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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Schicksale der Marienburg

Welche Wandlungen haben diese Mauerwerke durchlebt, und ">le bezeichnend
sind ihre Schicksale für den Geist der Jahrhunderte, die hier an dem sinnenden
Beschauer vorüberziehen! Es war zunächst eine Burg, für einen Komthur und
zwölf Ritter bestimmt, die der Landmeister Konrad von Thierberg 1274 hier
an der Nogat zur Beherrschung der wichtigen Wasserstraße anlegte. Das
heutige "Hochschloß," das alle ander" Teile der gewaltigen Burg an Höhe
überragt, ist dieses alte Kvmthnrschlvß. Als dann Siegfried von Fenchtwangen
den Hochmeistersitz des deutscheu Ordens UiO!) von Venedig nach Marienburg
verlegte, genügten die alten Räume nicht mehr, und es wurde nach Norden
zu das "Mittelschloß" angebaut. Beide Hälften sind dnrch einen trocknen Graben
von einander geschieden. Das "Hvchschloß" bildet ein regelmäßiges Rechteck,
das einen Hof von 32 Meter Länge und 27 Meter Breite umschließt. Das
"Mittelschloß" lehnt sich als ein langgestrecktes Viereck an, von dem aber nur
drei Seiten bebaut sind, während der trockne Graben die vierte Seite darstellt.
Im westlichen Flügel des "Mittelschlosses" befinde" sich die für deu Hoch¬
meister bestimmten Prachträume: "Meisters großer nud kleiner Reuter, der
obere Gang, Meisters Stube. Meisters Gemach. Meisters Schlaf- und Hinter-
tammer, Meisters Hansknpelle." Die Krone der ganzen Burg ist "Meisters
großer Reuter." worin er vornehme Personen empfing. Ein einziger Granit-
Pfeiler trägt das wundervolle Sterngewölbe, zehn Fenster geben ihm von drei
Seiten her Licht, seine Hohe ist neun Meter, Länge und Breite vierzehn Meter.
Der Pfeiler mit den Gewölbrippen erscheint wie eine versteinerte Palme, alle
Schwere ist hier wie aufgehoben, man glaubt sich der Erde entrückt. Eine
Perle ist auch der an die Hauskapelle sich anschließende "Kvnventsremler."
^-r ruht auf drei mächtige" in der Mitte stehenden, gleich weit von einander
entfernten Pfeilern, vierzehn Fenster erhellen ihn, seine Maße sind gewaltig:
dreißig Meter beträgt die Länge, sechzehn Meter die Breite, nenn Meter die
Höhe. Hier speisten die Ritter und erholten sich von ihrer Beschäftigung.
Die beiden andern Flügel des "Mittelschlosses" waren für den Großkomthur,
für erkrankte Ritter und Fremde bestimmt. Im "Hochschlvsse" wohnte" die
Ritter, nicht wie Mönche in Einzelzellen, sondern in gemeinsame" hochgewölbten
Räume". Im Nordflügel, nach dein Mittelschlvsse zu. befand sich der "Kapitel¬
saal," wo die Gebietiger des ganzen Ordeuslandes zu gemeinsamen Beratungen,
insbesondre zur Hvchmeisterwnhl, znsanunenkamen. und dicht daneben die Kirche
mit ihre", reichgeschmückten Eingänge, der "goldnen Pforte" und dem riesige"
Marie"bilde n" der Außenseite, das als Wahrzeiche" der Burg weit in die
Lande leuchtete, linker der Kirche lag die Se. Auueukapelle mit der Hoch-
meistergrnft. Um das "Hvchschloß" lief nach dem Hofe zu ein prachtvoller
Kreuzgang, zwei Stockwerke hoch, von dein mau in die einzelnen Räume ge¬
langte, um das "Mittel-" und "Hvchschloß" herum zog sich eine Menge von
Brüten, die der Verteidigung, der Aufbewahrung der Lebensmittel und Ge-


