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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Das Deutsche in Elsaß-Lothringen

sollten. Erst 1878 war es möglich, auf Grund der inzwischen gesammelten
Ersahrungen endgiltige, die Fehler der frühern Ermittlungen berichtigende Er¬
hebungen anzustellen. Aber auch da mußte ans eine völlig genaue Zählung
Verzicht geleistet werdeu, dn mit Sicherheit anzunehmen war, daß auch in den
Landesteilen, in denen das Deutsche ohne allen Zweifel die allgemeine Volks¬
sprache ist, eine große Anzahl von französisch redenden Personen angegeben
worden wäre. Die Ermittlung des Zahlenverhältnisfes wurde nun in der
Weise bewirkt, daß man die Einwohner der Gemeinden, in denen ausschließlich
deutsch oder ausschließlich französisch gesprochen wird, für sich berechnete und
die übrigen Gemeinden, in denen man beide Sprachen spricht, als "sprachlich
gemischt" bezeichnete. Dadurch, daß man dann die eine Hälfte der Einwohner
der letztern Gemeinden als deutsch, die andre als französisch redend annahm,
ließ sich ein allerdings nur annähernd richtiges Ergebnis gewinnen.

Bei diesen: summarischen Verfahren hat sich nun ergeben, daß 77,30 Prozent
der reichsländischeu Bevölkerung dem rein deutschen Sprachgebiet angehören,
während nur 12,12 Prozent ausschließlich französisch sprechen und 10,4!) Prozent
in dem Gebiete wohnen, wo beide Sprachen neben einander gebraucht werden.
Nach Bezirken verteilt, zählt Unterelsaß 4,09 Prozent französisch sprechende
Personen, die in 5 Gemeinden des Kreises Schlettstadt und in 22 Gemeinden
des Kreises Molsheim leben; Oberelsaß hat nur 3,71 Prozent ausschließlich
französisch redende und 17,58 Prozent gemischte Bevölkerung; in Lothringen
macht die französisch redende Bevölkerung 30,37, die dein gemischten Sprach¬
gebiet angehörige 16,38 Prozent aus. Im ganzen zählte das Reichsland im
Jahre 1875 181737 nur französisch redende Bewohner in 385 Gemeinden,
157269 Personen innerhalb des sprachlich gemischten Gebietes in 86 Gemeinden
und 1160015 nur deutsch redende Personen in 370 Gemeinden. Unterelsaß
weist 27 rein französische Gemeinden mit 23940, Oberelsaß 17 solcher Ge¬
meinden in't 16617 und Lothringen 341 Gemeinden mit 141179 nur fran¬
zösisch sprechenden Bewohnern auf. Ferner hat Unterelsaß 2 sprachlich ge¬
mischte Gemeinden mit 2268 Einwohnern, Oberelsaß 43 Gemeinden mit 78866
Einwohnern und Lothringen 41 Gemeinden mit 76135 Einwohnern.

Wenn man von diesen Ziffern ausgehend die Fortschritte feststellen will,
die das Deutsche innerhalb des französischen Sprachgebietes inzwischen ge¬
macht hat, so wird man von dem erwachsenen Teile der Bevölkerung, der von
der deutschen Schule unberührt geblieben ist, füglich absehen können, besonders
soweit es sich um die Landbevölkerung handelt. Diese hat keine Gelegenheit
zum Deutschlernen und bei ihrer Abgeschlossenheit vom Verkehr -- jedes Dorf
bildet sozusagen eine Welt für sich -- und bei dem Umstände, daß alle An¬
ordnungen der Behörden gleichzeitig auch in französischer Sprache erlassen
werden, auch keine Nötigung dazu. Rechnet man noch die Abneigung gegen
alles Neue dazu, wozu noch die politische Abneigung gegen Deutschland


Das Deutsche in Elsaß-Lothringen

sollten. Erst 1878 war es möglich, auf Grund der inzwischen gesammelten
Ersahrungen endgiltige, die Fehler der frühern Ermittlungen berichtigende Er¬
hebungen anzustellen. Aber auch da mußte ans eine völlig genaue Zählung
Verzicht geleistet werdeu, dn mit Sicherheit anzunehmen war, daß auch in den
Landesteilen, in denen das Deutsche ohne allen Zweifel die allgemeine Volks¬
sprache ist, eine große Anzahl von französisch redenden Personen angegeben
worden wäre. Die Ermittlung des Zahlenverhältnisfes wurde nun in der
Weise bewirkt, daß man die Einwohner der Gemeinden, in denen ausschließlich
deutsch oder ausschließlich französisch gesprochen wird, für sich berechnete und
die übrigen Gemeinden, in denen man beide Sprachen spricht, als „sprachlich
gemischt" bezeichnete. Dadurch, daß man dann die eine Hälfte der Einwohner
der letztern Gemeinden als deutsch, die andre als französisch redend annahm,
ließ sich ein allerdings nur annähernd richtiges Ergebnis gewinnen.

