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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten

ziehung, Vergleichuiig, Ausgleichung das einzig Nichtige ist. Ander¬
seits: da, wo die Sprache wirklich beides, Handlung und Zustand, mit
ein und demselben Worte ausdrückt, schafft mau künstlich einen Unterschied
durch greuliche Neubildungen auf -- heit (sie schießen jetzt wie Pilze aus der
Erde) und läßt die Menschen aus Geneigtheit oder Abgeneigtheit, in
der Zerstreutheit, in der Verzücktheit, in der Verstimmtheit, in der
Aufgeregtheit, in der Überraschtheit, uuter Merkmalen von Geistes¬
gestörtheit (!) thun, was sie früher aus Neigung oder Abneigung, in der
Zerstreuung, in der Verzückung, in der Verstimmung, in der Auf¬
regung, in der ersten Überraschung, in einem Anfalle von Geistesstörung
thaten. Fühlt der Leser nicht das Vornehme in den Bildungen auf --ung?
Weht ihm nicht klassische Luft daraus entgegen? und aus den Bildungen auf
-- heit der gemeine Dunst der heutigen Zeitungssprache? Der Strafvollzug,
von dem unsre Juristen, die innige Hingabe, von der unsre Romanschriftsteller
immer reden (nnter andern auch Gustav Freytag wieder, in seinem neuen
Buche über deu Kronprinzen auf jeder Seite), sind geradezu greulich. Wird
jemand Eingabe und Eingebung verwechseln und schreiben: er that dus
aus göttlicher Eingabe? Das fürchterlichste ist der Bezug. Früher
kannte man Bezüge nur an Bettkissen und Stuhlpolsteru. Jetzt heißt es:
mit Bezug auf, in diesem Bezug u. s. w., und da natürlich auch die,
die das Wort so verkehrt anwenden, die Bedeutung der Handlung, die
darin liegen soll, ihm doch nicht recht anfühlen, was haben sie gemacht?
Sie haben das herrliche Wort Bezugnahme erfunden, das nnn freilich
eigentlich Bezug nehmung heißen müßte. Das könnt ihr bequemer haben,
ihr klugen Leute! Was ihr mühselig durch das doppelt fehlerhafte Wort
Bezugnahme auszudrücken sucht, das liegt eben in dein einfachen und richtigen
Worte Beziehung! Aber nur jn kein Wort auf --ung! Dem arme" -- ung
ist der Tod geschworen, das muß mit Stumpf und Stil ausgerottet werden.
Bald wird es als ein Zeichen von Mangel an Erzug und Gebildetheit
gelten, so veraltete Wörter wie Erziehung und Bildung auch nur in den
Mund zu nehme". Vielleicht erleben wirs auch noch, daß vom Lotteriezug
geredet wird, statt von der Lvtterieziehung.

Eine rechte Dummheit hat in der Bildung der Adjectiva auf - isch um
sich gegriffen bei Orts- und Personennamen, die auf e endigen: man schreibt
nur noch von der Halle'schen Universität und von Goethe'schen und
Heine'schen Gedichten. Der Leser übersehe ja das Apostroph nicht! Ohne
das Apostroph würde die Sache den Leuten gar keinen Spaß machen. Jn
dieses Häkchen sind Schulmeister und Professoren ebenso vernarrt wie Setzer
und Korrektoren. Die Endung -isch hat stets unmittelbar an den Stamm
zu treten. Von Laune heißt dus Adjektiv launisch, von Hölle höllisch;
niemand spricht von lauue'scheu Mensche" oder solle'schen Qualen. Und


Allerhand Sprachdummheiten

ziehung, Vergleichuiig, Ausgleichung das einzig Nichtige ist. Ander¬
seits: da, wo die Sprache wirklich beides, Handlung und Zustand, mit
ein und demselben Worte ausdrückt, schafft mau künstlich einen Unterschied
durch greuliche Neubildungen auf — heit (sie schießen jetzt wie Pilze aus der
Erde) und läßt die Menschen aus Geneigtheit oder Abgeneigtheit, in
der Zerstreutheit, in der Verzücktheit, in der Verstimmtheit, in der
Aufgeregtheit, in der Überraschtheit, uuter Merkmalen von Geistes¬
gestörtheit (!) thun, was sie früher aus Neigung oder Abneigung, in der
Zerstreuung, in der Verzückung, in der Verstimmung, in der Auf¬
regung, in der ersten Überraschung, in einem Anfalle von Geistesstörung
thaten. Fühlt der Leser nicht das Vornehme in den Bildungen auf —ung?
Weht ihm nicht klassische Luft daraus entgegen? und aus den Bildungen auf
— heit der gemeine Dunst der heutigen Zeitungssprache? Der Strafvollzug,
von dem unsre Juristen, die innige Hingabe, von der unsre Romanschriftsteller
immer reden (nnter andern auch Gustav Freytag wieder, in seinem neuen
Buche über deu Kronprinzen auf jeder Seite), sind geradezu greulich. Wird
jemand Eingabe und Eingebung verwechseln und schreiben: er that dus
aus göttlicher Eingabe? Das fürchterlichste ist der Bezug. Früher
kannte man Bezüge nur an Bettkissen und Stuhlpolsteru. Jetzt heißt es:
mit Bezug auf, in diesem Bezug u. s. w., und da natürlich auch die,
die das Wort so verkehrt anwenden, die Bedeutung der Handlung, die
darin liegen soll, ihm doch nicht recht anfühlen, was haben sie gemacht?
Sie haben das herrliche Wort Bezugnahme erfunden, das nnn freilich
eigentlich Bezug nehmung heißen müßte. Das könnt ihr bequemer haben,
ihr klugen Leute! Was ihr mühselig durch das doppelt fehlerhafte Wort
Bezugnahme auszudrücken sucht, das liegt eben in dein einfachen und richtigen
Worte Beziehung! Aber nur jn kein Wort auf —ung! Dem arme» — ung
ist der Tod geschworen, das muß mit Stumpf und Stil ausgerottet werden.
Bald wird es als ein Zeichen von Mangel an Erzug und Gebildetheit
gelten, so veraltete Wörter wie Erziehung und Bildung auch nur in den
Mund zu nehme». Vielleicht erleben wirs auch noch, daß vom Lotteriezug
geredet wird, statt von der Lvtterieziehung.

