Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Das Deutsche in Elsaß-Lothringen

achten seit der Wiedervereinigung Elsaß-Lothringens mit dem
deutschen Reiche beinahe zwei Jahrzehnte verflossen sind, wird
man die Berechtigung zu der Frage: Welche Fortschritte hat das
Deutsche in dem französischen Sprachgebiete Elsaß-Lothringens
gemacht? gewiß nicht bestreiten. Ebenso wenig wird man bei
der großen Wichtigkeit, die der Sprachenfrage in Bezug auf die politische und
volkswirtschaftliche Entwicklung der betreffenden Landesteile zukommt, leugnen,
daß eine möglichst eingehende Beantwortung dieser Frage von hervorragendem
nicht bloß wissenschaftlichem, sondern namentlich auch praktischem Interesse ist.
Aber die Schwierigkeit der Beantwortung beginnt schon, wenn es sich darum
handelt, festzustellen, wie groß die Zahl der nur französisch sprechenden Personen
war, Elsaß-Lothringen in deutschen Besitz überging. Da nämlich die aus
französischer Zeit überlieferten Angaben über das Zahlenverhältnis der deutsch
redenden Einwohner zu den französisch sprechenden nichts weiter waren als
willkürliche Schätzungen, die keinen Anspruch auch nur auf annähernde Richtig¬
keit hatten, so begannen deutscherseits amtliche Erhebungen über diesen Punkt
schon im September 1870. Die dabei gewonnenen Ergebnisse wurden sodann
der fachmännischer Beurteilung des Professors Dr. Kiepert und des Negierungs-
rates Böckh in Berlin unterbreitet und als Grundlage für das Gesetz vom
Mürz 1872, die amtliche Geschäftssprache betreffend, verwendet. Diese
vorläufigen Berichte lieferten jedoch auch vielfach falsche Ergebnisse, einerseits
weil es in der ersten Zeit an zuverlässigen, mit der Bevölkerung genügend be¬
kannten Personen fehlte, anderseits Weilsich damals allgemein die Ansicht ver¬
breitet hatte, es handle sich um die Gewinnung von statistischen Material zur
Entscheidung der Frage, welche Gebiete an Deutschland abgetreten werden


Grenzboten IV 1883 74


Das Deutsche in Elsaß-Lothringen

achten seit der Wiedervereinigung Elsaß-Lothringens mit dem
deutschen Reiche beinahe zwei Jahrzehnte verflossen sind, wird
man die Berechtigung zu der Frage: Welche Fortschritte hat das
Deutsche in dem französischen Sprachgebiete Elsaß-Lothringens
gemacht? gewiß nicht bestreiten. Ebenso wenig wird man bei
der großen Wichtigkeit, die der Sprachenfrage in Bezug auf die politische und
volkswirtschaftliche Entwicklung der betreffenden Landesteile zukommt, leugnen,
daß eine möglichst eingehende Beantwortung dieser Frage von hervorragendem
nicht bloß wissenschaftlichem, sondern namentlich auch praktischem Interesse ist.
Aber die Schwierigkeit der Beantwortung beginnt schon, wenn es sich darum
handelt, festzustellen, wie groß die Zahl der nur französisch sprechenden Personen
war, Elsaß-Lothringen in deutschen Besitz überging. Da nämlich die aus
französischer Zeit überlieferten Angaben über das Zahlenverhältnis der deutsch
redenden Einwohner zu den französisch sprechenden nichts weiter waren als
willkürliche Schätzungen, die keinen Anspruch auch nur auf annähernde Richtig¬
keit hatten, so begannen deutscherseits amtliche Erhebungen über diesen Punkt
schon im September 1870. Die dabei gewonnenen Ergebnisse wurden sodann
der fachmännischer Beurteilung des Professors Dr. Kiepert und des Negierungs-
rates Böckh in Berlin unterbreitet und als Grundlage für das Gesetz vom
Mürz 1872, die amtliche Geschäftssprache betreffend, verwendet. Diese
vorläufigen Berichte lieferten jedoch auch vielfach falsche Ergebnisse, einerseits
weil es in der ersten Zeit an zuverlässigen, mit der Bevölkerung genügend be¬
kannten Personen fehlte, anderseits Weilsich damals allgemein die Ansicht ver¬
breitet hatte, es handle sich um die Gewinnung von statistischen Material zur
Entscheidung der Frage, welche Gebiete an Deutschland abgetreten werden


