Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Baron Frederik neuen Freund abermals, diesmal aber an einer ganz andern Stelle, getroffen Das freut mich! rief er aus, Sie hatten Wort und kommen, einen alten Einer so großen Freundlichkeit gegenüber würde es übel angebracht ge¬ Plötzlich sah er nach der Uhr. Ist es möglich! rief er aus. Es fehlen Es lag etwas unwiderstehlich Komisches darin, einen Menschen, der ganz Dadurch genirt? Ja, so wahr ich lebe, fühle ich mich genirt, und dies Baron Frederik neuen Freund abermals, diesmal aber an einer ganz andern Stelle, getroffen Das freut mich! rief er aus, Sie hatten Wort und kommen, einen alten Einer so großen Freundlichkeit gegenüber würde es übel angebracht ge¬ Plötzlich sah er nach der Uhr. Ist es möglich! rief er aus. Es fehlen Es lag etwas unwiderstehlich Komisches darin, einen Menschen, der ganz Dadurch genirt? Ja, so wahr ich lebe, fühle ich mich genirt, und dies <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0622" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206621"/> <fw type="header" place="top"> Baron Frederik</fw><lb/> <p xml:id="ID_2045" prev="#ID_2044"> neuen Freund abermals, diesmal aber an einer ganz andern Stelle, getroffen<lb/> hätte. Ich erkannte schon in weiter Ferne die hohe Gestalt mit dem Regen¬<lb/> schirm, und als wir uns einander näher gekommen waren, hob und senkte er<lb/> mehrmals die Arme, bei welcher Bewegung der Havelock sich gleich Flügeln<lb/> ausbreitete, und begrüßte mich aufs freundlichste.</p><lb/> <p xml:id="ID_2046"> Das freut mich! rief er aus, Sie hatten Wort und kommen, einen alten<lb/> Junggesellen wie mich zu besuchen! Das ist außerordentlich aufmerksam von<lb/> Ihnen, ganz außerordentlich aufmerksam! Und um kommen Sie gerade zum<lb/> Frühstück, es kaun sich gar nicht besser treffen!</p><lb/> <p xml:id="ID_2047"> Einer so großen Freundlichkeit gegenüber würde es übel angebracht ge¬<lb/> wesen sein, einzugestehen, daß ich gar nicht darau gedacht hatte, ihm einen<lb/> Besuch zu machen; ich beschränkte mich also nur auf die Bemerkung, daß ich<lb/> der sei, der zu danken habe, und nicht er, und so gingen wir zusammen weiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_2048"> Plötzlich sah er nach der Uhr. Ist es möglich! rief er aus. Es fehlen<lb/> nur noch zehn Minuten an elf! Dann haben wir keine Zeit zu verlieren, wenn<lb/> wir um elf Uhr zum Frühstück zu Hause sein wolle»! Ich muß Ihnen nämlich<lb/> sagen — fügte er erklärend hinzu —, ich gebe viel darauf, in nlleu Dingen,<lb/> großen wie kleinen, präzis zu sein. Ich habe meine Zeit ganz regelmäßig ein¬<lb/> geteilt, mein Leben geht wie am Schnürchen. Hätte ich mich nicht so eingerichtet,<lb/> so würde mir die Zeit ja lang werden)- so dagegen habe ich nie eine Stunde<lb/> übrig, ich führe ein gebundneres Leben als ein Soldat. Schlag sechs im<lb/> Sommer und Schlag sieben im Winter stehe ich auf und mache Toilette,<lb/> trinke meine anderthalb Tassen Thee und rauche meine Morgenpfeife. Um zehn<lb/> Uhr gehe ich ans, mag das Wetter sein, wie es will, und spaziere durch den<lb/> Wald; dazu brauche ich gerade eine Stunde bis zur großen Eiche, auf lang¬<lb/> samen Gang berechnet, sodaß ich, wenn ich jemand begegne und aufgehalten<lb/> werde, trotzdem die Zeit einhalten kann, wenn ich meinen Schritt etwas fvrcire.<lb/> Um elf Uhr frühstücke ich — zwei weiche Eier mit Brot, eine Tasse Kaffee,<lb/> nichts weiter —, von zwölf bis zwei lese ich oder zeichne etwas, von zwei bis<lb/> vier gehe ich wieder spazieren und passe immer auf, daß ich dann unten auf<lb/> der Chaussee bin, dort wo die Eisenbahn sie durchschneidet, wenn der Zug zehn<lb/> Minuten vor vier Uhr vorüberkommt, dann esse ich zu Mittag, schlafe ein<lb/> Stündchen und bin dann am Abend mein eigner Herr, denn der will ich sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_2049"> Es lag etwas unwiderstehlich Komisches darin, einen Menschen, der ganz<lb/> und gar nichts zu thun hat, sagen zu hören, daß er am Abend „sein eigner<lb/> Herr" sein wolle, sodaß ich mich halten mußte, nicht darüber zu lachen. Aber<lb/> um doch anch etwas zu sagen, sprach ich meine Bewunderung über die Durch¬<lb/> führung einer solchen Regelmäßigkeit aus, fragte aber gleichzeitig, ob er sich<lb/> nicht ab und zu dadurch genirt fühle.</p><lb/> <p xml:id="ID_2050" next="#ID_2051"> Dadurch genirt? Ja, so wahr ich lebe, fühle ich mich genirt, und dies<lb/> einen Tag wie den andern! Glauben Sie nicht, daß ich manchmal mit Freuden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0622]
Baron Frederik
neuen Freund abermals, diesmal aber an einer ganz andern Stelle, getroffen
hätte. Ich erkannte schon in weiter Ferne die hohe Gestalt mit dem Regen¬
schirm, und als wir uns einander näher gekommen waren, hob und senkte er
mehrmals die Arme, bei welcher Bewegung der Havelock sich gleich Flügeln
ausbreitete, und begrüßte mich aufs freundlichste.
