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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Das Deutsche in Elsaß-Lothringen

Um zu verhindern, daß die in der Volksschule erlangten deutschen Kennt¬
nisse wegen Mangel an Übung bald wieder verloren gehen, wäre die Ein¬
richtung von Fortbildungsschulen wünschenswert. Gegenwärtig haben von den
7l>2 Gemeinden Lothringens nur 48 eine solche Fortbildungsschule. Es wäre
ein wahrer Segen für das Land, namentlich auch für die Hebung des Ge¬
werbes und der Landwirtschaft, wenn es möglich gemacht würde, diesen Schulen
eine größere Verbreitung zu geben, Da die Gemeinden die Lokale nebst Heizung
und Beleuchtung stellen und wohl auch Zuschüsse zur Bestreitung der Unter-
richtskvsten geben, so würden die dem Staate erwachsenden Kosten nicht uner¬
schwinglich sein.

Gleichfalls zur Auffrischung der Kenntnisse in der deutschen Sprache
würde es dienen, wenn in den Gemeinden des französischen Sprachgebietes
deutsche Schnlbiblivtheken eingerichtet würden, deren Bücher aber auch den der
Schule entwachsenen jungen Leuten zugänglich gemacht werden müßten. Aus
Landes- und Bezirksmitteln sind seit einer Reihe von Jahren Beiträge zur
Beschaffung solcher Bibliotheken bewilligt worden. Sie scheinen jedoch bis
jetzt hauptsächlich deutschsprachlichen Schulen überwiesen worden zu sein; we¬
nigstens habe ich auf meinen Wanderungen im französischen Sprachgebiete nur
ein paar deutsche Schulbibliotheken vorgefunden.

Wenn der Satz richtig ist: "Wer Lothringen wieder deutsch machen will,
muß vor allein deutsche Mütter heranziehen," so muß künftig dem Mädchen-
schulwese" in den französischen Landesteilen ein größeres Augenmerk zugewendet
werden. Gerade im französischen Sprachgebiete wird das Mädchenschulwesen
vorherrschend von Ordensschwestern geleitet, während in den deutsch redenden
Gegenden in den letzten Jahren die weltlichen Lehrerinnen zugenommen haben.
Bei der ungenügenden französischen und einseitig konfessionellen Erziehung und
Bildung der Schulschwesteru -- deutsche Klassiker sind ihnen Verbote,: -- und bei
ihrer Neigung, den Weisungen der dem deutschsprachlichen Unterricht abholden
Geistlichkeit zu folgen, darf mal sich nicht wundern, daß die ihnen anvertrauten
Mädchen im Deutschen sast durchweg noch weniger leisten, als die Kinder in
den von weltlichen Lehrkräften geleiteten Schulen. Besonders schlimm ist es,
wenn ihnen gemischte Schulen, in denen Knaben und Mädchen vereinigt sind,
anvertraut werden. Ich habe eine Anzahl von jungen Leuten gesprochen, die
aus einer derartigen Schule hervorgegangen waren, deren deutsche und auch
sonstige Kenntnisse fast Null waren. Daß solche Fälle nicht vereinzelt sind,
und daß die Ansicht unter der Bevölkerung, die Schwestern seien mehr ster
das Französische als für das Deutsche, allgemein verbreitet ist, wurde mir
allseitig bestätigt. Es wäre angesichts der Wichtigkeit der Sache wohl der
Erörterung wert, ob die Ordenspersonen uicht unes und nach aus dem. fran¬
zösischen Sprachgebiete zurückgezogen: und mehr in den deutscheu Gegenden ver¬
wendet werden sollten.


Grenzboten 1889 IV 75
Das Deutsche in Elsaß-Lothringen

Um zu verhindern, daß die in der Volksschule erlangten deutschen Kennt¬
nisse wegen Mangel an Übung bald wieder verloren gehen, wäre die Ein¬
richtung von Fortbildungsschulen wünschenswert. Gegenwärtig haben von den
7l>2 Gemeinden Lothringens nur 48 eine solche Fortbildungsschule. Es wäre
ein wahrer Segen für das Land, namentlich auch für die Hebung des Ge¬
werbes und der Landwirtschaft, wenn es möglich gemacht würde, diesen Schulen
eine größere Verbreitung zu geben, Da die Gemeinden die Lokale nebst Heizung
und Beleuchtung stellen und wohl auch Zuschüsse zur Bestreitung der Unter-
richtskvsten geben, so würden die dem Staate erwachsenden Kosten nicht uner¬
schwinglich sein.

Gleichfalls zur Auffrischung der Kenntnisse in der deutschen Sprache
würde es dienen, wenn in den Gemeinden des französischen Sprachgebietes
deutsche Schnlbiblivtheken eingerichtet würden, deren Bücher aber auch den der
Schule entwachsenen jungen Leuten zugänglich gemacht werden müßten. Aus
Landes- und Bezirksmitteln sind seit einer Reihe von Jahren Beiträge zur
Beschaffung solcher Bibliotheken bewilligt worden. Sie scheinen jedoch bis
jetzt hauptsächlich deutschsprachlichen Schulen überwiesen worden zu sein; we¬
nigstens habe ich auf meinen Wanderungen im französischen Sprachgebiete nur
ein paar deutsche Schulbibliotheken vorgefunden.

