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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Das Deutsche in Elsaß-Lothringen

Sprachgebiete gelebt haben, haben gelingende Fertigkeit im Deutschsprechen er¬
langt. Hierher gehören besonders alle in deutschen Garnisonen gewesenen Re¬
servisten.

Im allgemeinen fand ich es als Regel: je länger die Schüler ans der
Schule entlassen sind, desto geringer ist die Fähigkeit, deutsch zu sprechen, be¬
wahrt geblieben. Nicht wenige geben zu, in der Schule auch nicht ein Wort
Deutsch gelernt zu haben und führen das darnnf zurück, ihr alter Lehrer oder
die Schnlschwester habe selbst nicht Deutsch gekonnt und während der ganzen
Schulzeit nur französisch gesprochen. Von Geschäftsleuten hörte ich die Klage:
"Unsre vor einigen Jahren entlassenen Söhne haben nicht so viel Deutsch ge-
lernt, um unsern Kunden einen deutschen Brief zu schreiben oder mit den
deutschen Hnndluugsreisendeu zu verkehre". Wir sind, da nun einmal der
Geschäftsmann ohne das Deutsche nicht mehr bestehen kann, gezwungen, die
Knaben mit großen Kosten ans ein oder zwei Jahre in eine Schule im deutschen
Sprachgebiete zu schicken."

Daß bei der Bevölkerung das Bedürfnis, deutsch zu sprechen, immer mehr
empfunden wird, konnte ich wiederholt wahrnehmen. So ist es vorgekommen,
daß Gemeinden beantragt haben, deu nur französisch sprechenden Lehrer durch
einen, der auch des Deutschen mächtig ist, zu ersetzen. Seit das Deutsche im
amtliche" Verkehr in den letzten Jahren eine größere Ausdehnung gewonnen
hat und auch im Laudesausschuß und im Bezirkstag eingeführt ist, und seit
weder im Gemeindeleben noch im Staatsdienste das Deutsche entbehrt werden
kann, und bei dem steigenden Verkehr mit dem deutschen Sprachgebiet auch
der Geschäftsmann ohne Kenntnis des Deutschen seine Interessen geschädigt
sieht, seit endlich die früher gehoffte Wiedervereinigung mit Frankreich in un¬
absehbare Ferne gerückt ist, hat sich ganz allgemein, wenigstens in den die
Sprachgrenze entlang befindlichen Gegenden, ein Umschwung zu Gunsten des
Dentschlernens vollzogen. Inwieweit sich dieser Umschwung zur rascheru Er-
reichung des zunächst anzustrebenden Ziels, nämlich daß das Volk beide
Sprachen neben einander mit annähernd gleicher Fertigkeit spreche, verwerten
läßt, will ich noch erörtern. Hier sei uur noch bemerkt, daß die Geistliche"
überall grnudsützlich als Gegner der deutschen Sprache auftreten. Sie haben
ihre Ausbildung französisch erhalten und sprechen deshalb meist nicht deutsch.
Den Religionsunterricht erteilen sie mir französisch und stoßen natürlich dabei
auf Schwierigkeiten, je mehr der französische Unterricht zu gunsten des deutscheu
verkürzt wird. Aus allen meinen Kreuz- und Querwanderuugcn im franzö¬
sischen Sprachgebiet habe ich nicht einen Geistlichen getroffen, der seinen
Unterricht deutsch gegeben Hütte. Sogar im gemischten Sprachgebiete bevor¬
zugen sie in der Predigt und im Unterricht das Französische, selbst wenn sie
persönlich ganz gut Deutsch können. Auch im dentschen Sprachgebiete pflegt
der Klerus, wenn er unter sich ist, sich des oft sehr fragwürdig gesprochenen


Das Deutsche in Elsaß-Lothringen

Sprachgebiete gelebt haben, haben gelingende Fertigkeit im Deutschsprechen er¬
langt. Hierher gehören besonders alle in deutschen Garnisonen gewesenen Re¬
servisten.

Im allgemeinen fand ich es als Regel: je länger die Schüler ans der
Schule entlassen sind, desto geringer ist die Fähigkeit, deutsch zu sprechen, be¬
wahrt geblieben. Nicht wenige geben zu, in der Schule auch nicht ein Wort
Deutsch gelernt zu haben und führen das darnnf zurück, ihr alter Lehrer oder
die Schnlschwester habe selbst nicht Deutsch gekonnt und während der ganzen
Schulzeit nur französisch gesprochen. Von Geschäftsleuten hörte ich die Klage:
„Unsre vor einigen Jahren entlassenen Söhne haben nicht so viel Deutsch ge-
lernt, um unsern Kunden einen deutschen Brief zu schreiben oder mit den
deutschen Hnndluugsreisendeu zu verkehre». Wir sind, da nun einmal der
Geschäftsmann ohne das Deutsche nicht mehr bestehen kann, gezwungen, die
Knaben mit großen Kosten ans ein oder zwei Jahre in eine Schule im deutschen
Sprachgebiete zu schicken."

