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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

Geschichten zu lauschen, die den Mädchen das Blut in die Wangen trieben,
sodaß sie sich verschämt hinter ihren Spinnrocken versteckten.

Der Krüger hatte eine Tochter. Sie hieß Ellen und war ein großes,
handfestes Mädchen von achtzehn Jahren, mit blattschwarzem Haar und
ein paar scharfen, nußbrauner Augen, mit denen sie sich jegliche Annäherung
vom, Leibe zu halten wußte, zu der ihre schwellenden Formen unter diesen
Verhältnissen Wohl verlocken konnten.

Trotz ihrer Jugend bewegte sie sich wie in einem Harnisch von Mißtrauen
"ud stillem Argwohn, den das Leben nnter diesen Menschen sie anlegen gelehrt
hatte. In ihren dichten, schwarzen Augenbrauen, in ihrem schnellen, aufmerk¬
samen Blick, mit dem sie alle musterte, lag etwas Kaltes, Feindliches, wovor
selbst ihre besten Freunde niemals sicher waren.

Jakob, der sie hatte aufwachsen sehen, redete dagegen väterlich mit ihr.
Ihr gegenüber bewahrte er schlauerweise den Ton des ältern Mannes, der
sie beruhigte, lind sie, die trotz ihrer Größe doch kaum deu Kinderschuhen
entwachsen war, hatte hinter ihrem verschlossenen Wesen wenigstens etwas von
dem offnen, kindlichen Vertrauen für das kleine lächerliche Männchen bewahrt,
in dem sie von jeher alle Weisheit und Erfahrung der Welt vereinigt gesehen
hatte. Sie betrachtete ihn stets mehr als alten, treuen Freund des Hauses,
nicht als zufällig hergereisteu, ja sie konnte sich sogar in trüben, dunkeln
Wintertagen förmlich uach ihm sehnen, der gemütlichen Munterkeit wegen, die
stets in seinem Gefolge war.

Da saß sie dann in ihrer dunkel" Fensterecke und lauschte seinen Scherzen
mit einem stillen, sinnenden Lächeln, während sie fleißig ihr Spinnrad drehte.
Sie genoß ein eignes Wohlbehagen, wie sie so geborgen dasaß und alle diese
bunten Bilder der Welt mit ihrer Thorheit und ihrem Getümmel an ihrer
Seele vorübergleiten ließ. Und wenn er wieder abgereist war, konnte sie sich
Wohl darauf ertappen, daß sie ringsum in den Stuben ein Gefühl unerklärlicher
Leere überkam, oder sie überraschte sich selber bei der Entdeckung, daß sie
stundenlang draußen am See gestanden und sich gegen ihre Gewohnheit
Träumereien hingegeben hatte.

Zuweilen, wenn sie allein waren, rückte er zu ihr hin ans die Bank, wo
sie ihm schweigend, aber willig gestattete, Platz an ihrer Seite zu nehmen.
Er erzählte ihr dann ausführlicher von seinen vielen Reisen in der Heimat
und in fremden Ländern, von den vielen neuen, seltsamen Dingen, die er in
fernen.Gegenden gesehen haben wollte, wo die Sonne über schneebedeckte Berg¬
gipfel und glutrote Weingärten wandert. Er schilderte das Leben des Südens,
das Volksgewühl der großen Städte und die Mönche in ihren einsamen Klöstern.
Und gelegentlich verflocht er in diese Schilderungen verstohlene Reden über das
Glück der Liebe und die heimliche Lust des Lebens, indem er vorsichtig seinen Blick
von ihrem Fuße aufwärts gleiten ließ und sich im stillen freute, wie sie heranreifte.


Junge Liebe

Geschichten zu lauschen, die den Mädchen das Blut in die Wangen trieben,
sodaß sie sich verschämt hinter ihren Spinnrocken versteckten.

Der Krüger hatte eine Tochter. Sie hieß Ellen und war ein großes,
handfestes Mädchen von achtzehn Jahren, mit blattschwarzem Haar und
ein paar scharfen, nußbrauner Augen, mit denen sie sich jegliche Annäherung
vom, Leibe zu halten wußte, zu der ihre schwellenden Formen unter diesen
Verhältnissen Wohl verlocken konnten.

Trotz ihrer Jugend bewegte sie sich wie in einem Harnisch von Mißtrauen
»ud stillem Argwohn, den das Leben nnter diesen Menschen sie anlegen gelehrt
hatte. In ihren dichten, schwarzen Augenbrauen, in ihrem schnellen, aufmerk¬
samen Blick, mit dem sie alle musterte, lag etwas Kaltes, Feindliches, wovor
selbst ihre besten Freunde niemals sicher waren.

Jakob, der sie hatte aufwachsen sehen, redete dagegen väterlich mit ihr.
Ihr gegenüber bewahrte er schlauerweise den Ton des ältern Mannes, der
sie beruhigte, lind sie, die trotz ihrer Größe doch kaum deu Kinderschuhen
entwachsen war, hatte hinter ihrem verschlossenen Wesen wenigstens etwas von
dem offnen, kindlichen Vertrauen für das kleine lächerliche Männchen bewahrt,
in dem sie von jeher alle Weisheit und Erfahrung der Welt vereinigt gesehen
hatte. Sie betrachtete ihn stets mehr als alten, treuen Freund des Hauses,
nicht als zufällig hergereisteu, ja sie konnte sich sogar in trüben, dunkeln
Wintertagen förmlich uach ihm sehnen, der gemütlichen Munterkeit wegen, die
stets in seinem Gefolge war.