Wenn der Satz richtig ist: „Wer Lothringen wieder deutsch machen will,
muß vor allein deutsche Mütter heranziehen," so muß künftig dem Mädchen-
schulwese» in den französischen Landesteilen ein größeres Augenmerk zugewendet
werden. Gerade im französischen Sprachgebiete wird das Mädchenschulwesen
vorherrschend von Ordensschwestern geleitet, während in den deutsch redenden
Gegenden in den letzten Jahren die weltlichen Lehrerinnen zugenommen haben.
Bei der ungenügenden französischen und einseitig konfessionellen Erziehung und
Bildung der Schulschwesteru — deutsche Klassiker sind ihnen Verbote,: — und bei
ihrer Neigung, den Weisungen der dem deutschsprachlichen Unterricht abholden
Geistlichkeit zu folgen, darf mal sich nicht wundern, daß die ihnen anvertrauten
Mädchen im Deutschen sast durchweg noch weniger leisten, als die Kinder in
den von weltlichen Lehrkräften geleiteten Schulen. Besonders schlimm ist es,
wenn ihnen gemischte Schulen, in denen Knaben und Mädchen vereinigt sind,
anvertraut werden. Ich habe eine Anzahl von jungen Leuten gesprochen, die
aus einer derartigen Schule hervorgegangen waren, deren deutsche und auch
sonstige Kenntnisse fast Null waren. Daß solche Fälle nicht vereinzelt sind,
und daß die Ansicht unter der Bevölkerung, die Schwestern seien mehr ster
das Französische als für das Deutsche, allgemein verbreitet ist, wurde mir
allseitig bestätigt. Es wäre angesichts der Wichtigkeit der Sache wohl der
Erörterung wert, ob die Ordenspersonen uicht unes und nach aus dem. fran¬
zösischen Sprachgebiete zurückgezogen: und mehr in den deutscheu Gegenden ver¬
wendet werden sollten.


Grenzboten 1889 IV 75
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[0601] Das Deutsche in Elsaß-Lothringen Um zu verhindern, daß die in der Volksschule erlangten deutschen Kennt¬ nisse wegen Mangel an Übung bald wieder verloren gehen, wäre die Ein¬ richtung von Fortbildungsschulen wünschenswert. Gegenwärtig haben von den 7l>2 Gemeinden Lothringens nur 48 eine solche Fortbildungsschule. Es wäre ein wahrer Segen für das Land, namentlich auch für die Hebung des Ge¬ werbes und der Landwirtschaft, wenn es möglich gemacht würde, diesen Schulen eine größere Verbreitung zu geben, Da die Gemeinden die Lokale nebst Heizung und Beleuchtung stellen und wohl auch Zuschüsse zur Bestreitung der Unter- richtskvsten geben, so würden die dem Staate erwachsenden Kosten nicht uner¬ schwinglich sein. Gleichfalls zur Auffrischung der Kenntnisse in der deutschen Sprache würde es dienen, wenn in den Gemeinden des französischen Sprachgebietes deutsche Schnlbiblivtheken eingerichtet würden, deren Bücher aber auch den der Schule entwachsenen jungen Leuten zugänglich gemacht werden müßten. Aus Landes- und Bezirksmitteln sind seit einer Reihe von Jahren Beiträge zur Beschaffung solcher Bibliotheken bewilligt worden. Sie scheinen jedoch bis jetzt hauptsächlich deutschsprachlichen Schulen überwiesen worden zu sein; we¬ nigstens habe ich auf meinen Wanderungen im französischen Sprachgebiete nur ein paar deutsche Schulbibliotheken vorgefunden. Wenn der Satz richtig ist: „Wer Lothringen wieder deutsch machen will, muß vor allein deutsche Mütter heranziehen," so muß künftig dem Mädchen- schulwese» in den französischen Landesteilen ein größeres Augenmerk zugewendet werden. Gerade im französischen Sprachgebiete wird das Mädchenschulwesen vorherrschend von Ordensschwestern geleitet, während in den deutsch redenden Gegenden in den letzten Jahren die weltlichen Lehrerinnen zugenommen haben. Bei der ungenügenden französischen und einseitig konfessionellen Erziehung und Bildung der Schulschwesteru — deutsche Klassiker sind ihnen Verbote,: — und bei ihrer Neigung, den Weisungen der dem deutschsprachlichen Unterricht abholden Geistlichkeit zu folgen, darf mal sich nicht wundern, daß die ihnen anvertrauten Mädchen im Deutschen sast durchweg noch weniger leisten, als die Kinder in den von weltlichen Lehrkräften geleiteten Schulen. Besonders schlimm ist es, wenn ihnen gemischte Schulen, in denen Knaben und Mädchen vereinigt sind, anvertraut werden. Ich habe eine Anzahl von jungen Leuten gesprochen, die aus einer derartigen Schule hervorgegangen waren, deren deutsche und auch sonstige Kenntnisse fast Null waren. Daß solche Fälle nicht vereinzelt sind, und daß die Ansicht unter der Bevölkerung, die Schwestern seien mehr ster das Französische als für das Deutsche, allgemein verbreitet ist, wurde mir allseitig bestätigt. Es wäre angesichts der Wichtigkeit der Sache wohl der Erörterung wert, ob die Ordenspersonen uicht unes und nach aus dem. fran¬ zösischen Sprachgebiete zurückgezogen: und mehr in den deutscheu Gegenden ver¬ wendet werden sollten. Grenzboten 1889 IV 75

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/601>, abgerufen am 30.06.2024.