Die Schicksale der Marienburg

Welche Wandlungen haben diese Mauerwerke durchlebt, und »>le bezeichnend
sind ihre Schicksale für den Geist der Jahrhunderte, die hier an dem sinnenden
Beschauer vorüberziehen! Es war zunächst eine Burg, für einen Komthur und
zwölf Ritter bestimmt, die der Landmeister Konrad von Thierberg 1274 hier
an der Nogat zur Beherrschung der wichtigen Wasserstraße anlegte. Das
heutige „Hochschloß," das alle ander» Teile der gewaltigen Burg an Höhe
überragt, ist dieses alte Kvmthnrschlvß. Als dann Siegfried von Fenchtwangen
den Hochmeistersitz des deutscheu Ordens UiO!) von Venedig nach Marienburg
verlegte, genügten die alten Räume nicht mehr, und es wurde nach Norden
zu das „Mittelschloß" angebaut. Beide Hälften sind dnrch einen trocknen Graben
von einander geschieden. Das „Hvchschloß" bildet ein regelmäßiges Rechteck,
das einen Hof von 32 Meter Länge und 27 Meter Breite umschließt. Das
„Mittelschloß" lehnt sich als ein langgestrecktes Viereck an, von dem aber nur
drei Seiten bebaut sind, während der trockne Graben die vierte Seite darstellt.
Im westlichen Flügel des „Mittelschlosses" befinde» sich die für deu Hoch¬
meister bestimmten Prachträume: „Meisters großer nud kleiner Reuter, der
obere Gang, Meisters Stube. Meisters Gemach. Meisters Schlaf- und Hinter-
tammer, Meisters Hansknpelle." Die Krone der ganzen Burg ist „Meisters
großer Reuter." worin er vornehme Personen empfing. Ein einziger Granit-
Pfeiler trägt das wundervolle Sterngewölbe, zehn Fenster geben ihm von drei
Seiten her Licht, seine Hohe ist neun Meter, Länge und Breite vierzehn Meter.
Der Pfeiler mit den Gewölbrippen erscheint wie eine versteinerte Palme, alle
Schwere ist hier wie aufgehoben, man glaubt sich der Erde entrückt. Eine
Perle ist auch der an die Hauskapelle sich anschließende „Kvnventsremler."
^-r ruht auf drei mächtige» in der Mitte stehenden, gleich weit von einander
entfernten Pfeilern, vierzehn Fenster erhellen ihn, seine Maße sind gewaltig:
dreißig Meter beträgt die Länge, sechzehn Meter die Breite, nenn Meter die
Höhe. Hier speisten die Ritter und erholten sich von ihrer Beschäftigung.
Die beiden andern Flügel des „Mittelschlosses" waren für den Großkomthur,
für erkrankte Ritter und Fremde bestimmt. Im „Hochschlvsse" wohnte» die
Ritter, nicht wie Mönche in Einzelzellen, sondern in gemeinsame» hochgewölbten
Räume». Im Nordflügel, nach dein Mittelschlvsse zu. befand sich der „Kapitel¬
saal," wo die Gebietiger des ganzen Ordeuslandes zu gemeinsamen Beratungen,
insbesondre zur Hvchmeisterwnhl, znsanunenkamen. und dicht daneben die Kirche
mit ihre», reichgeschmückten Eingänge, der „goldnen Pforte" und dem riesige»
Marie»bilde n» der Außenseite, das als Wahrzeiche» der Burg weit in die
Lande leuchtete, linker der Kirche lag die Se. Auueukapelle mit der Hoch-
meistergrnft. Um das „Hvchschloß" lief nach dem Hofe zu ein prachtvoller
Kreuzgang, zwei Stockwerke hoch, von dein mau in die einzelnen Räume ge¬
langte, um das „Mittel-" und „Hvchschloß" herum zog sich eine Menge von
Brüten, die der Verteidigung, der Aufbewahrung der Lebensmittel und Ge-


