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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Das Deutsche in Llsaß-Lothringen

Bei diesem Anlaß mag auch darauf hingewiesen werden, daß es wohl an
der Zeit wäre, die Schulpflicht der Mädchen, die seither bloß bis zum drei¬
zehnten Lebensjahre dauerte, wie bei den Knaben bis zum vierzehnten Lebens¬
jahr auszudehnen und den Entlassnngsprüfungen, die in ihrer heutigen Gestalt
nicht selten nur eine leere Formalität sind, ein größeres Gewicht zu geben.
Es wäre ein bedeutender Sporn für Eltern und Schiller, wenn 8 2 des
Schulgesetzes vom 18. April 1871: "Der Schulbesuch muß so lange fortgesetzt
werden, bis das Kind von der Schulbehörde als eutlassungsrrif erkannt worden
ist," nicht bloß auf dem Papier stünde, sondern besonders anch auf das Deutsch-
sprecheu richtig angewendet würde.

Vom Lehrpersonal ist neuerdings ein Teil der nicht gelingend deutsch
sprechenden Lehrer in den Ruhestand versetzt worden. Doch traf ich noch
eine Anzahl von ältern Lehrern an, die des Deutschen fast gar nicht mächtig
waren. Ferner beobachtete ich wiederholt, daß ans französisch redenden
Gegenden stammende junge Lehrer, die vor wenigen Jahren aus dein Seminar
entlassen worden waren, ihr Deutsch aus Mangel an Übung verlernen und
sich nur noch sehr mühsam und fehlerhaft darin ausdrucken können. Statt
daß sie die Jugend in dem Dorfe verdeutschen, verwelscheu sie selbst. Es
dürfte wohl zweckmäßig sein, solche junge Leute womöglich zuerst einige Jahre
in deutsch sprechenden Schulen zu verwenden. Ob nicht von den Lehrern ein
entschiedneres Vorgehen zu Gunsten des Deutschen erwartet werden dürfte,
wenn sie eine unabhängigere Stellung einnahmen, will ich nur beiläufig er¬
wähnen. Inwieweit die wiederholt von mir gehörte Äußerung: "Der Lehrer
ist der Diener des Pfarrers und der Schreiber des Mcnres; eine Keine
Meinungsverschiedenheit mit diesen Hochmögenden, lind er stiegt zum Dorfe
hinaus" auf Wahrheit beruht, entzieht sich meiner Veilrteilnng.

Von entscheidender Wichtigkeit ist es schließlich, daß nicht bloß der
Sprachgrenze entlang, sondern in sämtlichen französisch redenden Gegenden der
französische Unterricht zu Gunsten des Deutschen beschränkt werde. Die seit¬
herigen Mißerfolge sind dadurch entstanden, daß die Schüler zu wenig Übung
im Deutschsprechen hatten. Im allgemeinen dürfte es ausreichen, wenn wöchent¬
lich zwei französische Stunden gegeben werde"; die ersten drei bis vier Jahrgänge
sollten gar keine französischen Stunden erhalten, damit die ganze Kraft des
Lehrers und des Schülers dem Deutschen gewidmet werden könnte. Daß die
Schüler auch zum Dentschsprechen in den Uuterrichtspanse", beim Spielen und
auf der Straße angehalten werden müssen, daß ferner der gesamte deutsche
Uiiterricht sich den Bedürfnissen des praktischen Lebens anschließen muß, daß
die überfüllte" und schlecht eingerichteten Schulen zu beseitige" si"d und hin¬
sichtlich der Lehrmittel nicht gekargt werden darf, ist selbstverständlich.

Von einer Unterdrückung der französischen Sprache kann dabei keine Rede
sein. Die Kuider hören zu Hanse und im täglichen Umgänge so viel franzö-


Das Deutsche in Llsaß-Lothringen

Bei diesem Anlaß mag auch darauf hingewiesen werden, daß es wohl an
der Zeit wäre, die Schulpflicht der Mädchen, die seither bloß bis zum drei¬
zehnten Lebensjahre dauerte, wie bei den Knaben bis zum vierzehnten Lebens¬
jahr auszudehnen und den Entlassnngsprüfungen, die in ihrer heutigen Gestalt
nicht selten nur eine leere Formalität sind, ein größeres Gewicht zu geben.
Es wäre ein bedeutender Sporn für Eltern und Schiller, wenn 8 2 des
Schulgesetzes vom 18. April 1871: „Der Schulbesuch muß so lange fortgesetzt
werden, bis das Kind von der Schulbehörde als eutlassungsrrif erkannt worden
ist," nicht bloß auf dem Papier stünde, sondern besonders anch auf das Deutsch-
sprecheu richtig angewendet würde.

Vom Lehrpersonal ist neuerdings ein Teil der nicht gelingend deutsch
sprechenden Lehrer in den Ruhestand versetzt worden. Doch traf ich noch
eine Anzahl von ältern Lehrern an, die des Deutschen fast gar nicht mächtig
waren. Ferner beobachtete ich wiederholt, daß ans französisch redenden
Gegenden stammende junge Lehrer, die vor wenigen Jahren aus dein Seminar
entlassen worden waren, ihr Deutsch aus Mangel an Übung verlernen und
sich nur noch sehr mühsam und fehlerhaft darin ausdrucken können. Statt
daß sie die Jugend in dem Dorfe verdeutschen, verwelscheu sie selbst. Es
dürfte wohl zweckmäßig sein, solche junge Leute womöglich zuerst einige Jahre
in deutsch sprechenden Schulen zu verwenden. Ob nicht von den Lehrern ein
entschiedneres Vorgehen zu Gunsten des Deutschen erwartet werden dürfte,
wenn sie eine unabhängigere Stellung einnahmen, will ich nur beiläufig er¬
wähnen. Inwieweit die wiederholt von mir gehörte Äußerung: „Der Lehrer
ist der Diener des Pfarrers und der Schreiber des Mcnres; eine Keine
Meinungsverschiedenheit mit diesen Hochmögenden, lind er stiegt zum Dorfe
hinaus" auf Wahrheit beruht, entzieht sich meiner Veilrteilnng.

