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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Französisch zu bedienen. Inwieweit dus auf politische Beweggründe zurück-
zuführen ist, kann hier unerörtert bleiben.

Wenn aber in den an das deutsche Sprachgebiet grenzenden Zonen die
Ergebnisse des deutschsprachlichen Unterrichts seither wenig befriedigend waren,
so sind sie in den mehr nach innen, namentlich nach der französischen Grenze
zu gelegenen Gebieten geradezu trostlos.

In den dort von mir besuchten Gemeinden habe ich nur vereinzelt junge
Leute getroffen, die von der Schule her noch etwas Deutsch verstanden. Bei
den übrige" ist die Kenntnis des Deutschen wie mit dem Schwämme weg¬
gewischt. Die achtzehn Jahre unter deutscher Herrschaft sind also nach dieser
Seite hin -- Ausnahmen bestätigen die Regel -- als verloren anzusehen.
Fragt man nach den Gründen, warum nichts, aber auch gar nichts hängen
geblieben ist, so hört man sagen: Unser Lehrer war selbst Welscher, der nicht
Deutsch konnte, oder: Wir haben nur Vokabeln gelernt, aber keine Sätze gebildet,
oder: Man hat mit uns nur Übersetzungen gemacht, uns aber nie einen Satz
gelehrt, den wir hätten im täglichen Leben anwenden können. Der Schüler
hört bis zu seinem sechsten Lebensjahr und dem dann folgenden Eintritt in
die Schule nur Französisch, vielfach auch wahrend des Unterrichts. In den
Pansen, auf der Gasse, im Elternhause, in der Kirche hört er keinen dentschen
Laut; daß dn das Deutsche zu kurz kommt, daß alles, aber auch alles nach
der Entlassung aus der Schule wieder vergessen wird, ist erklärlich, zumal da
mit Ausnahme der Militärpflichtiger in der Regel die jungen Leute auch beim
besten Willen keine Gelegenheit haben, sich später im Spreche" zu üben.

Der Einsicht, daß etwas geschehe" müsse, um im Deutschen vorwärts¬
zukommen, scheint sich denn auch neuerdings die Verwaltung nicht verschließen
zu wollen. Die endlich begonnene Beseitigung der nicht Deutsch verstehenden
Lehrer und der vor zwei Jahren erlassene "Normalplan für den deutscheu
Unterricht in den einklassigen Schulen des französischen Sprachgebietes" sind
wohl darauf zurückzuführen. Leider sind aber die Anforderungen dieses Uuter-
richtsplanes derart niedrig gehalten, daß sie nnn und nimmer dazu führen können,
das Deutsche zur Volkssprache zu machen. Man höre. Als Ziel des deutschen
Unterrichts wird angegeben: Die zur Entlassung kommenden Kinder sollen
leichte deutsche Sprachstücke ordentlich lesen und mündlich und schriftlich ohne
grobe Verstöße wiedergeben können. Der französische Lese- und Schreibunter¬
richt beginnt schon im ersten Schuljahr; deutsch lesen und schreiben lernt der
Schüler dagegen erst im dritten Schuljahr. Auf der Oberstufe soll der deutsche
Unterricht in alle Fächer "hineinragen"; beim Kntechisnuisunterricht ist auch
dieses bescheidene "Hineinragen" ausdrücklich verboten. Gegen früher, wo jeder
Lehrer so ziemlich nach Willkür schaltete und waltete, bildeten diese Bestim¬
mungen -- vorausgesetzt, daß sie uicht auf dem Papier stehen bleiben -- aller¬
dings einen Fortschritt; daß sie aber völlig unzureichend sind, um dem Deutschen


Französisch zu bedienen. Inwieweit dus auf politische Beweggründe zurück-
zuführen ist, kann hier unerörtert bleiben.

Wenn aber in den an das deutsche Sprachgebiet grenzenden Zonen die
Ergebnisse des deutschsprachlichen Unterrichts seither wenig befriedigend waren,
so sind sie in den mehr nach innen, namentlich nach der französischen Grenze
zu gelegenen Gebieten geradezu trostlos.

In den dort von mir besuchten Gemeinden habe ich nur vereinzelt junge
Leute getroffen, die von der Schule her noch etwas Deutsch verstanden. Bei
den übrige» ist die Kenntnis des Deutschen wie mit dem Schwämme weg¬
gewischt. Die achtzehn Jahre unter deutscher Herrschaft sind also nach dieser
Seite hin — Ausnahmen bestätigen die Regel — als verloren anzusehen.
Fragt man nach den Gründen, warum nichts, aber auch gar nichts hängen
geblieben ist, so hört man sagen: Unser Lehrer war selbst Welscher, der nicht
Deutsch konnte, oder: Wir haben nur Vokabeln gelernt, aber keine Sätze gebildet,
oder: Man hat mit uns nur Übersetzungen gemacht, uns aber nie einen Satz
gelehrt, den wir hätten im täglichen Leben anwenden können. Der Schüler
hört bis zu seinem sechsten Lebensjahr und dem dann folgenden Eintritt in
die Schule nur Französisch, vielfach auch wahrend des Unterrichts. In den
Pansen, auf der Gasse, im Elternhause, in der Kirche hört er keinen dentschen
Laut; daß dn das Deutsche zu kurz kommt, daß alles, aber auch alles nach
der Entlassung aus der Schule wieder vergessen wird, ist erklärlich, zumal da
mit Ausnahme der Militärpflichtiger in der Regel die jungen Leute auch beim
besten Willen keine Gelegenheit haben, sich später im Spreche» zu üben.