Das freut mich! rief er aus, Sie hatten Wort und kommen, einen alten
Junggesellen wie mich zu besuchen! Das ist außerordentlich aufmerksam von
Ihnen, ganz außerordentlich aufmerksam! Und um kommen Sie gerade zum
Frühstück, es kaun sich gar nicht besser treffen!
Einer so großen Freundlichkeit gegenüber würde es übel angebracht ge¬
wesen sein, einzugestehen, daß ich gar nicht darau gedacht hatte, ihm einen
Besuch zu machen; ich beschränkte mich also nur auf die Bemerkung, daß ich
der sei, der zu danken habe, und nicht er, und so gingen wir zusammen weiter.
Plötzlich sah er nach der Uhr. Ist es möglich! rief er aus. Es fehlen
nur noch zehn Minuten an elf! Dann haben wir keine Zeit zu verlieren, wenn
wir um elf Uhr zum Frühstück zu Hause sein wolle»! Ich muß Ihnen nämlich
sagen — fügte er erklärend hinzu —, ich gebe viel darauf, in nlleu Dingen,
großen wie kleinen, präzis zu sein. Ich habe meine Zeit ganz regelmäßig ein¬
geteilt, mein Leben geht wie am Schnürchen. Hätte ich mich nicht so eingerichtet,
so würde mir die Zeit ja lang werden)- so dagegen habe ich nie eine Stunde
übrig, ich führe ein gebundneres Leben als ein Soldat. Schlag sechs im
Sommer und Schlag sieben im Winter stehe ich auf und mache Toilette,
trinke meine anderthalb Tassen Thee und rauche meine Morgenpfeife. Um zehn
Uhr gehe ich ans, mag das Wetter sein, wie es will, und spaziere durch den
Wald; dazu brauche ich gerade eine Stunde bis zur großen Eiche, auf lang¬
samen Gang berechnet, sodaß ich, wenn ich jemand begegne und aufgehalten
werde, trotzdem die Zeit einhalten kann, wenn ich meinen Schritt etwas fvrcire.
Um elf Uhr frühstücke ich — zwei weiche Eier mit Brot, eine Tasse Kaffee,
nichts weiter —, von zwölf bis zwei lese ich oder zeichne etwas, von zwei bis
vier gehe ich wieder spazieren und passe immer auf, daß ich dann unten auf
der Chaussee bin, dort wo die Eisenbahn sie durchschneidet, wenn der Zug zehn
Minuten vor vier Uhr vorüberkommt, dann esse ich zu Mittag, schlafe ein
Stündchen und bin dann am Abend mein eigner Herr, denn der will ich sein.
Es lag etwas unwiderstehlich Komisches darin, einen Menschen, der ganz
und gar nichts zu thun hat, sagen zu hören, daß er am Abend „sein eigner
Herr" sein wolle, sodaß ich mich halten mußte, nicht darüber zu lachen. Aber
um doch anch etwas zu sagen, sprach ich meine Bewunderung über die Durch¬
führung einer solchen Regelmäßigkeit aus, fragte aber gleichzeitig, ob er sich
nicht ab und zu dadurch genirt fühle.
Dadurch genirt? Ja, so wahr ich lebe, fühle ich mich genirt, und dies
einen Tag wie den andern! Glauben Sie nicht, daß ich manchmal mit Freuden
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |