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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Eines Tages hatte ich meinen Ausflug weiter als gewöhnlich ausgedehnt
und befand mich schließlich an einem Waldessaume, denn ich noch nicht kannte.
Die Bäume standen hier vereinzelt, und im Schnee waren Fußspuren sichtbar.
Es war gegen Sonnenuntergang; am Horizonte breitete sich ein gelbroter Schein
ans, weiter hinauf hatte der Himmel schon den grünblauen Ton angenommen,
der einem Frosttage so eigentümlich ist. Ich hörte die Krähen schreien, sie
kamen näher und näher, und da ich vermutete, daß sie sich auf einen der
großen Bäume zur Ruhe setzen würden, so blieb ich stehen, nicht um nach
ihnen zu schießen, sondern weil mir ihr Gebaren stets Vergnügen macht.
Auf den Krähen liegt ein gewisses Gepräge unfreiwilliger Komik, und der,
dem das einmal aufgefallen ist, kann nicht unterlassen, darauf zu achten.
Wüßte man es nicht besser, so könnte man glauben, die Krähen kämen alt zur
Welt, in solchem Grade haben sie vom El ab alle die wenig ansprechenden
Eigenschaften des Alters: Streitlust, Habsucht, Mißtrauen und Neigung, das
große Wort zu führen, und diese Eigenschaften verlassen sie nie. Die Krähe
verbringt offenbar einen großen Teil ihres Lebens damit, sich zu ärgern; sie
ist ein geborner Reaktionär, ein geborner Hans Unzufrieden, der auf alle Welt
schimpft und am meisten ans jene frohen Sänger, die leichtsinnig auf schwankendem
Zweige sitzen und für sich und andre singen; die Krähe weiß recht gut, daß
sie zur großen Familie der Singvögel gehört, aber sie schämt sich der Ver¬
wandtschaft und thut, als ob sie sie nicht kennte. So auch diese hier. Ans
vollem Halse schreiend, schwärmten sie mit kurzem, schwerfälligem Flügelschlag
über die hohen Burne hinweg und setzten sich endlich auf die höchste Spitze.
Unwirsch und von einem Zweige zum andern ziehend, saß die würdige Gesell¬
schaft und schrie wie eine Versammlung knttenbekleideter Tartüffes, die sich
über die Schlechtigkeit der Welt erhaben fühlen und sich berechtigt glauben,
ihrer Entrüstung Luft zu machen.

Mit einemmale nahm ihr Schreien zu, einzelne flogen empor und es
kam Unruhe ins Lager. Eine menschliche Gestalt näherte sich; sie war es, vor
der sie sich fürchteten.

Es war aber auch eine etwas ungewöhnliche Erscheinung, die da zum
Vorschein kam. Eine in den mittlern Jahre" stehende hohe, magere Gestalt,
in einen weiten Havelock gehüllt, mit schwarzem, hohem Zylinder auf dem
Kopfe, schritt einher, einen Regenschirm in der Hand, mit aufgestreiften Bein¬
kleidern, die Füße in Galoschen.

Als sie näher kam, sah ich einen schmalen Kopf, von einem faltenreichen,
langen Halse getragen, und ein mageres Gesicht mit buschigem Knebel- und
Spitzbart; die ganze Gestalt erinnerte etwas an den überlieferten Don Quixote-
Typus.

, Da ich Wasserstiefeln anhatte, trat ich zur Seite, um dem Fremden den
schmalen Steg zu überlassen, und grüßte. Er erwiderte meinen Gruß aus-


Eines Tages hatte ich meinen Ausflug weiter als gewöhnlich ausgedehnt
und befand mich schließlich an einem Waldessaume, denn ich noch nicht kannte.
Die Bäume standen hier vereinzelt, und im Schnee waren Fußspuren sichtbar.
Es war gegen Sonnenuntergang; am Horizonte breitete sich ein gelbroter Schein
ans, weiter hinauf hatte der Himmel schon den grünblauen Ton angenommen,
der einem Frosttage so eigentümlich ist. Ich hörte die Krähen schreien, sie
kamen näher und näher, und da ich vermutete, daß sie sich auf einen der
großen Bäume zur Ruhe setzen würden, so blieb ich stehen, nicht um nach
ihnen zu schießen, sondern weil mir ihr Gebaren stets Vergnügen macht.
Auf den Krähen liegt ein gewisses Gepräge unfreiwilliger Komik, und der,
dem das einmal aufgefallen ist, kann nicht unterlassen, darauf zu achten.
Wüßte man es nicht besser, so könnte man glauben, die Krähen kämen alt zur
Welt, in solchem Grade haben sie vom El ab alle die wenig ansprechenden
Eigenschaften des Alters: Streitlust, Habsucht, Mißtrauen und Neigung, das
große Wort zu führen, und diese Eigenschaften verlassen sie nie. Die Krähe
verbringt offenbar einen großen Teil ihres Lebens damit, sich zu ärgern; sie
ist ein geborner Reaktionär, ein geborner Hans Unzufrieden, der auf alle Welt
schimpft und am meisten ans jene frohen Sänger, die leichtsinnig auf schwankendem
Zweige sitzen und für sich und andre singen; die Krähe weiß recht gut, daß
sie zur großen Familie der Singvögel gehört, aber sie schämt sich der Ver¬
wandtschaft und thut, als ob sie sie nicht kennte. So auch diese hier. Ans
vollem Halse schreiend, schwärmten sie mit kurzem, schwerfälligem Flügelschlag
über die hohen Burne hinweg und setzten sich endlich auf die höchste Spitze.
Unwirsch und von einem Zweige zum andern ziehend, saß die würdige Gesell¬
schaft und schrie wie eine Versammlung knttenbekleideter Tartüffes, die sich
über die Schlechtigkeit der Welt erhaben fühlen und sich berechtigt glauben,
ihrer Entrüstung Luft zu machen.

