Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Deutsche in Elsaß-Lothringen

Dienst des Deutschen gestellt worden sind! Es giebt kaum mehr eine Schule,
in der gar kein Deutsch getrieben würde. Nachdem die alten, unbrauchbaren
Lehrkräfte beseitigt worden sind, werden zur Zeit nnr uoch ausnahmsweise
Kinder die Schule verlassen, ohne einen mehr oder weniger genügenden Schatz
von deutschen Kenntnissen -- Lesen, Schreiben und auch Sprechen -- mit ins
Leben hiuauszunehmen. Wenige Jahrzehnte noch, und es werden in den heute
noch rein französischen Gegenden von dem unter der deutscheu Verwaltung auf¬
gewachsenen Geschlecht beide Sprachen neben einander verstanden und angewandt
werden."

Dieselbe Frage, ob die Fortschritte des Deutschen sich bemerklich machten,
richtete ich dann an verschiedene Offiziere, die bei der Ausbildung der reichs-
ländischen Rekruten beschäftigt sind, und erhielt folgenden Bescheid: "Es ist
nichts geschehen für das Deutsche. Die Rekruten aus dem französischen Sprach¬
gebiete können zwar neuerdings zum Teil etwas deutsch schreiben und lesen
und werden deshalb als mit "deutscher Schulbildung" ausgestattet bezeichnet.
Aber sie können meist nicht einen Satz ordentlich deutsch sprechen; das lernen
sie erst von ihren Kameraden und im Kasernenunterricht. Bei der Garde hat
man es sogar für notwendig gehalten, Geldpreise sür solche Elsaß-Lothringer,
die gute Fortschritte im Deutschen machen, auszusetzen. Daß die Ausbildung
der nur französisch sprechenden Rekruten ganz besondre Schwierigkeiten macht
und auch an die Leute selbst ganz besondre Anforderungen stellt, liegt auf
der Hand."

Ähnlich ungünstig lautete das Urteil eines seit viele" Jahren im fran¬
zösischen Sprachgebiet angestellten Amtsrichters. Er sagte mir: "Die ersten
fünfzehn Jahre sind für Verbreitung des Deutschen als verloren anzusehen;
wie vor einem Jahrzehnt, muß ich mit den Zeugen oder Angeklagten, die acht
Jahre lang in die deutsche Schule gegangen sind, französisch oder im Patois
reden. Auf deutsche Fragen bringe ich in der Regel nur einzelne abgebrochene
Wörter heraus. Wenn nicht Wandel geschaffen wird, sind wir in einem halben
Jahrhundert gerade noch so weit wie zu Anfang der siebziger Jahre."

Ein einheimischer, beider Sprachen mächtiger Geistlicher riemle: "Die
jungen Leute können nur ihr Patois geläufig sprechen, das sie von ihren
Eltern lernen und das ein paar Stunden von hier kein Mensch mehr versteht.
Zu französischer Zeit haben sie wenigstens noch das mit dem Patois verwandle
Französisch gelernt. Seit sie auch noch Deutsch, also drei verschiedne Sprachen
treiben müssen, lernen sie keine einzige mehr richtig. Wenn das so fortgeht,
so muß ich zuletzt in der Predigt und im Katechismus mich des Patois be¬
dienen, um mich verständlich zu macheu."

Um mir Klarheit in der Sache zu verschaffen, beschloß ich eine Wande¬
rung durch das französische Sprachgebiet Lothringens zu unternehmen. Von
Ort zu Ort gehend besuchte ich dabei eine größere Anzahl von Gemeinden in


Das Deutsche in Elsaß-Lothringen

Dienst des Deutschen gestellt worden sind! Es giebt kaum mehr eine Schule,
in der gar kein Deutsch getrieben würde. Nachdem die alten, unbrauchbaren
Lehrkräfte beseitigt worden sind, werden zur Zeit nnr uoch ausnahmsweise
Kinder die Schule verlassen, ohne einen mehr oder weniger genügenden Schatz
von deutschen Kenntnissen — Lesen, Schreiben und auch Sprechen — mit ins
Leben hiuauszunehmen. Wenige Jahrzehnte noch, und es werden in den heute
noch rein französischen Gegenden von dem unter der deutscheu Verwaltung auf¬
gewachsenen Geschlecht beide Sprachen neben einander verstanden und angewandt
werden."

Dieselbe Frage, ob die Fortschritte des Deutschen sich bemerklich machten,
richtete ich dann an verschiedene Offiziere, die bei der Ausbildung der reichs-
ländischen Rekruten beschäftigt sind, und erhielt folgenden Bescheid: „Es ist
nichts geschehen für das Deutsche. Die Rekruten aus dem französischen Sprach¬
gebiete können zwar neuerdings zum Teil etwas deutsch schreiben und lesen
und werden deshalb als mit »deutscher Schulbildung« ausgestattet bezeichnet.
Aber sie können meist nicht einen Satz ordentlich deutsch sprechen; das lernen
sie erst von ihren Kameraden und im Kasernenunterricht. Bei der Garde hat
man es sogar für notwendig gehalten, Geldpreise sür solche Elsaß-Lothringer,
die gute Fortschritte im Deutschen machen, auszusetzen. Daß die Ausbildung
der nur französisch sprechenden Rekruten ganz besondre Schwierigkeiten macht
und auch an die Leute selbst ganz besondre Anforderungen stellt, liegt auf
der Hand."