Da saß sie dann in ihrer dunkel» Fensterecke und lauschte seinen Scherzen
mit einem stillen, sinnenden Lächeln, während sie fleißig ihr Spinnrad drehte.
Sie genoß ein eignes Wohlbehagen, wie sie so geborgen dasaß und alle diese
bunten Bilder der Welt mit ihrer Thorheit und ihrem Getümmel an ihrer
Seele vorübergleiten ließ. Und wenn er wieder abgereist war, konnte sie sich
Wohl darauf ertappen, daß sie ringsum in den Stuben ein Gefühl unerklärlicher
Leere überkam, oder sie überraschte sich selber bei der Entdeckung, daß sie
stundenlang draußen am See gestanden und sich gegen ihre Gewohnheit
Träumereien hingegeben hatte.

Zuweilen, wenn sie allein waren, rückte er zu ihr hin ans die Bank, wo
sie ihm schweigend, aber willig gestattete, Platz an ihrer Seite zu nehmen.
Er erzählte ihr dann ausführlicher von seinen vielen Reisen in der Heimat
und in fremden Ländern, von den vielen neuen, seltsamen Dingen, die er in
fernen.Gegenden gesehen haben wollte, wo die Sonne über schneebedeckte Berg¬
gipfel und glutrote Weingärten wandert. Er schilderte das Leben des Südens,
das Volksgewühl der großen Städte und die Mönche in ihren einsamen Klöstern.
Und gelegentlich verflocht er in diese Schilderungen verstohlene Reden über das
Glück der Liebe und die heimliche Lust des Lebens, indem er vorsichtig seinen Blick
von ihrem Fuße aufwärts gleiten ließ und sich im stillen freute, wie sie heranreifte.


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[0059] Junge Liebe Geschichten zu lauschen, die den Mädchen das Blut in die Wangen trieben, sodaß sie sich verschämt hinter ihren Spinnrocken versteckten. Der Krüger hatte eine Tochter. Sie hieß Ellen und war ein großes, handfestes Mädchen von achtzehn Jahren, mit blattschwarzem Haar und ein paar scharfen, nußbrauner Augen, mit denen sie sich jegliche Annäherung vom, Leibe zu halten wußte, zu der ihre schwellenden Formen unter diesen Verhältnissen Wohl verlocken konnten. Trotz ihrer Jugend bewegte sie sich wie in einem Harnisch von Mißtrauen »ud stillem Argwohn, den das Leben nnter diesen Menschen sie anlegen gelehrt hatte. In ihren dichten, schwarzen Augenbrauen, in ihrem schnellen, aufmerk¬ samen Blick, mit dem sie alle musterte, lag etwas Kaltes, Feindliches, wovor selbst ihre besten Freunde niemals sicher waren. Jakob, der sie hatte aufwachsen sehen, redete dagegen väterlich mit ihr. Ihr gegenüber bewahrte er schlauerweise den Ton des ältern Mannes, der sie beruhigte, lind sie, die trotz ihrer Größe doch kaum deu Kinderschuhen entwachsen war, hatte hinter ihrem verschlossenen Wesen wenigstens etwas von dem offnen, kindlichen Vertrauen für das kleine lächerliche Männchen bewahrt, in dem sie von jeher alle Weisheit und Erfahrung der Welt vereinigt gesehen hatte. Sie betrachtete ihn stets mehr als alten, treuen Freund des Hauses, nicht als zufällig hergereisteu, ja sie konnte sich sogar in trüben, dunkeln Wintertagen förmlich uach ihm sehnen, der gemütlichen Munterkeit wegen, die stets in seinem Gefolge war. Da saß sie dann in ihrer dunkel» Fensterecke und lauschte seinen Scherzen mit einem stillen, sinnenden Lächeln, während sie fleißig ihr Spinnrad drehte. Sie genoß ein eignes Wohlbehagen, wie sie so geborgen dasaß und alle diese bunten Bilder der Welt mit ihrer Thorheit und ihrem Getümmel an ihrer Seele vorübergleiten ließ. Und wenn er wieder abgereist war, konnte sie sich Wohl darauf ertappen, daß sie ringsum in den Stuben ein Gefühl unerklärlicher Leere überkam, oder sie überraschte sich selber bei der Entdeckung, daß sie stundenlang draußen am See gestanden und sich gegen ihre Gewohnheit Träumereien hingegeben hatte. Zuweilen, wenn sie allein waren, rückte er zu ihr hin ans die Bank, wo sie ihm schweigend, aber willig gestattete, Platz an ihrer Seite zu nehmen. Er erzählte ihr dann ausführlicher von seinen vielen Reisen in der Heimat und in fremden Ländern, von den vielen neuen, seltsamen Dingen, die er in fernen.Gegenden gesehen haben wollte, wo die Sonne über schneebedeckte Berg¬ gipfel und glutrote Weingärten wandert. Er schilderte das Leben des Südens, das Volksgewühl der großen Städte und die Mönche in ihren einsamen Klöstern. Und gelegentlich verflocht er in diese Schilderungen verstohlene Reden über das Glück der Liebe und die heimliche Lust des Lebens, indem er vorsichtig seinen Blick von ihrem Fuße aufwärts gleiten ließ und sich im stillen freute, wie sie heranreifte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/59>, abgerufen am 30.06.2024.