Mit einemmale nahm ihr Schreien zu, einzelne flogen empor und es
kam Unruhe ins Lager. Eine menschliche Gestalt näherte sich; sie war es, vor
der sie sich fürchteten.

Es war aber auch eine etwas ungewöhnliche Erscheinung, die da zum
Vorschein kam. Eine in den mittlern Jahre» stehende hohe, magere Gestalt,
in einen weiten Havelock gehüllt, mit schwarzem, hohem Zylinder auf dem
Kopfe, schritt einher, einen Regenschirm in der Hand, mit aufgestreiften Bein¬
kleidern, die Füße in Galoschen.

Als sie näher kam, sah ich einen schmalen Kopf, von einem faltenreichen,
langen Halse getragen, und ein mageres Gesicht mit buschigem Knebel- und
Spitzbart; die ganze Gestalt erinnerte etwas an den überlieferten Don Quixote-
Typus.

, Da ich Wasserstiefeln anhatte, trat ich zur Seite, um dem Fremden den
schmalen Steg zu überlassen, und grüßte. Er erwiderte meinen Gruß aus-


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[0620] Eines Tages hatte ich meinen Ausflug weiter als gewöhnlich ausgedehnt und befand mich schließlich an einem Waldessaume, denn ich noch nicht kannte. Die Bäume standen hier vereinzelt, und im Schnee waren Fußspuren sichtbar. Es war gegen Sonnenuntergang; am Horizonte breitete sich ein gelbroter Schein ans, weiter hinauf hatte der Himmel schon den grünblauen Ton angenommen, der einem Frosttage so eigentümlich ist. Ich hörte die Krähen schreien, sie kamen näher und näher, und da ich vermutete, daß sie sich auf einen der großen Bäume zur Ruhe setzen würden, so blieb ich stehen, nicht um nach ihnen zu schießen, sondern weil mir ihr Gebaren stets Vergnügen macht. Auf den Krähen liegt ein gewisses Gepräge unfreiwilliger Komik, und der, dem das einmal aufgefallen ist, kann nicht unterlassen, darauf zu achten. Wüßte man es nicht besser, so könnte man glauben, die Krähen kämen alt zur Welt, in solchem Grade haben sie vom El ab alle die wenig ansprechenden Eigenschaften des Alters: Streitlust, Habsucht, Mißtrauen und Neigung, das große Wort zu führen, und diese Eigenschaften verlassen sie nie. Die Krähe verbringt offenbar einen großen Teil ihres Lebens damit, sich zu ärgern; sie ist ein geborner Reaktionär, ein geborner Hans Unzufrieden, der auf alle Welt schimpft und am meisten ans jene frohen Sänger, die leichtsinnig auf schwankendem Zweige sitzen und für sich und andre singen; die Krähe weiß recht gut, daß sie zur großen Familie der Singvögel gehört, aber sie schämt sich der Ver¬ wandtschaft und thut, als ob sie sie nicht kennte. So auch diese hier. Ans vollem Halse schreiend, schwärmten sie mit kurzem, schwerfälligem Flügelschlag über die hohen Burne hinweg und setzten sich endlich auf die höchste Spitze. Unwirsch und von einem Zweige zum andern ziehend, saß die würdige Gesell¬ schaft und schrie wie eine Versammlung knttenbekleideter Tartüffes, die sich über die Schlechtigkeit der Welt erhaben fühlen und sich berechtigt glauben, ihrer Entrüstung Luft zu machen. Mit einemmale nahm ihr Schreien zu, einzelne flogen empor und es kam Unruhe ins Lager. Eine menschliche Gestalt näherte sich; sie war es, vor der sie sich fürchteten. Es war aber auch eine etwas ungewöhnliche Erscheinung, die da zum Vorschein kam. Eine in den mittlern Jahre» stehende hohe, magere Gestalt, in einen weiten Havelock gehüllt, mit schwarzem, hohem Zylinder auf dem Kopfe, schritt einher, einen Regenschirm in der Hand, mit aufgestreiften Bein¬ kleidern, die Füße in Galoschen. Als sie näher kam, sah ich einen schmalen Kopf, von einem faltenreichen, langen Halse getragen, und ein mageres Gesicht mit buschigem Knebel- und Spitzbart; die ganze Gestalt erinnerte etwas an den überlieferten Don Quixote- Typus. , Da ich Wasserstiefeln anhatte, trat ich zur Seite, um dem Fremden den schmalen Steg zu überlassen, und grüßte. Er erwiderte meinen Gruß aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/620>, abgerufen am 30.06.2024.