Grenzboten IV 1883 74
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0593" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206592"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341849_205998/figures/grenzboten_341849_205998_206592_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Deutsche in Elsaß-Lothringen</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1957" next="#ID_1958"> achten seit der Wiedervereinigung Elsaß-Lothringens mit dem<lb/>
deutschen Reiche beinahe zwei Jahrzehnte verflossen sind, wird<lb/>
man die Berechtigung zu der Frage: Welche Fortschritte hat das<lb/>
Deutsche in dem französischen Sprachgebiete Elsaß-Lothringens<lb/>
gemacht? gewiß nicht bestreiten. Ebenso wenig wird man bei<lb/>
der großen Wichtigkeit, die der Sprachenfrage in Bezug auf die politische und<lb/>
volkswirtschaftliche Entwicklung der betreffenden Landesteile zukommt, leugnen,<lb/>
daß eine möglichst eingehende Beantwortung dieser Frage von hervorragendem<lb/>
nicht bloß wissenschaftlichem, sondern namentlich auch praktischem Interesse ist.<lb/>
Aber die Schwierigkeit der Beantwortung beginnt schon, wenn es sich darum<lb/>
handelt, festzustellen, wie groß die Zahl der nur französisch sprechenden Personen<lb/>
war, Elsaß-Lothringen in deutschen Besitz überging. Da nämlich die aus<lb/>
französischer Zeit überlieferten Angaben über das Zahlenverhältnis der deutsch<lb/>
redenden Einwohner zu den französisch sprechenden nichts weiter waren als<lb/>
willkürliche Schätzungen, die keinen Anspruch auch nur auf annähernde Richtig¬<lb/>
keit hatten, so begannen deutscherseits amtliche Erhebungen über diesen Punkt<lb/>
schon im September 1870. Die dabei gewonnenen Ergebnisse wurden sodann<lb/>
der fachmännischer Beurteilung des Professors Dr. Kiepert und des Negierungs-<lb/>
rates Böckh in Berlin unterbreitet und als Grundlage für das Gesetz vom<lb/>
Mürz 1872, die amtliche Geschäftssprache betreffend, verwendet. Diese<lb/>
vorläufigen Berichte lieferten jedoch auch vielfach falsche Ergebnisse, einerseits<lb/>
weil es in der ersten Zeit an zuverlässigen, mit der Bevölkerung genügend be¬<lb/>
kannten Personen fehlte, anderseits Weilsich damals allgemein die Ansicht ver¬<lb/>
breitet hatte, es handle sich um die Gewinnung von statistischen Material zur<lb/>
Entscheidung der Frage, welche Gebiete an Deutschland abgetreten werden</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1883 74</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0593] [Abbildung] Das Deutsche in Elsaß-Lothringen achten seit der Wiedervereinigung Elsaß-Lothringens mit dem deutschen Reiche beinahe zwei Jahrzehnte verflossen sind, wird man die Berechtigung zu der Frage: Welche Fortschritte hat das Deutsche in dem französischen Sprachgebiete Elsaß-Lothringens gemacht? gewiß nicht bestreiten. Ebenso wenig wird man bei der großen Wichtigkeit, die der Sprachenfrage in Bezug auf die politische und volkswirtschaftliche Entwicklung der betreffenden Landesteile zukommt, leugnen, daß eine möglichst eingehende Beantwortung dieser Frage von hervorragendem nicht bloß wissenschaftlichem, sondern namentlich auch praktischem Interesse ist. Aber die Schwierigkeit der Beantwortung beginnt schon, wenn es sich darum handelt, festzustellen, wie groß die Zahl der nur französisch sprechenden Personen war, Elsaß-Lothringen in deutschen Besitz überging. Da nämlich die aus französischer Zeit überlieferten Angaben über das Zahlenverhältnis der deutsch redenden Einwohner zu den französisch sprechenden nichts weiter waren als willkürliche Schätzungen, die keinen Anspruch auch nur auf annähernde Richtig¬ keit hatten, so begannen deutscherseits amtliche Erhebungen über diesen Punkt schon im September 1870. Die dabei gewonnenen Ergebnisse wurden sodann der fachmännischer Beurteilung des Professors Dr. Kiepert und des Negierungs- rates Böckh in Berlin unterbreitet und als Grundlage für das Gesetz vom Mürz 1872, die amtliche Geschäftssprache betreffend, verwendet. Diese vorläufigen Berichte lieferten jedoch auch vielfach falsche Ergebnisse, einerseits weil es in der ersten Zeit an zuverlässigen, mit der Bevölkerung genügend be¬ kannten Personen fehlte, anderseits Weilsich damals allgemein die Ansicht ver¬ breitet hatte, es handle sich um die Gewinnung von statistischen Material zur Entscheidung der Frage, welche Gebiete an Deutschland abgetreten werden Grenzboten IV 1883 74

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/593
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/593>, abgerufen am 23.06.2024.