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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Baron Frederi?

eine blanke Mark in dei, Kirchenstock legen würde, wenn ich am Morgen ein
Stündchen länger liegen bleiben könnte, oder es unterlassen dürfte, auszugehen,
wenn das Wetter, geradeheraus gesagt, verdammt ist? Ja, darauf können Sie
sich verlassen! Aber der Mensch ist doch nicht in die Welt gesetzt, um seine
Gemächlichkeit zu pflegeu, er soll ein streng geordnetes Leben führen. Wenn alle
so handeln wollten, so würde vieles anders, ganz anders nusseheu. Wie beliebt?

Ich gab ihm natürlicherweise Recht und fragte, ob er diese Regelmäßigkeit
auch für Handlanger, die sich in längern Zwischenräumen folgten, aufrecht
halte oder uur für die tägliche Wirksamkeit.

Ja, so viel es ausführbar ist, antwortete er, aber es ist schwer, außer-
ordentlich schwer; denn versucht mau nach bestem Gewissen in das, was man seltener
vornimmt, ein System hineinzubringen, so geht die tägliche Ordnung darüber
verloren. Ich gehe z. B. einmal monatlich in die Kirche -- nicht gerade,
weil Pastor Imsen ein besonders begabter Redner wäre, aber ich komme
in sein Haus, ich habe persönliche Achtung, große Achtung sowohl vor ihm als
vor seiner Familie, und man ist es auch seiner Stellung schuldig, der Gemeinde
mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich gehe also einmal monatlich in die Kirche,
aber dieser Kirchgang stört mir den ganzen Tag. Ja es ist schwer, es ist
außerordentlich schwer, ein geregeltes Leben zu führen!

Während dieser Unterredung hatten wir den Gnsthvf erreicht, mein Be¬
gleiter öffnete die Thür, wir gingen hinauf und kamen in das erste der beiden
Zimmer, die er bewohnte.

Auf dem Lande muß mau es nehmen, wie es ist, sagte er, das ist meine
ganze Residenz!

Ich sah mich im Zimmer um. Es war geräumig und behaglich. DaS
Hausgerät war augenscheinlich Erbgut, von der schwarzbraunen Schatulle mit
den vergoldeten Messingbeschlägen an bis zu den hochlehnigen Stühlen; an
den Wänden hingen verschiedene Familienpvrtrüts, eine gewiß kostbare Porzellan¬
vase stand ans dem Kachelofen, ein kleines hängendes Bücherbrett trug alte,
in gelbes Kalbleder gebundene Bücher. Vor dein Sofa mit dem glatten Pferde-
Haarbezug stand der gedeckte Frühstückstisch; das Tuch war blendend weiß,
und das Ganze sah sehr einladend aus.

Der Baron bat mich, Platz zu nehmen, und zog an der Klingelschimr.
Ein nettes, aber etwas schwer gebautes Mädchen kam herein, und mein Wirt
bat sie, einige Eier mehr kochen zu lassen, auch aufzutragen, was sonst zu
haben wäre.

Ein hübsches Mädchen! sagte er, als sie hinausgegangen war, ein außer¬
ordentlich hübsches Mädchen!

Ich nickte zustimmend.

Ja, die kleine Marie ist ein gutes Mädchen. Es ist die Wirtstochter.
Flinte Leute, ungewöhnlich flinke Leute!


Baron Frederi?

eine blanke Mark in dei, Kirchenstock legen würde, wenn ich am Morgen ein
Stündchen länger liegen bleiben könnte, oder es unterlassen dürfte, auszugehen,
wenn das Wetter, geradeheraus gesagt, verdammt ist? Ja, darauf können Sie
sich verlassen! Aber der Mensch ist doch nicht in die Welt gesetzt, um seine
Gemächlichkeit zu pflegeu, er soll ein streng geordnetes Leben führen. Wenn alle
so handeln wollten, so würde vieles anders, ganz anders nusseheu. Wie beliebt?

Ich gab ihm natürlicherweise Recht und fragte, ob er diese Regelmäßigkeit
auch für Handlanger, die sich in längern Zwischenräumen folgten, aufrecht
halte oder uur für die tägliche Wirksamkeit.

Ja, so viel es ausführbar ist, antwortete er, aber es ist schwer, außer-
ordentlich schwer; denn versucht mau nach bestem Gewissen in das, was man seltener
vornimmt, ein System hineinzubringen, so geht die tägliche Ordnung darüber
verloren. Ich gehe z. B. einmal monatlich in die Kirche — nicht gerade,
weil Pastor Imsen ein besonders begabter Redner wäre, aber ich komme
in sein Haus, ich habe persönliche Achtung, große Achtung sowohl vor ihm als
vor seiner Familie, und man ist es auch seiner Stellung schuldig, der Gemeinde
mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich gehe also einmal monatlich in die Kirche,
aber dieser Kirchgang stört mir den ganzen Tag. Ja es ist schwer, es ist
außerordentlich schwer, ein geregeltes Leben zu führen!

