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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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und des Vertrauens, das man ihm in internationalen Beziehungen widmen
darf; ich glaube also, daß dem Leser mit Anführung einiger in Montenegro
maßgebenden Gesetze besser als mit Beschreibungen des Volkscharakters gedient
ist. So habe ich mir aus dem Kodex Dcmilos I. einige bezeichnende Gesetze
heraufgeschrieben und hoffe, daß sie dem Leser ein wenig Interesse abgewinnen
werden. Der Kodex DanilvS I., der seit dem 23. April 1855 in Kraft ist
(unter dem Titel: Kodex Dcmilos I. des Fürsten und Herren des freien
Montenegro und Brdah) besteht aus 95 Artikeln, die voriges Jahr unwesentlich
abgeändert wurden und sämtliche Bürger des Landes binden. Alle Montene¬
griner und Vrdahner sind vor dem Gesetze gleich, Ehre, Eigentum, Leben und
Freiheit eines jeden sind unantastbar und können nur durch ein gerichtliches
Urteil beeinträchtigt werden. Die Richter sollen unparteiisch sein, jede Partei
und ihre Gründe anhören, jede zu Wort lassen und ihr Urteil erst dann fällen,
wenn sie vollkommen klar in der betreffenden Sache sind; zeigt sich ein Richter
parteiisch, so wird er abgesetzt und muß außerdem 150 Maria-Theresienthaler
Strafe zahlen; verlangt oder empfängt ein Richter Geschenke, so wird er eben¬
falls abgesetzt und muß 150 Thaler zahlen, von denen der Denunziant 50
Thaler erhält; der aber, der dem l Richter Geschenke verspricht oder giebt,
muß für jeden versprochnen Dukaten eine Woche im Gefängnis sitzen und darf
nie mehr vor Gericht erscheinen. Jeder soll seine Ortsvorsteher, Ortsültesten
und Richter achten und lieben, wer sie verleumdet oder mißhandelt, zahlt
10 Thaler Strafe, während der Vorsteher, Älteste oder Richter, der einen
Montenegriner beleidigt, 20 Thaler zahlen muß. Wer sich mit dem Feinde ins
Einverständnis setzt, um dem Lande zu schaden oder Aufruhr unter dem Volke
zu stiften, wird, wenn ihn zwei Zeugen überführen, erschossen, und jeder, der seinen
Verrat entdeckt, kann ihn töten. Wer dies unterläßt oder ihn gar verbirgt,
unterliegt der gleichen Strafe. Wer in Kriegszeiten nicht zu den Waffen
greift, sei es uun ein einzelner oder ein ganzer Stamm, wird entwaffnet, darf
nie wieder Waffen tragen, hat keine Ehre mehr und muß noch außerdem eine
Weiberschürze tragen, zum Zeichen, daß er kein Maunesherz hat. Wer die
Flucht eines Schuldigen begünstigt, wird gleich ihm bestraft. Jeder Mon¬
tenegriner, der einen audern tötet, ohne in Notwehr zu sein, wird erschossen
und kann sich nicht loskaufen; entflieht er, so wird sein Vermögen wegge¬
nommen, er selbst darf das Land nicht wieder betreten, da er für vogelfrei
erklärt ist. Wer beim Streite den Gegner verwundet, wird mit Geldstrafe
belegt, die, wenn die Verwundung vorsätzlich oder aus Übermut geschah, ver¬
doppelt wird. Stößt der Montenegriner einen andern mir dem Fuß, oder
schlägt er ihn mit dem Pfeifenrohr (sehr entehrend), so muß er 15 Dukaten
Strafe zahlen, auch kann ihn der Betroffene straflos töten. Dies muß aber
unmittelbar auf die Beleidigung geschehen, sonst wird er als Verbrecher gestraft.