Ähnlich ungünstig lautete das Urteil eines seit viele» Jahren im fran¬
zösischen Sprachgebiet angestellten Amtsrichters. Er sagte mir: „Die ersten
fünfzehn Jahre sind für Verbreitung des Deutschen als verloren anzusehen;
wie vor einem Jahrzehnt, muß ich mit den Zeugen oder Angeklagten, die acht
Jahre lang in die deutsche Schule gegangen sind, französisch oder im Patois
reden. Auf deutsche Fragen bringe ich in der Regel nur einzelne abgebrochene
Wörter heraus. Wenn nicht Wandel geschaffen wird, sind wir in einem halben
Jahrhundert gerade noch so weit wie zu Anfang der siebziger Jahre."

Ein einheimischer, beider Sprachen mächtiger Geistlicher riemle: „Die
jungen Leute können nur ihr Patois geläufig sprechen, das sie von ihren
Eltern lernen und das ein paar Stunden von hier kein Mensch mehr versteht.
Zu französischer Zeit haben sie wenigstens noch das mit dem Patois verwandle
Französisch gelernt. Seit sie auch noch Deutsch, also drei verschiedne Sprachen
treiben müssen, lernen sie keine einzige mehr richtig. Wenn das so fortgeht,
so muß ich zuletzt in der Predigt und im Katechismus mich des Patois be¬
dienen, um mich verständlich zu macheu."

