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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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ständischen Kirche nach Möglichkeit in ihrem Werte und ihrer Bedeutung herunter¬
zusetzen. In beiden Richtungen hätten sie wohlgethan, sich der guten alten Regel
cMÄ luinis zu erinnern; denn häufig verfallen sie gleich denen, die sie be¬
kämpfen, in den Fehler, entweder zu viel zu leugnen oder zu viel zu behaupten
und so an die Stelle einer Unwahrheit, Schiefheit oder Uebertreibung nur eine
andre zu setzen. Gewiß ist von protestantischer Seite in der Darstellung von
Ereignissen, Zuständen und Persönlichkeiten der alten Kirche mancherlei gefehlt worden,
und gerne nehmen wir den Nachweis dessen an, wenn er mit guten Gründen und
maßvoll und unbefangen geführt wird. Ebenso bereitwillig lassen wir uns be¬
lehren, daß der Protestantismus in einigen Beziehungen das Kind mit dem Bade
ausgeschüttet hat, und daß seinen Koryphäen in manchen Stücken zu hohe Tugenden
und Leistungen zugeschrieben worden sind; Verdruß aber und Widerwille erfüllen
uns, wenn der angebliche geschichtliche Sinn, der uns darüber aufklären will, dann
seinerseits in Befangenheit und Parteilichkeit übergeht und an historischen Größen
ersten Ranges so gut wie nichts Gutes und Schönes lassen möchte. Das tritt aber
hier an mehr als eine Stelle hervor, obwohl die Verfasser sich im allgemeinen
einer gemäßigten Sprache befleißigen. Die Kenntnisse, auf deren Grundlage sie
schreiben, sind bis zu einer gewissen Grenze anerkennenswert, nur hätten sie sich
nicht ans das eigentlich wissenschaftliche Gebiet wagen sollen, denn hier hat die
kirchliche Autorität, der sie sich zur Folgsamkeit verpflichtet fühlen, nur sowie ein
Recht zu beanspruchen, als es mit den Ergebnissen der Wissenschaft zusammentrifft
und von diesen gedeckt wird. So hätte gleich der erste Abschnitt über das christ¬
liche Altertum, über die geschichtlichen Teile des Neuen Testaments, über die prote¬
stantischen Kirchenhistoriker des vorigen Jahrhunderts, über die Tübinger Schule
und ihre Ausläufer einfach wegbleiben sollen. Wer einen so schwachen und un¬
glücklichen Aufsatz wie den über den Primat und die Anwesenheit des Apostels
Petrus in Rom, mit dem dieser Abschnitt schließt, anfertigen und dann damit etwas
geleistet zu haben glauben kann, sollte sich nicht herausnehmen, sich neben Männer
wie Baur, Zeller, Schwegler und Lipsius zu stellen und sie meistern zu wollen.
Mehr Wert kann die zweite Abteilung beanspruchen, die vorzüglich die Vorwürfe
zu widerlegen bestimmt ist, die gegen das Papsttum und die von ihm regirte Kirche
im Mittelnlter erhoben worden sind. Die Verfasser versuchen hier, und zwar zum
Teil mit Glück, den Beweis zu sichren, daß das Papsttum nicht auf Betrug und
Fälschung begründet ist, und das es keine schrankenlose Gewalt besitzt. Es werden
dann Rom und die Päpste im zehnten Jahrhunderte charakterisirt und die freilich
schon längst von keinen Geschichtskenner mehr geglaubte Fabel von der Päpstin
Johanna in ihrer Nichtigkeit darstellt. Die weitern Kapitel beschäftigen sich mit
dem Papsttum und den Kaisern in der spätern Geschichte und bemühen sich, irrige
Meinungen und schiefe Auffassungen der Kämpfe zwischen Gregor VII. und Hein¬
rich IV. und zwischen Friedrich Barbarossa und Hadrian IV. sowie Alexander III.