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[0093] Die Schicksale der Marienburg Welche Wandlungen haben diese Mauerwerke durchlebt, und »>le bezeichnend sind ihre Schicksale für den Geist der Jahrhunderte, die hier an dem sinnenden Beschauer vorüberziehen! Es war zunächst eine Burg, für einen Komthur und zwölf Ritter bestimmt, die der Landmeister Konrad von Thierberg 1274 hier an der Nogat zur Beherrschung der wichtigen Wasserstraße anlegte. Das heutige „Hochschloß," das alle ander» Teile der gewaltigen Burg an Höhe überragt, ist dieses alte Kvmthnrschlvß. Als dann Siegfried von Fenchtwangen den Hochmeistersitz des deutscheu Ordens UiO!) von Venedig nach Marienburg verlegte, genügten die alten Räume nicht mehr, und es wurde nach Norden zu das „Mittelschloß" angebaut. Beide Hälften sind dnrch einen trocknen Graben von einander geschieden. Das „Hvchschloß" bildet ein regelmäßiges Rechteck, das einen Hof von 32 Meter Länge und 27 Meter Breite umschließt. Das „Mittelschloß" lehnt sich als ein langgestrecktes Viereck an, von dem aber nur drei Seiten bebaut sind, während der trockne Graben die vierte Seite darstellt. Im westlichen Flügel des „Mittelschlosses" befinde» sich die für deu Hoch¬ meister bestimmten Prachträume: „Meisters großer nud kleiner Reuter, der obere Gang, Meisters Stube. Meisters Gemach. Meisters Schlaf- und Hinter- tammer, Meisters Hansknpelle." Die Krone der ganzen Burg ist „Meisters großer Reuter." worin er vornehme Personen empfing. Ein einziger Granit- Pfeiler trägt das wundervolle Sterngewölbe, zehn Fenster geben ihm von drei Seiten her Licht, seine Hohe ist neun Meter, Länge und Breite vierzehn Meter. Der Pfeiler mit den Gewölbrippen erscheint wie eine versteinerte Palme, alle Schwere ist hier wie aufgehoben, man glaubt sich der Erde entrückt. Eine Perle ist auch der an die Hauskapelle sich anschließende „Kvnventsremler." ^-r ruht auf drei mächtige» in der Mitte stehenden, gleich weit von einander entfernten Pfeilern, vierzehn Fenster erhellen ihn, seine Maße sind gewaltig: dreißig Meter beträgt die Länge, sechzehn Meter die Breite, nenn Meter die Höhe. Hier speisten die Ritter und erholten sich von ihrer Beschäftigung. Die beiden andern Flügel des „Mittelschlosses" waren für den Großkomthur, für erkrankte Ritter und Fremde bestimmt. Im „Hochschlvsse" wohnte» die Ritter, nicht wie Mönche in Einzelzellen, sondern in gemeinsame» hochgewölbten Räume». Im Nordflügel, nach dein Mittelschlvsse zu. befand sich der „Kapitel¬ saal," wo die Gebietiger des ganzen Ordeuslandes zu gemeinsamen Beratungen, insbesondre zur Hvchmeisterwnhl, znsanunenkamen. und dicht daneben die Kirche mit ihre», reichgeschmückten Eingänge, der „goldnen Pforte" und dem riesige» Marie»bilde n» der Außenseite, das als Wahrzeiche» der Burg weit in die Lande leuchtete, linker der Kirche lag die Se. Auueukapelle mit der Hoch- meistergrnft. Um das „Hvchschloß" lief nach dem Hofe zu ein prachtvoller Kreuzgang, zwei Stockwerke hoch, von dein mau in die einzelnen Räume ge¬ langte, um das „Mittel-" und „Hvchschloß" herum zog sich eine Menge von Brüten, die der Verteidigung, der Aufbewahrung der Lebensmittel und Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/93>, abgerufen am 02.07.2024.