Daß bei der Bevölkerung das Bedürfnis, deutsch zu sprechen, immer mehr
empfunden wird, konnte ich wiederholt wahrnehmen. So ist es vorgekommen,
daß Gemeinden beantragt haben, deu nur französisch sprechenden Lehrer durch
einen, der auch des Deutschen mächtig ist, zu ersetzen. Seit das Deutsche im
amtliche» Verkehr in den letzten Jahren eine größere Ausdehnung gewonnen
hat und auch im Laudesausschuß und im Bezirkstag eingeführt ist, und seit
weder im Gemeindeleben noch im Staatsdienste das Deutsche entbehrt werden
kann, und bei dem steigenden Verkehr mit dem deutschen Sprachgebiet auch
der Geschäftsmann ohne Kenntnis des Deutschen seine Interessen geschädigt
sieht, seit endlich die früher gehoffte Wiedervereinigung mit Frankreich in un¬
absehbare Ferne gerückt ist, hat sich ganz allgemein, wenigstens in den die
Sprachgrenze entlang befindlichen Gegenden, ein Umschwung zu Gunsten des
Dentschlernens vollzogen. Inwieweit sich dieser Umschwung zur rascheru Er-
reichung des zunächst anzustrebenden Ziels, nämlich daß das Volk beide
Sprachen neben einander mit annähernd gleicher Fertigkeit spreche, verwerten
läßt, will ich noch erörtern. Hier sei uur noch bemerkt, daß die Geistliche»
überall grnudsützlich als Gegner der deutschen Sprache auftreten. Sie haben
ihre Ausbildung französisch erhalten und sprechen deshalb meist nicht deutsch.
Den Religionsunterricht erteilen sie mir französisch und stoßen natürlich dabei
auf Schwierigkeiten, je mehr der französische Unterricht zu gunsten des deutscheu
verkürzt wird. Aus allen meinen Kreuz- und Querwanderuugcn im franzö¬
sischen Sprachgebiet habe ich nicht einen Geistlichen getroffen, der seinen
Unterricht deutsch gegeben Hütte. Sogar im gemischten Sprachgebiete bevor¬
zugen sie in der Predigt und im Unterricht das Französische, selbst wenn sie
persönlich ganz gut Deutsch können. Auch im dentschen Sprachgebiete pflegt
der Klerus, wenn er unter sich ist, sich des oft sehr fragwürdig gesprochenen


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[0598] Das Deutsche in Elsaß-Lothringen Sprachgebiete gelebt haben, haben gelingende Fertigkeit im Deutschsprechen er¬ langt. Hierher gehören besonders alle in deutschen Garnisonen gewesenen Re¬ servisten. Im allgemeinen fand ich es als Regel: je länger die Schüler ans der Schule entlassen sind, desto geringer ist die Fähigkeit, deutsch zu sprechen, be¬ wahrt geblieben. Nicht wenige geben zu, in der Schule auch nicht ein Wort Deutsch gelernt zu haben und führen das darnnf zurück, ihr alter Lehrer oder die Schnlschwester habe selbst nicht Deutsch gekonnt und während der ganzen Schulzeit nur französisch gesprochen. Von Geschäftsleuten hörte ich die Klage: „Unsre vor einigen Jahren entlassenen Söhne haben nicht so viel Deutsch ge- lernt, um unsern Kunden einen deutschen Brief zu schreiben oder mit den deutschen Hnndluugsreisendeu zu verkehre». Wir sind, da nun einmal der Geschäftsmann ohne das Deutsche nicht mehr bestehen kann, gezwungen, die Knaben mit großen Kosten ans ein oder zwei Jahre in eine Schule im deutschen Sprachgebiete zu schicken." Daß bei der Bevölkerung das Bedürfnis, deutsch zu sprechen, immer mehr empfunden wird, konnte ich wiederholt wahrnehmen. So ist es vorgekommen, daß Gemeinden beantragt haben, deu nur französisch sprechenden Lehrer durch einen, der auch des Deutschen mächtig ist, zu ersetzen. Seit das Deutsche im amtliche» Verkehr in den letzten Jahren eine größere Ausdehnung gewonnen hat und auch im Laudesausschuß und im Bezirkstag eingeführt ist, und seit weder im Gemeindeleben noch im Staatsdienste das Deutsche entbehrt werden kann, und bei dem steigenden Verkehr mit dem deutschen Sprachgebiet auch der Geschäftsmann ohne Kenntnis des Deutschen seine Interessen geschädigt sieht, seit endlich die früher gehoffte Wiedervereinigung mit Frankreich in un¬ absehbare Ferne gerückt ist, hat sich ganz allgemein, wenigstens in den die Sprachgrenze entlang befindlichen Gegenden, ein Umschwung zu Gunsten des Dentschlernens vollzogen. Inwieweit sich dieser Umschwung zur rascheru Er- reichung des zunächst anzustrebenden Ziels, nämlich daß das Volk beide Sprachen neben einander mit annähernd gleicher Fertigkeit spreche, verwerten läßt, will ich noch erörtern. Hier sei uur noch bemerkt, daß die Geistliche» überall grnudsützlich als Gegner der deutschen Sprache auftreten. Sie haben ihre Ausbildung französisch erhalten und sprechen deshalb meist nicht deutsch. Den Religionsunterricht erteilen sie mir französisch und stoßen natürlich dabei auf Schwierigkeiten, je mehr der französische Unterricht zu gunsten des deutscheu verkürzt wird. Aus allen meinen Kreuz- und Querwanderuugcn im franzö¬ sischen Sprachgebiet habe ich nicht einen Geistlichen getroffen, der seinen Unterricht deutsch gegeben Hütte. Sogar im gemischten Sprachgebiete bevor¬ zugen sie in der Predigt und im Unterricht das Französische, selbst wenn sie persönlich ganz gut Deutsch können. Auch im dentschen Sprachgebiete pflegt der Klerus, wenn er unter sich ist, sich des oft sehr fragwürdig gesprochenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/598>, abgerufen am 02.07.2024.