Während dieser Unterredung hatten wir den Gnsthvf erreicht, mein Be¬
gleiter öffnete die Thür, wir gingen hinauf und kamen in das erste der beiden
Zimmer, die er bewohnte.

Auf dem Lande muß mau es nehmen, wie es ist, sagte er, das ist meine
ganze Residenz!

Ich sah mich im Zimmer um. Es war geräumig und behaglich. DaS
Hausgerät war augenscheinlich Erbgut, von der schwarzbraunen Schatulle mit
den vergoldeten Messingbeschlägen an bis zu den hochlehnigen Stühlen; an
den Wänden hingen verschiedene Familienpvrtrüts, eine gewiß kostbare Porzellan¬
vase stand ans dem Kachelofen, ein kleines hängendes Bücherbrett trug alte,
in gelbes Kalbleder gebundene Bücher. Vor dein Sofa mit dem glatten Pferde-
Haarbezug stand der gedeckte Frühstückstisch; das Tuch war blendend weiß,
und das Ganze sah sehr einladend aus.

Der Baron bat mich, Platz zu nehmen, und zog an der Klingelschimr.
Ein nettes, aber etwas schwer gebautes Mädchen kam herein, und mein Wirt
bat sie, einige Eier mehr kochen zu lassen, auch aufzutragen, was sonst zu
haben wäre.

Ein hübsches Mädchen! sagte er, als sie hinausgegangen war, ein außer¬
ordentlich hübsches Mädchen!

Ich nickte zustimmend.

Ja, die kleine Marie ist ein gutes Mädchen. Es ist die Wirtstochter.
Flinte Leute, ungewöhnlich flinke Leute!


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[0623] Baron Frederi? eine blanke Mark in dei, Kirchenstock legen würde, wenn ich am Morgen ein Stündchen länger liegen bleiben könnte, oder es unterlassen dürfte, auszugehen, wenn das Wetter, geradeheraus gesagt, verdammt ist? Ja, darauf können Sie sich verlassen! Aber der Mensch ist doch nicht in die Welt gesetzt, um seine Gemächlichkeit zu pflegeu, er soll ein streng geordnetes Leben führen. Wenn alle so handeln wollten, so würde vieles anders, ganz anders nusseheu. Wie beliebt? Ich gab ihm natürlicherweise Recht und fragte, ob er diese Regelmäßigkeit auch für Handlanger, die sich in längern Zwischenräumen folgten, aufrecht halte oder uur für die tägliche Wirksamkeit. Ja, so viel es ausführbar ist, antwortete er, aber es ist schwer, außer- ordentlich schwer; denn versucht mau nach bestem Gewissen in das, was man seltener vornimmt, ein System hineinzubringen, so geht die tägliche Ordnung darüber verloren. Ich gehe z. B. einmal monatlich in die Kirche — nicht gerade, weil Pastor Imsen ein besonders begabter Redner wäre, aber ich komme in sein Haus, ich habe persönliche Achtung, große Achtung sowohl vor ihm als vor seiner Familie, und man ist es auch seiner Stellung schuldig, der Gemeinde mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich gehe also einmal monatlich in die Kirche, aber dieser Kirchgang stört mir den ganzen Tag. Ja es ist schwer, es ist außerordentlich schwer, ein geregeltes Leben zu führen! Während dieser Unterredung hatten wir den Gnsthvf erreicht, mein Be¬ gleiter öffnete die Thür, wir gingen hinauf und kamen in das erste der beiden Zimmer, die er bewohnte. Auf dem Lande muß mau es nehmen, wie es ist, sagte er, das ist meine ganze Residenz! Ich sah mich im Zimmer um. Es war geräumig und behaglich. DaS Hausgerät war augenscheinlich Erbgut, von der schwarzbraunen Schatulle mit den vergoldeten Messingbeschlägen an bis zu den hochlehnigen Stühlen; an den Wänden hingen verschiedene Familienpvrtrüts, eine gewiß kostbare Porzellan¬ vase stand ans dem Kachelofen, ein kleines hängendes Bücherbrett trug alte, in gelbes Kalbleder gebundene Bücher. Vor dein Sofa mit dem glatten Pferde- Haarbezug stand der gedeckte Frühstückstisch; das Tuch war blendend weiß, und das Ganze sah sehr einladend aus. Der Baron bat mich, Platz zu nehmen, und zog an der Klingelschimr. Ein nettes, aber etwas schwer gebautes Mädchen kam herein, und mein Wirt bat sie, einige Eier mehr kochen zu lassen, auch aufzutragen, was sonst zu haben wäre. Ein hübsches Mädchen! sagte er, als sie hinausgegangen war, ein außer¬ ordentlich hübsches Mädchen! Ich nickte zustimmend. Ja, die kleine Marie ist ein gutes Mädchen. Es ist die Wirtstochter. Flinte Leute, ungewöhnlich flinke Leute!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/623>, abgerufen am 30.06.2024.