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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

seine hastigen Augen über ihre gesunden Glieder und bloßen Hälse gleiten ließ,
oder wenn er mit schmachtender Geberde vor einem kaum erwachsenen kleinen
Mädchen, das sich ihm schüchtern mit einer alten silbernen Spange oder einem
Stückchen Goldtresse näherte, seine spitzen Schultern bis an die Ohren in die
Höhe zog, dann konnte man es seinen feinen, schmalen Lippen und den großen
ausgespannten Nasenlöchern ansehen, daß sein Herz nach etwas anderm als
nach ihren Sechsern verlangte. Wie merkwürdig es auch klingen mag' das
kleine, blasse Männchen sollte den jungen Frauenzimmern, auf die seine Augen
sielen, gar nicht ungefährlich sein. Eingeweihte wollten sogar wissen, daß bis
dahin uoch kein Mädchen, auf das er es ernstlich abgesehen hatte, auf die
Länge dem schwarzen Zauber dieser Blicke habe widerstehen können. Und mehr
als eine bekümmerte Mutter fand ihre Ruhe erst wieder, wenn sie ihn glücklich
über die Grenze wußte.

Jedes Jahr zu Weihnachten und zur Fastnachtszeit kam Jakob auch nach
dem Balderöder Fährkrug. Und da er von Alters her mit dem Krüger Kreil
bekannt war, so richtete er sich gerne so ein, daß er hier sein Nachtquartier
aufschlug.

Nun kam es zu dieser Jahreszeit häufig vor, daß ein mehrtägiger Regen
oder ein Schneefall mit darauffolgenden Thauwetter die Wege völlig ungang¬
bar machte. Sobald deswegen die Kunde von dein ersten Wagen kam, der
im Moraste stecken geblieben war, hörte aller Verkehr von und nach der Küste
gänzlich auf. Und da es oft einen bis zwei Monate währte, ehe der Frost aufs
neue eine sichere Brücke über die Erde legte, so konnte es zeitweise recht einsam
und melancholisch in dem sonst so lebhaften Fährkrng aussehen.

Um diese Zeit pflegte Jakob zu kommen. Schon der Ton seines schnar¬
renden "Guten Tag, guten Tag, ihr lieben Leute!" während er auf der Diele
seinen Kasten vom Rücken gleiten ließ und die Kälte von den Füßen stampfte,
wirkte wie ein belebender Hauch aus der Welt auf das große, leere Gastzimmer,
wo ein paar trinkende Bauern aus der Nachbarschaft, irgend ein Krämer oder
Wollhändler aus der Umgegend zusammen mit den Bewohnern des Kruges
die ganze Gesellschaft ausmachten. Sogar der alte Krüger Kreil, der gewöhnlich
schlafend am Tischende saß, erhob seinen feurigen, sonnengebrännten Zigeuner-
kvpf und blickte mit erwartungsvollen Lächeln auf.

Jakob selber war niemals besser aufgelegt, als wenn er nach einem guten
Gericht Mehlbrei mit gehackten braunen Zwiebeln und einer Kanne süßer
Molken zwischen ihnen um Eichentische saß. Und obwohl er selber niemals
hitzige Getränke anrührte, brachte er einzig und allein durch seine kleine,
muntere Person und seine lustige Krähenstimme eine festliche Stimmung in den
großen, dunkeln Raum, wo nur ein einziges Talglicht einen kümmerlichen Schein
über die versammelten Köpfe verbreitete. Oft saß man bis tief in die Nacht
hinein, um seinen vielen köstlichen Liedern und seinen uuzächligcn spaßhaften


Junge Liebe

seine hastigen Augen über ihre gesunden Glieder und bloßen Hälse gleiten ließ,
oder wenn er mit schmachtender Geberde vor einem kaum erwachsenen kleinen
Mädchen, das sich ihm schüchtern mit einer alten silbernen Spange oder einem
Stückchen Goldtresse näherte, seine spitzen Schultern bis an die Ohren in die
Höhe zog, dann konnte man es seinen feinen, schmalen Lippen und den großen
ausgespannten Nasenlöchern ansehen, daß sein Herz nach etwas anderm als
nach ihren Sechsern verlangte. Wie merkwürdig es auch klingen mag' das
kleine, blasse Männchen sollte den jungen Frauenzimmern, auf die seine Augen
sielen, gar nicht ungefährlich sein. Eingeweihte wollten sogar wissen, daß bis
dahin uoch kein Mädchen, auf das er es ernstlich abgesehen hatte, auf die
Länge dem schwarzen Zauber dieser Blicke habe widerstehen können. Und mehr
als eine bekümmerte Mutter fand ihre Ruhe erst wieder, wenn sie ihn glücklich
über die Grenze wußte.

Jedes Jahr zu Weihnachten und zur Fastnachtszeit kam Jakob auch nach
dem Balderöder Fährkrug. Und da er von Alters her mit dem Krüger Kreil
bekannt war, so richtete er sich gerne so ein, daß er hier sein Nachtquartier
aufschlug.

Nun kam es zu dieser Jahreszeit häufig vor, daß ein mehrtägiger Regen
oder ein Schneefall mit darauffolgenden Thauwetter die Wege völlig ungang¬
bar machte. Sobald deswegen die Kunde von dein ersten Wagen kam, der
im Moraste stecken geblieben war, hörte aller Verkehr von und nach der Küste
gänzlich auf. Und da es oft einen bis zwei Monate währte, ehe der Frost aufs
neue eine sichere Brücke über die Erde legte, so konnte es zeitweise recht einsam
und melancholisch in dem sonst so lebhaften Fährkrng aussehen.

Um diese Zeit pflegte Jakob zu kommen. Schon der Ton seines schnar¬
renden „Guten Tag, guten Tag, ihr lieben Leute!" während er auf der Diele
seinen Kasten vom Rücken gleiten ließ und die Kälte von den Füßen stampfte,
wirkte wie ein belebender Hauch aus der Welt auf das große, leere Gastzimmer,
wo ein paar trinkende Bauern aus der Nachbarschaft, irgend ein Krämer oder
Wollhändler aus der Umgegend zusammen mit den Bewohnern des Kruges
die ganze Gesellschaft ausmachten. Sogar der alte Krüger Kreil, der gewöhnlich
schlafend am Tischende saß, erhob seinen feurigen, sonnengebrännten Zigeuner-
kvpf und blickte mit erwartungsvollen Lächeln auf.

Jakob selber war niemals besser aufgelegt, als wenn er nach einem guten
Gericht Mehlbrei mit gehackten braunen Zwiebeln und einer Kanne süßer
Molken zwischen ihnen um Eichentische saß. Und obwohl er selber niemals
hitzige Getränke anrührte, brachte er einzig und allein durch seine kleine,
muntere Person und seine lustige Krähenstimme eine festliche Stimmung in den
großen, dunkeln Raum, wo nur ein einziges Talglicht einen kümmerlichen Schein
über die versammelten Köpfe verbreitete. Oft saß man bis tief in die Nacht
hinein, um seinen vielen köstlichen Liedern und seinen uuzächligcn spaßhaften


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[0058] Junge Liebe seine hastigen Augen über ihre gesunden Glieder und bloßen Hälse gleiten ließ, oder wenn er mit schmachtender Geberde vor einem kaum erwachsenen kleinen Mädchen, das sich ihm schüchtern mit einer alten silbernen Spange oder einem Stückchen Goldtresse näherte, seine spitzen Schultern bis an die Ohren in die Höhe zog, dann konnte man es seinen feinen, schmalen Lippen und den großen ausgespannten Nasenlöchern ansehen, daß sein Herz nach etwas anderm als nach ihren Sechsern verlangte. Wie merkwürdig es auch klingen mag' das kleine, blasse Männchen sollte den jungen Frauenzimmern, auf die seine Augen sielen, gar nicht ungefährlich sein. Eingeweihte wollten sogar wissen, daß bis dahin uoch kein Mädchen, auf das er es ernstlich abgesehen hatte, auf die Länge dem schwarzen Zauber dieser Blicke habe widerstehen können. Und mehr als eine bekümmerte Mutter fand ihre Ruhe erst wieder, wenn sie ihn glücklich über die Grenze wußte. Jedes Jahr zu Weihnachten und zur Fastnachtszeit kam Jakob auch nach dem Balderöder Fährkrug. Und da er von Alters her mit dem Krüger Kreil bekannt war, so richtete er sich gerne so ein, daß er hier sein Nachtquartier aufschlug. Nun kam es zu dieser Jahreszeit häufig vor, daß ein mehrtägiger Regen oder ein Schneefall mit darauffolgenden Thauwetter die Wege völlig ungang¬ bar machte. Sobald deswegen die Kunde von dein ersten Wagen kam, der im Moraste stecken geblieben war, hörte aller Verkehr von und nach der Küste gänzlich auf. Und da es oft einen bis zwei Monate währte, ehe der Frost aufs neue eine sichere Brücke über die Erde legte, so konnte es zeitweise recht einsam und melancholisch in dem sonst so lebhaften Fährkrng aussehen. Um diese Zeit pflegte Jakob zu kommen. Schon der Ton seines schnar¬ renden „Guten Tag, guten Tag, ihr lieben Leute!" während er auf der Diele seinen Kasten vom Rücken gleiten ließ und die Kälte von den Füßen stampfte, wirkte wie ein belebender Hauch aus der Welt auf das große, leere Gastzimmer, wo ein paar trinkende Bauern aus der Nachbarschaft, irgend ein Krämer oder Wollhändler aus der Umgegend zusammen mit den Bewohnern des Kruges die ganze Gesellschaft ausmachten. Sogar der alte Krüger Kreil, der gewöhnlich schlafend am Tischende saß, erhob seinen feurigen, sonnengebrännten Zigeuner- kvpf und blickte mit erwartungsvollen Lächeln auf. Jakob selber war niemals besser aufgelegt, als wenn er nach einem guten Gericht Mehlbrei mit gehackten braunen Zwiebeln und einer Kanne süßer Molken zwischen ihnen um Eichentische saß. Und obwohl er selber niemals hitzige Getränke anrührte, brachte er einzig und allein durch seine kleine, muntere Person und seine lustige Krähenstimme eine festliche Stimmung in den großen, dunkeln Raum, wo nur ein einziges Talglicht einen kümmerlichen Schein über die versammelten Köpfe verbreitete. Oft saß man bis tief in die Nacht hinein, um seinen vielen köstlichen Liedern und seinen uuzächligcn spaßhaften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/58>, abgerufen am 28.06.2024.