Der Einsicht, daß etwas geschehe» müsse, um im Deutschen vorwärts¬
zukommen, scheint sich denn auch neuerdings die Verwaltung nicht verschließen
zu wollen. Die endlich begonnene Beseitigung der nicht Deutsch verstehenden
Lehrer und der vor zwei Jahren erlassene „Normalplan für den deutscheu
Unterricht in den einklassigen Schulen des französischen Sprachgebietes" sind
wohl darauf zurückzuführen. Leider sind aber die Anforderungen dieses Uuter-
richtsplanes derart niedrig gehalten, daß sie nnn und nimmer dazu führen können,
das Deutsche zur Volkssprache zu machen. Man höre. Als Ziel des deutschen
Unterrichts wird angegeben: Die zur Entlassung kommenden Kinder sollen
leichte deutsche Sprachstücke ordentlich lesen und mündlich und schriftlich ohne
grobe Verstöße wiedergeben können. Der französische Lese- und Schreibunter¬
richt beginnt schon im ersten Schuljahr; deutsch lesen und schreiben lernt der
Schüler dagegen erst im dritten Schuljahr. Auf der Oberstufe soll der deutsche
Unterricht in alle Fächer „hineinragen"; beim Kntechisnuisunterricht ist auch
dieses bescheidene „Hineinragen" ausdrücklich verboten. Gegen früher, wo jeder
Lehrer so ziemlich nach Willkür schaltete und waltete, bildeten diese Bestim¬
mungen — vorausgesetzt, daß sie uicht auf dem Papier stehen bleiben — aller¬
dings einen Fortschritt; daß sie aber völlig unzureichend sind, um dem Deutschen


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[0599] Französisch zu bedienen. Inwieweit dus auf politische Beweggründe zurück- zuführen ist, kann hier unerörtert bleiben. Wenn aber in den an das deutsche Sprachgebiet grenzenden Zonen die Ergebnisse des deutschsprachlichen Unterrichts seither wenig befriedigend waren, so sind sie in den mehr nach innen, namentlich nach der französischen Grenze zu gelegenen Gebieten geradezu trostlos. In den dort von mir besuchten Gemeinden habe ich nur vereinzelt junge Leute getroffen, die von der Schule her noch etwas Deutsch verstanden. Bei den übrige» ist die Kenntnis des Deutschen wie mit dem Schwämme weg¬ gewischt. Die achtzehn Jahre unter deutscher Herrschaft sind also nach dieser Seite hin — Ausnahmen bestätigen die Regel — als verloren anzusehen. Fragt man nach den Gründen, warum nichts, aber auch gar nichts hängen geblieben ist, so hört man sagen: Unser Lehrer war selbst Welscher, der nicht Deutsch konnte, oder: Wir haben nur Vokabeln gelernt, aber keine Sätze gebildet, oder: Man hat mit uns nur Übersetzungen gemacht, uns aber nie einen Satz gelehrt, den wir hätten im täglichen Leben anwenden können. Der Schüler hört bis zu seinem sechsten Lebensjahr und dem dann folgenden Eintritt in die Schule nur Französisch, vielfach auch wahrend des Unterrichts. In den Pansen, auf der Gasse, im Elternhause, in der Kirche hört er keinen dentschen Laut; daß dn das Deutsche zu kurz kommt, daß alles, aber auch alles nach der Entlassung aus der Schule wieder vergessen wird, ist erklärlich, zumal da mit Ausnahme der Militärpflichtiger in der Regel die jungen Leute auch beim besten Willen keine Gelegenheit haben, sich später im Spreche» zu üben. Der Einsicht, daß etwas geschehe» müsse, um im Deutschen vorwärts¬ zukommen, scheint sich denn auch neuerdings die Verwaltung nicht verschließen zu wollen. Die endlich begonnene Beseitigung der nicht Deutsch verstehenden Lehrer und der vor zwei Jahren erlassene „Normalplan für den deutscheu Unterricht in den einklassigen Schulen des französischen Sprachgebietes" sind wohl darauf zurückzuführen. Leider sind aber die Anforderungen dieses Uuter- richtsplanes derart niedrig gehalten, daß sie nnn und nimmer dazu führen können, das Deutsche zur Volkssprache zu machen. Man höre. Als Ziel des deutschen Unterrichts wird angegeben: Die zur Entlassung kommenden Kinder sollen leichte deutsche Sprachstücke ordentlich lesen und mündlich und schriftlich ohne grobe Verstöße wiedergeben können. Der französische Lese- und Schreibunter¬ richt beginnt schon im ersten Schuljahr; deutsch lesen und schreiben lernt der Schüler dagegen erst im dritten Schuljahr. Auf der Oberstufe soll der deutsche Unterricht in alle Fächer „hineinragen"; beim Kntechisnuisunterricht ist auch dieses bescheidene „Hineinragen" ausdrücklich verboten. Gegen früher, wo jeder Lehrer so ziemlich nach Willkür schaltete und waltete, bildeten diese Bestim¬ mungen — vorausgesetzt, daß sie uicht auf dem Papier stehen bleiben — aller¬ dings einen Fortschritt; daß sie aber völlig unzureichend sind, um dem Deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/599>, abgerufen am 02.07.2024.