Wer eines seiner Güter verkaufen will, muß zuvor seine Verwandten und


Ans Nenösterreich

und des Vertrauens, das man ihm in internationalen Beziehungen widmen
darf; ich glaube also, daß dem Leser mit Anführung einiger in Montenegro
maßgebenden Gesetze besser als mit Beschreibungen des Volkscharakters gedient
ist. So habe ich mir aus dem Kodex Dcmilos I. einige bezeichnende Gesetze
heraufgeschrieben und hoffe, daß sie dem Leser ein wenig Interesse abgewinnen
werden. Der Kodex DanilvS I., der seit dem 23. April 1855 in Kraft ist
(unter dem Titel: Kodex Dcmilos I. des Fürsten und Herren des freien
Montenegro und Brdah) besteht aus 95 Artikeln, die voriges Jahr unwesentlich
abgeändert wurden und sämtliche Bürger des Landes binden. Alle Montene¬
griner und Vrdahner sind vor dem Gesetze gleich, Ehre, Eigentum, Leben und
Freiheit eines jeden sind unantastbar und können nur durch ein gerichtliches
Urteil beeinträchtigt werden. Die Richter sollen unparteiisch sein, jede Partei
und ihre Gründe anhören, jede zu Wort lassen und ihr Urteil erst dann fällen,
wenn sie vollkommen klar in der betreffenden Sache sind; zeigt sich ein Richter
parteiisch, so wird er abgesetzt und muß außerdem 150 Maria-Theresienthaler
Strafe zahlen; verlangt oder empfängt ein Richter Geschenke, so wird er eben¬
falls abgesetzt und muß 150 Thaler zahlen, von denen der Denunziant 50
Thaler erhält; der aber, der dem l Richter Geschenke verspricht oder giebt,
muß für jeden versprochnen Dukaten eine Woche im Gefängnis sitzen und darf
nie mehr vor Gericht erscheinen. Jeder soll seine Ortsvorsteher, Ortsültesten
und Richter achten und lieben, wer sie verleumdet oder mißhandelt, zahlt
10 Thaler Strafe, während der Vorsteher, Älteste oder Richter, der einen
Montenegriner beleidigt, 20 Thaler zahlen muß. Wer sich mit dem Feinde ins
Einverständnis setzt, um dem Lande zu schaden oder Aufruhr unter dem Volke
zu stiften, wird, wenn ihn zwei Zeugen überführen, erschossen, und jeder, der seinen
Verrat entdeckt, kann ihn töten. Wer dies unterläßt oder ihn gar verbirgt,
unterliegt der gleichen Strafe. Wer in Kriegszeiten nicht zu den Waffen
greift, sei es uun ein einzelner oder ein ganzer Stamm, wird entwaffnet, darf
nie wieder Waffen tragen, hat keine Ehre mehr und muß noch außerdem eine
Weiberschürze tragen, zum Zeichen, daß er kein Maunesherz hat. Wer die
Flucht eines Schuldigen begünstigt, wird gleich ihm bestraft. Jeder Mon¬
tenegriner, der einen audern tötet, ohne in Notwehr zu sein, wird erschossen
und kann sich nicht loskaufen; entflieht er, so wird sein Vermögen wegge¬
nommen, er selbst darf das Land nicht wieder betreten, da er für vogelfrei
erklärt ist. Wer beim Streite den Gegner verwundet, wird mit Geldstrafe
belegt, die, wenn die Verwundung vorsätzlich oder aus Übermut geschah, ver¬
doppelt wird. Stößt der Montenegriner einen andern mir dem Fuß, oder
schlägt er ihn mit dem Pfeifenrohr (sehr entehrend), so muß er 15 Dukaten
Strafe zahlen, auch kann ihn der Betroffene straflos töten. Dies muß aber
unmittelbar auf die Beleidigung geschehen, sonst wird er als Verbrecher gestraft.
Wer eines seiner Güter verkaufen will, muß zuvor seine Verwandten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/582>, abgerufen am 22.12.2024.