Um mir Klarheit in der Sache zu verschaffen, beschloß ich eine Wande¬
rung durch das französische Sprachgebiet Lothringens zu unternehmen. Von
Ort zu Ort gehend besuchte ich dabei eine größere Anzahl von Gemeinden in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206595"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Deutsche in Elsaß-Lothringen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1965" prev="#ID_1964"> Dienst des Deutschen gestellt worden sind! Es giebt kaum mehr eine Schule,<lb/>
in der gar kein Deutsch getrieben würde. Nachdem die alten, unbrauchbaren<lb/>
Lehrkräfte beseitigt worden sind, werden zur Zeit nnr uoch ausnahmsweise<lb/>
Kinder die Schule verlassen, ohne einen mehr oder weniger genügenden Schatz<lb/>
von deutschen Kenntnissen &#x2014; Lesen, Schreiben und auch Sprechen &#x2014; mit ins<lb/>
Leben hiuauszunehmen. Wenige Jahrzehnte noch, und es werden in den heute<lb/>
noch rein französischen Gegenden von dem unter der deutscheu Verwaltung auf¬<lb/>
gewachsenen Geschlecht beide Sprachen neben einander verstanden und angewandt<lb/>
werden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1966"> Dieselbe Frage, ob die Fortschritte des Deutschen sich bemerklich machten,<lb/>
richtete ich dann an verschiedene Offiziere, die bei der Ausbildung der reichs-<lb/>
ländischen Rekruten beschäftigt sind, und erhielt folgenden Bescheid: &#x201E;Es ist<lb/>
nichts geschehen für das Deutsche. Die Rekruten aus dem französischen Sprach¬<lb/>
gebiete können zwar neuerdings zum Teil etwas deutsch schreiben und lesen<lb/>
und werden deshalb als mit »deutscher Schulbildung« ausgestattet bezeichnet.<lb/>
Aber sie können meist nicht einen Satz ordentlich deutsch sprechen; das lernen<lb/>
sie erst von ihren Kameraden und im Kasernenunterricht. Bei der Garde hat<lb/>
man es sogar für notwendig gehalten, Geldpreise sür solche Elsaß-Lothringer,<lb/>
die gute Fortschritte im Deutschen machen, auszusetzen. Daß die Ausbildung<lb/>
der nur französisch sprechenden Rekruten ganz besondre Schwierigkeiten macht<lb/>
und auch an die Leute selbst ganz besondre Anforderungen stellt, liegt auf<lb/>
der Hand."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1967"> Ähnlich ungünstig lautete das Urteil eines seit viele» Jahren im fran¬<lb/>
zösischen Sprachgebiet angestellten Amtsrichters. Er sagte mir: &#x201E;Die ersten<lb/>
fünfzehn Jahre sind für Verbreitung des Deutschen als verloren anzusehen;<lb/>
wie vor einem Jahrzehnt, muß ich mit den Zeugen oder Angeklagten, die acht<lb/>
Jahre lang in die deutsche Schule gegangen sind, französisch oder im Patois<lb/>
reden. Auf deutsche Fragen bringe ich in der Regel nur einzelne abgebrochene<lb/>
Wörter heraus. Wenn nicht Wandel geschaffen wird, sind wir in einem halben<lb/>
Jahrhundert gerade noch so weit wie zu Anfang der siebziger Jahre."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1968"> Ein einheimischer, beider Sprachen mächtiger Geistlicher riemle: &#x201E;Die<lb/>
jungen Leute können nur ihr Patois geläufig sprechen, das sie von ihren<lb/>
Eltern lernen und das ein paar Stunden von hier kein Mensch mehr versteht.<lb/>
Zu französischer Zeit haben sie wenigstens noch das mit dem Patois verwandle<lb/>
Französisch gelernt. Seit sie auch noch Deutsch, also drei verschiedne Sprachen<lb/>
treiben müssen, lernen sie keine einzige mehr richtig. Wenn das so fortgeht,<lb/>
so muß ich zuletzt in der Predigt und im Katechismus mich des Patois be¬<lb/>
dienen, um mich verständlich zu macheu."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1969" next="#ID_1970"> Um mir Klarheit in der Sache zu verschaffen, beschloß ich eine Wande¬<lb/>
rung durch das französische Sprachgebiet Lothringens zu unternehmen. Von<lb/>
Ort zu Ort gehend besuchte ich dabei eine größere Anzahl von Gemeinden in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0596] Das Deutsche in Elsaß-Lothringen Dienst des Deutschen gestellt worden sind! Es giebt kaum mehr eine Schule, in der gar kein Deutsch getrieben würde. Nachdem die alten, unbrauchbaren Lehrkräfte beseitigt worden sind, werden zur Zeit nnr uoch ausnahmsweise Kinder die Schule verlassen, ohne einen mehr oder weniger genügenden Schatz von deutschen Kenntnissen — Lesen, Schreiben und auch Sprechen — mit ins Leben hiuauszunehmen. Wenige Jahrzehnte noch, und es werden in den heute noch rein französischen Gegenden von dem unter der deutscheu Verwaltung auf¬ gewachsenen Geschlecht beide Sprachen neben einander verstanden und angewandt werden." Dieselbe Frage, ob die Fortschritte des Deutschen sich bemerklich machten, richtete ich dann an verschiedene Offiziere, die bei der Ausbildung der reichs- ländischen Rekruten beschäftigt sind, und erhielt folgenden Bescheid: „Es ist nichts geschehen für das Deutsche. Die Rekruten aus dem französischen Sprach¬ gebiete können zwar neuerdings zum Teil etwas deutsch schreiben und lesen und werden deshalb als mit »deutscher Schulbildung« ausgestattet bezeichnet. Aber sie können meist nicht einen Satz ordentlich deutsch sprechen; das lernen sie erst von ihren Kameraden und im Kasernenunterricht. Bei der Garde hat man es sogar für notwendig gehalten, Geldpreise sür solche Elsaß-Lothringer, die gute Fortschritte im Deutschen machen, auszusetzen. Daß die Ausbildung der nur französisch sprechenden Rekruten ganz besondre Schwierigkeiten macht und auch an die Leute selbst ganz besondre Anforderungen stellt, liegt auf der Hand." Ähnlich ungünstig lautete das Urteil eines seit viele» Jahren im fran¬ zösischen Sprachgebiet angestellten Amtsrichters. Er sagte mir: „Die ersten fünfzehn Jahre sind für Verbreitung des Deutschen als verloren anzusehen; wie vor einem Jahrzehnt, muß ich mit den Zeugen oder Angeklagten, die acht Jahre lang in die deutsche Schule gegangen sind, französisch oder im Patois reden. Auf deutsche Fragen bringe ich in der Regel nur einzelne abgebrochene Wörter heraus. Wenn nicht Wandel geschaffen wird, sind wir in einem halben Jahrhundert gerade noch so weit wie zu Anfang der siebziger Jahre." Ein einheimischer, beider Sprachen mächtiger Geistlicher riemle: „Die jungen Leute können nur ihr Patois geläufig sprechen, das sie von ihren Eltern lernen und das ein paar Stunden von hier kein Mensch mehr versteht. Zu französischer Zeit haben sie wenigstens noch das mit dem Patois verwandle Französisch gelernt. Seit sie auch noch Deutsch, also drei verschiedne Sprachen treiben müssen, lernen sie keine einzige mehr richtig. Wenn das so fortgeht, so muß ich zuletzt in der Predigt und im Katechismus mich des Patois be¬ dienen, um mich verständlich zu macheu." Um mir Klarheit in der Sache zu verschaffen, beschloß ich eine Wande¬ rung durch das französische Sprachgebiet Lothringens zu unternehmen. Von Ort zu Ort gehend besuchte ich dabei eine größere Anzahl von Gemeinden in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/596
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/596>, abgerufen am 22.12.2024.