Von entscheidender Wichtigkeit ist es schließlich, daß nicht bloß der
Sprachgrenze entlang, sondern in sämtlichen französisch redenden Gegenden der
französische Unterricht zu Gunsten des Deutschen beschränkt werde. Die seit¬
herigen Mißerfolge sind dadurch entstanden, daß die Schüler zu wenig Übung
im Deutschsprechen hatten. Im allgemeinen dürfte es ausreichen, wenn wöchent¬
lich zwei französische Stunden gegeben werde»; die ersten drei bis vier Jahrgänge
sollten gar keine französischen Stunden erhalten, damit die ganze Kraft des
Lehrers und des Schülers dem Deutschen gewidmet werden könnte. Daß die
Schüler auch zum Dentschsprechen in den Uuterrichtspanse», beim Spielen und
auf der Straße angehalten werden müssen, daß ferner der gesamte deutsche
Uiiterricht sich den Bedürfnissen des praktischen Lebens anschließen muß, daß
die überfüllte» und schlecht eingerichteten Schulen zu beseitige» si»d und hin¬
sichtlich der Lehrmittel nicht gekargt werden darf, ist selbstverständlich.

Von einer Unterdrückung der französischen Sprache kann dabei keine Rede
sein. Die Kuider hören zu Hanse und im täglichen Umgänge so viel franzö-


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[0602] Das Deutsche in Llsaß-Lothringen Bei diesem Anlaß mag auch darauf hingewiesen werden, daß es wohl an der Zeit wäre, die Schulpflicht der Mädchen, die seither bloß bis zum drei¬ zehnten Lebensjahre dauerte, wie bei den Knaben bis zum vierzehnten Lebens¬ jahr auszudehnen und den Entlassnngsprüfungen, die in ihrer heutigen Gestalt nicht selten nur eine leere Formalität sind, ein größeres Gewicht zu geben. Es wäre ein bedeutender Sporn für Eltern und Schiller, wenn 8 2 des Schulgesetzes vom 18. April 1871: „Der Schulbesuch muß so lange fortgesetzt werden, bis das Kind von der Schulbehörde als eutlassungsrrif erkannt worden ist," nicht bloß auf dem Papier stünde, sondern besonders anch auf das Deutsch- sprecheu richtig angewendet würde. Vom Lehrpersonal ist neuerdings ein Teil der nicht gelingend deutsch sprechenden Lehrer in den Ruhestand versetzt worden. Doch traf ich noch eine Anzahl von ältern Lehrern an, die des Deutschen fast gar nicht mächtig waren. Ferner beobachtete ich wiederholt, daß ans französisch redenden Gegenden stammende junge Lehrer, die vor wenigen Jahren aus dein Seminar entlassen worden waren, ihr Deutsch aus Mangel an Übung verlernen und sich nur noch sehr mühsam und fehlerhaft darin ausdrucken können. Statt daß sie die Jugend in dem Dorfe verdeutschen, verwelscheu sie selbst. Es dürfte wohl zweckmäßig sein, solche junge Leute womöglich zuerst einige Jahre in deutsch sprechenden Schulen zu verwenden. Ob nicht von den Lehrern ein entschiedneres Vorgehen zu Gunsten des Deutschen erwartet werden dürfte, wenn sie eine unabhängigere Stellung einnahmen, will ich nur beiläufig er¬ wähnen. Inwieweit die wiederholt von mir gehörte Äußerung: „Der Lehrer ist der Diener des Pfarrers und der Schreiber des Mcnres; eine Keine Meinungsverschiedenheit mit diesen Hochmögenden, lind er stiegt zum Dorfe hinaus" auf Wahrheit beruht, entzieht sich meiner Veilrteilnng. Von entscheidender Wichtigkeit ist es schließlich, daß nicht bloß der Sprachgrenze entlang, sondern in sämtlichen französisch redenden Gegenden der französische Unterricht zu Gunsten des Deutschen beschränkt werde. Die seit¬ herigen Mißerfolge sind dadurch entstanden, daß die Schüler zu wenig Übung im Deutschsprechen hatten. Im allgemeinen dürfte es ausreichen, wenn wöchent¬ lich zwei französische Stunden gegeben werde»; die ersten drei bis vier Jahrgänge sollten gar keine französischen Stunden erhalten, damit die ganze Kraft des Lehrers und des Schülers dem Deutschen gewidmet werden könnte. Daß die Schüler auch zum Dentschsprechen in den Uuterrichtspanse», beim Spielen und auf der Straße angehalten werden müssen, daß ferner der gesamte deutsche Uiiterricht sich den Bedürfnissen des praktischen Lebens anschließen muß, daß die überfüllte» und schlecht eingerichteten Schulen zu beseitige» si»d und hin¬ sichtlich der Lehrmittel nicht gekargt werden darf, ist selbstverständlich. Von einer Unterdrückung der französischen Sprache kann dabei keine Rede sein. Die Kuider hören zu Hanse und im täglichen Umgänge so viel franzö-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/602>, abgerufen am 22.07.2024.