zu zerstreuen. Eins betrachtet das "finstere" Mittelalter und findet es in der Art
der romantischen Schule eigentlich recht hell und freundlich. Eins rechtfertigt den
Cölibot und die Klöster, zwei waschen die katholische Kirche von der Beschuldigung
rein, dem Aberglauben Vorschub geleistet und die Hexen in die Welt gesetzt und
verfolgt zu haben. Dann macht sich das Buch an die Rettung der kirchlichem In¬
quisition aus der von Gegnern der Kirche über sie verhängten Verurteilung, wobei
namentlich über die Albigenser und über das eigentliche Wesen der spanischen In¬
quisition dankenswertes Licht verbreitet wird und der grimme Inquisitor ^ Peter
Arbues sich unter den Händen seiner Reiniger in einen milden, liebenswürdigen


Grenzboten IV 1889 , 79
Litteratur

ständischen Kirche nach Möglichkeit in ihrem Werte und ihrer Bedeutung herunter¬
zusetzen. In beiden Richtungen hätten sie wohlgethan, sich der guten alten Regel
cMÄ luinis zu erinnern; denn häufig verfallen sie gleich denen, die sie be¬
kämpfen, in den Fehler, entweder zu viel zu leugnen oder zu viel zu behaupten
und so an die Stelle einer Unwahrheit, Schiefheit oder Uebertreibung nur eine
andre zu setzen. Gewiß ist von protestantischer Seite in der Darstellung von
Ereignissen, Zuständen und Persönlichkeiten der alten Kirche mancherlei gefehlt worden,
und gerne nehmen wir den Nachweis dessen an, wenn er mit guten Gründen und
maßvoll und unbefangen geführt wird. Ebenso bereitwillig lassen wir uns be¬
lehren, daß der Protestantismus in einigen Beziehungen das Kind mit dem Bade
ausgeschüttet hat, und daß seinen Koryphäen in manchen Stücken zu hohe Tugenden
und Leistungen zugeschrieben worden sind; Verdruß aber und Widerwille erfüllen
uns, wenn der angebliche geschichtliche Sinn, der uns darüber aufklären will, dann
seinerseits in Befangenheit und Parteilichkeit übergeht und an historischen Größen
ersten Ranges so gut wie nichts Gutes und Schönes lassen möchte. Das tritt aber
hier an mehr als eine Stelle hervor, obwohl die Verfasser sich im allgemeinen
einer gemäßigten Sprache befleißigen. Die Kenntnisse, auf deren Grundlage sie
schreiben, sind bis zu einer gewissen Grenze anerkennenswert, nur hätten sie sich
nicht ans das eigentlich wissenschaftliche Gebiet wagen sollen, denn hier hat die
kirchliche Autorität, der sie sich zur Folgsamkeit verpflichtet fühlen, nur sowie ein
Recht zu beanspruchen, als es mit den Ergebnissen der Wissenschaft zusammentrifft
und von diesen gedeckt wird. So hätte gleich der erste Abschnitt über das christ¬
liche Altertum, über die geschichtlichen Teile des Neuen Testaments, über die prote¬
stantischen Kirchenhistoriker des vorigen Jahrhunderts, über die Tübinger Schule
und ihre Ausläufer einfach wegbleiben sollen. Wer einen so schwachen und un¬
glücklichen Aufsatz wie den über den Primat und die Anwesenheit des Apostels
Petrus in Rom, mit dem dieser Abschnitt schließt, anfertigen und dann damit etwas
geleistet zu haben glauben kann, sollte sich nicht herausnehmen, sich neben Männer
wie Baur, Zeller, Schwegler und Lipsius zu stellen und sie meistern zu wollen.
Mehr Wert kann die zweite Abteilung beanspruchen, die vorzüglich die Vorwürfe
zu widerlegen bestimmt ist, die gegen das Papsttum und die von ihm regirte Kirche
im Mittelnlter erhoben worden sind. Die Verfasser versuchen hier, und zwar zum
Teil mit Glück, den Beweis zu sichren, daß das Papsttum nicht auf Betrug und
Fälschung begründet ist, und das es keine schrankenlose Gewalt besitzt. Es werden
dann Rom und die Päpste im zehnten Jahrhunderte charakterisirt und die freilich
schon längst von keinen Geschichtskenner mehr geglaubte Fabel von der Päpstin
Johanna in ihrer Nichtigkeit darstellt. Die weitern Kapitel beschäftigen sich mit
dem Papsttum und den Kaisern in der spätern Geschichte und bemühen sich, irrige
Meinungen und schiefe Auffassungen der Kämpfe zwischen Gregor VII. und Hein¬
rich IV. und zwischen Friedrich Barbarossa und Hadrian IV. sowie Alexander III.
