Erwerb eines eignen Hauses ist ja der Beamte aus verschiednen Gründen selten in der Lage: wegen unzureichender Vermögensmittel oder weil er sich oder seine Familie für den Fall der Ver¬ setzung oder des Todes nicht mit solchem Besitze beschweren darf. Je größern Wert man aber in Deutschland auf diese Unversetzbarkeit der Richter legt, je empörender beispielsweise die aus politischen Gründen 1885 in Frank¬ reich durchgeführte 8U8xen8inen as l'MwviKilitv war, um so bedauerlicher sollte es erscheinen, die richterlichen Beamten dann doch in einer weit schlimmern Abhängigkeit, in der von gewinnsüchtigen Hauseigentümern, zu lassen. Man vergesse dabei nicht, daß unter letztern nicht nur die unge- bildeten „Spekulanten" ihnen Not machen, sondern auch die philisterhafte Spießbürgerlichkeit hier Gelegenheit zu Reibungen und Schraubereien fucht, wie sie ja überhaupt die geflissentliche Gegnerschaft gegen die Regierung und alles, was damit zusammenhängt, häufig als ihre besonders vergnügliche Auf¬ gabe betrachtet. Zweierlei foll allerdings nicht verkannt werden. Glücklicherweise sind nicht alle Hausbesitzer von derartigen Gesinnungen beseelt, immerhin hört aber auch bei den wohlmeinenden und billig denkenden in Geldsachen die „Gemüt¬ lichkeit" auf, zumal wo sie selbst unter dem starken Drucke der Teuerung zu leiden haben. Und weiter mag hin und wieder die Baulust erwachen und dann zeitweilig der Wohnungsnot die äußerste Schärfe nehmen; aber leider verliert sie sich auch nach einigen Neubauten, die die den Städten zuströmende Bevölkerung bald ausgefüllt hat, ebenso rasch, und die Sache steht wie vor¬ dem; Angebot und Nachfrage bringen es auch hier zu keinem gesunden Verhältnisse. Der Mißstand, den die Wohnungsnot in den Kreisen der Beamten erzeugt, ist, wie bereits bemerkt, früher, besonders Anfang der siebziger Jahre, vielfach besprochen worden. Vor allem ist dabei von den verschiedensten Seiten — Röscher, Adolf Wagner, Miquel, Engel, Dr. Max Hirsch — betont worden, daß der Staat seinen Beamten Dienstwohnungen schaffen möge, und daß er dies auch ohne allzu große Geldopfer durchführen könne. Mit besonderm Eifer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/122>, abgerufen am 23.07.2024.