Bei diesen: summarischen Verfahren hat sich nun ergeben, daß 77,30 Prozent
der reichsländischeu Bevölkerung dem rein deutschen Sprachgebiet angehören,
während nur 12,12 Prozent ausschließlich französisch sprechen und 10,4!) Prozent
in dem Gebiete wohnen, wo beide Sprachen neben einander gebraucht werden.
Nach Bezirken verteilt, zählt Unterelsaß 4,09 Prozent französisch sprechende
Personen, die in 5 Gemeinden des Kreises Schlettstadt und in 22 Gemeinden
des Kreises Molsheim leben; Oberelsaß hat nur 3,71 Prozent ausschließlich
französisch redende und 17,58 Prozent gemischte Bevölkerung; in Lothringen
macht die französisch redende Bevölkerung 30,37, die dein gemischten Sprach¬
gebiet angehörige 16,38 Prozent aus. Im ganzen zählte das Reichsland im
Jahre 1875 181737 nur französisch redende Bewohner in 385 Gemeinden,
157269 Personen innerhalb des sprachlich gemischten Gebietes in 86 Gemeinden
und 1160015 nur deutsch redende Personen in 370 Gemeinden. Unterelsaß
weist 27 rein französische Gemeinden mit 23940, Oberelsaß 17 solcher Ge¬
meinden in't 16617 und Lothringen 341 Gemeinden mit 141179 nur fran¬
zösisch sprechenden Bewohnern auf. Ferner hat Unterelsaß 2 sprachlich ge¬
mischte Gemeinden mit 2268 Einwohnern, Oberelsaß 43 Gemeinden mit 78866
Einwohnern und Lothringen 41 Gemeinden mit 76135 Einwohnern.

Wenn man von diesen Ziffern ausgehend die Fortschritte feststellen will,
die das Deutsche innerhalb des französischen Sprachgebietes inzwischen ge¬
macht hat, so wird man von dem erwachsenen Teile der Bevölkerung, der von
der deutschen Schule unberührt geblieben ist, füglich absehen können, besonders
soweit es sich um die Landbevölkerung handelt. Diese hat keine Gelegenheit
zum Deutschlernen und bei ihrer Abgeschlossenheit vom Verkehr — jedes Dorf
bildet sozusagen eine Welt für sich — und bei dem Umstände, daß alle An¬
ordnungen der Behörden gleichzeitig auch in französischer Sprache erlassen
werden, auch keine Nötigung dazu. Rechnet man noch die Abneigung gegen
alles Neue dazu, wozu noch die politische Abneigung gegen Deutschland


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[0594] Das Deutsche in Elsaß-Lothringen sollten. Erst 1878 war es möglich, auf Grund der inzwischen gesammelten Ersahrungen endgiltige, die Fehler der frühern Ermittlungen berichtigende Er¬ hebungen anzustellen. Aber auch da mußte ans eine völlig genaue Zählung Verzicht geleistet werdeu, dn mit Sicherheit anzunehmen war, daß auch in den Landesteilen, in denen das Deutsche ohne allen Zweifel die allgemeine Volks¬ sprache ist, eine große Anzahl von französisch redenden Personen angegeben worden wäre. Die Ermittlung des Zahlenverhältnisfes wurde nun in der Weise bewirkt, daß man die Einwohner der Gemeinden, in denen ausschließlich deutsch oder ausschließlich französisch gesprochen wird, für sich berechnete und die übrigen Gemeinden, in denen man beide Sprachen spricht, als „sprachlich gemischt" bezeichnete. Dadurch, daß man dann die eine Hälfte der Einwohner der letztern Gemeinden als deutsch, die andre als französisch redend annahm, ließ sich ein allerdings nur annähernd richtiges Ergebnis gewinnen. Bei diesen: summarischen Verfahren hat sich nun ergeben, daß 77,30 Prozent der reichsländischeu Bevölkerung dem rein deutschen Sprachgebiet angehören, während nur 12,12 Prozent ausschließlich französisch sprechen und 10,4!) Prozent in dem Gebiete wohnen, wo beide Sprachen neben einander gebraucht werden. Nach Bezirken verteilt, zählt Unterelsaß 4,09 Prozent französisch sprechende Personen, die in 5 Gemeinden des Kreises Schlettstadt und in 22 Gemeinden des Kreises Molsheim leben; Oberelsaß hat nur 3,71 Prozent ausschließlich französisch redende und 17,58 Prozent gemischte Bevölkerung; in Lothringen macht die französisch redende Bevölkerung 30,37, die dein gemischten Sprach¬ gebiet angehörige 16,38 Prozent aus. Im ganzen zählte das Reichsland im Jahre 1875 181737 nur französisch redende Bewohner in 385 Gemeinden, 157269 Personen innerhalb des sprachlich gemischten Gebietes in 86 Gemeinden und 1160015 nur deutsch redende Personen in 370 Gemeinden. Unterelsaß weist 27 rein französische Gemeinden mit 23940, Oberelsaß 17 solcher Ge¬ meinden in't 16617 und Lothringen 341 Gemeinden mit 141179 nur fran¬ zösisch sprechenden Bewohnern auf. Ferner hat Unterelsaß 2 sprachlich ge¬ mischte Gemeinden mit 2268 Einwohnern, Oberelsaß 43 Gemeinden mit 78866 Einwohnern und Lothringen 41 Gemeinden mit 76135 Einwohnern. Wenn man von diesen Ziffern ausgehend die Fortschritte feststellen will, die das Deutsche innerhalb des französischen Sprachgebietes inzwischen ge¬ macht hat, so wird man von dem erwachsenen Teile der Bevölkerung, der von der deutschen Schule unberührt geblieben ist, füglich absehen können, besonders soweit es sich um die Landbevölkerung handelt. Diese hat keine Gelegenheit zum Deutschlernen und bei ihrer Abgeschlossenheit vom Verkehr — jedes Dorf bildet sozusagen eine Welt für sich — und bei dem Umstände, daß alle An¬ ordnungen der Behörden gleichzeitig auch in französischer Sprache erlassen werden, auch keine Nötigung dazu. Rechnet man noch die Abneigung gegen alles Neue dazu, wozu noch die politische Abneigung gegen Deutschland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/594>, abgerufen am 28.06.2024.