zu zerstreuen. Eins betrachtet das „finstere" Mittelalter und findet es in der Art
der romantischen Schule eigentlich recht hell und freundlich. Eins rechtfertigt den
Cölibot und die Klöster, zwei waschen die katholische Kirche von der Beschuldigung
rein, dem Aberglauben Vorschub geleistet und die Hexen in die Welt gesetzt und
verfolgt zu haben. Dann macht sich das Buch an die Rettung der kirchlichem In¬
quisition aus der von Gegnern der Kirche über sie verhängten Verurteilung, wobei
namentlich über die Albigenser und über das eigentliche Wesen der spanischen In¬
quisition dankenswertes Licht verbreitet wird und der grimme Inquisitor ^ Peter
Arbues sich unter den Händen seiner Reiniger in einen milden, liebenswürdigen


Grenzboten IV 1889 , 79
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[0633] Litteratur ständischen Kirche nach Möglichkeit in ihrem Werte und ihrer Bedeutung herunter¬ zusetzen. In beiden Richtungen hätten sie wohlgethan, sich der guten alten Regel cMÄ luinis zu erinnern; denn häufig verfallen sie gleich denen, die sie be¬ kämpfen, in den Fehler, entweder zu viel zu leugnen oder zu viel zu behaupten und so an die Stelle einer Unwahrheit, Schiefheit oder Uebertreibung nur eine andre zu setzen. Gewiß ist von protestantischer Seite in der Darstellung von Ereignissen, Zuständen und Persönlichkeiten der alten Kirche mancherlei gefehlt worden, und gerne nehmen wir den Nachweis dessen an, wenn er mit guten Gründen und maßvoll und unbefangen geführt wird. Ebenso bereitwillig lassen wir uns be¬ lehren, daß der Protestantismus in einigen Beziehungen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat, und daß seinen Koryphäen in manchen Stücken zu hohe Tugenden und Leistungen zugeschrieben worden sind; Verdruß aber und Widerwille erfüllen uns, wenn der angebliche geschichtliche Sinn, der uns darüber aufklären will, dann seinerseits in Befangenheit und Parteilichkeit übergeht und an historischen Größen ersten Ranges so gut wie nichts Gutes und Schönes lassen möchte. Das tritt aber hier an mehr als eine Stelle hervor, obwohl die Verfasser sich im allgemeinen einer gemäßigten Sprache befleißigen. Die Kenntnisse, auf deren Grundlage sie schreiben, sind bis zu einer gewissen Grenze anerkennenswert, nur hätten sie sich nicht ans das eigentlich wissenschaftliche Gebiet wagen sollen, denn hier hat die kirchliche Autorität, der sie sich zur Folgsamkeit verpflichtet fühlen, nur sowie ein Recht zu beanspruchen, als es mit den Ergebnissen der Wissenschaft zusammentrifft und von diesen gedeckt wird. So hätte gleich der erste Abschnitt über das christ¬ liche Altertum, über die geschichtlichen Teile des Neuen Testaments, über die prote¬ stantischen Kirchenhistoriker des vorigen Jahrhunderts, über die Tübinger Schule und ihre Ausläufer einfach wegbleiben sollen. Wer einen so schwachen und un¬ glücklichen Aufsatz wie den über den Primat und die Anwesenheit des Apostels Petrus in Rom, mit dem dieser Abschnitt schließt, anfertigen und dann damit etwas geleistet zu haben glauben kann, sollte sich nicht herausnehmen, sich neben Männer wie Baur, Zeller, Schwegler und Lipsius zu stellen und sie meistern zu wollen. Mehr Wert kann die zweite Abteilung beanspruchen, die vorzüglich die Vorwürfe zu widerlegen bestimmt ist, die gegen das Papsttum und die von ihm regirte Kirche im Mittelnlter erhoben worden sind. Die Verfasser versuchen hier, und zwar zum Teil mit Glück, den Beweis zu sichren, daß das Papsttum nicht auf Betrug und Fälschung begründet ist, und das es keine schrankenlose Gewalt besitzt. Es werden dann Rom und die Päpste im zehnten Jahrhunderte charakterisirt und die freilich schon längst von keinen Geschichtskenner mehr geglaubte Fabel von der Päpstin Johanna in ihrer Nichtigkeit darstellt. Die weitern Kapitel beschäftigen sich mit dem Papsttum und den Kaisern in der spätern Geschichte und bemühen sich, irrige Meinungen und schiefe Auffassungen der Kämpfe zwischen Gregor VII. und Hein¬ rich IV. und zwischen Friedrich Barbarossa und Hadrian IV. sowie Alexander III. zu zerstreuen. Eins betrachtet das „finstere" Mittelalter und findet es in der Art der romantischen Schule eigentlich recht hell und freundlich. Eins rechtfertigt den Cölibot und die Klöster, zwei waschen die katholische Kirche von der Beschuldigung rein, dem Aberglauben Vorschub geleistet und die Hexen in die Welt gesetzt und verfolgt zu haben. Dann macht sich das Buch an die Rettung der kirchlichem In¬ quisition aus der von Gegnern der Kirche über sie verhängten Verurteilung, wobei namentlich über die Albigenser und über das eigentliche Wesen der spanischen In¬ quisition dankenswertes Licht verbreitet wird und der grimme Inquisitor ^ Peter Arbues sich unter den Händen seiner Reiniger in einen milden, liebenswürdigen Grenzboten IV 1889 , 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/633>, abgerufen am 22.12.2024.