Eine rechte Dummheit hat in der Bildung der Adjectiva auf - isch um
sich gegriffen bei Orts- und Personennamen, die auf e endigen: man schreibt
nur noch von der Halle'schen Universität und von Goethe'schen und
Heine'schen Gedichten. Der Leser übersehe ja das Apostroph nicht! Ohne
das Apostroph würde die Sache den Leuten gar keinen Spaß machen. Jn
dieses Häkchen sind Schulmeister und Professoren ebenso vernarrt wie Setzer
und Korrektoren. Die Endung -isch hat stets unmittelbar an den Stamm
zu treten. Von Laune heißt dus Adjektiv launisch, von Hölle höllisch;
niemand spricht von lauue'scheu Mensche» oder solle'schen Qualen. Und


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[0574] Allerhand Sprachdummheiten ziehung, Vergleichuiig, Ausgleichung das einzig Nichtige ist. Ander¬ seits: da, wo die Sprache wirklich beides, Handlung und Zustand, mit ein und demselben Worte ausdrückt, schafft mau künstlich einen Unterschied durch greuliche Neubildungen auf — heit (sie schießen jetzt wie Pilze aus der Erde) und läßt die Menschen aus Geneigtheit oder Abgeneigtheit, in der Zerstreutheit, in der Verzücktheit, in der Verstimmtheit, in der Aufgeregtheit, in der Überraschtheit, uuter Merkmalen von Geistes¬ gestörtheit (!) thun, was sie früher aus Neigung oder Abneigung, in der Zerstreuung, in der Verzückung, in der Verstimmung, in der Auf¬ regung, in der ersten Überraschung, in einem Anfalle von Geistesstörung thaten. Fühlt der Leser nicht das Vornehme in den Bildungen auf —ung? Weht ihm nicht klassische Luft daraus entgegen? und aus den Bildungen auf — heit der gemeine Dunst der heutigen Zeitungssprache? Der Strafvollzug, von dem unsre Juristen, die innige Hingabe, von der unsre Romanschriftsteller immer reden (nnter andern auch Gustav Freytag wieder, in seinem neuen Buche über deu Kronprinzen auf jeder Seite), sind geradezu greulich. Wird jemand Eingabe und Eingebung verwechseln und schreiben: er that dus aus göttlicher Eingabe? Das fürchterlichste ist der Bezug. Früher kannte man Bezüge nur an Bettkissen und Stuhlpolsteru. Jetzt heißt es: mit Bezug auf, in diesem Bezug u. s. w., und da natürlich auch die, die das Wort so verkehrt anwenden, die Bedeutung der Handlung, die darin liegen soll, ihm doch nicht recht anfühlen, was haben sie gemacht? Sie haben das herrliche Wort Bezugnahme erfunden, das nnn freilich eigentlich Bezug nehmung heißen müßte. Das könnt ihr bequemer haben, ihr klugen Leute! Was ihr mühselig durch das doppelt fehlerhafte Wort Bezugnahme auszudrücken sucht, das liegt eben in dein einfachen und richtigen Worte Beziehung! Aber nur jn kein Wort auf —ung! Dem arme» — ung ist der Tod geschworen, das muß mit Stumpf und Stil ausgerottet werden. Bald wird es als ein Zeichen von Mangel an Erzug und Gebildetheit gelten, so veraltete Wörter wie Erziehung und Bildung auch nur in den Mund zu nehme». Vielleicht erleben wirs auch noch, daß vom Lotteriezug geredet wird, statt von der Lvtterieziehung. Eine rechte Dummheit hat in der Bildung der Adjectiva auf - isch um sich gegriffen bei Orts- und Personennamen, die auf e endigen: man schreibt nur noch von der Halle'schen Universität und von Goethe'schen und Heine'schen Gedichten. Der Leser übersehe ja das Apostroph nicht! Ohne das Apostroph würde die Sache den Leuten gar keinen Spaß machen. Jn dieses Häkchen sind Schulmeister und Professoren ebenso vernarrt wie Setzer und Korrektoren. Die Endung -isch hat stets unmittelbar an den Stamm zu treten. Von Laune heißt dus Adjektiv launisch, von Hölle höllisch; niemand spricht von lauue'scheu Mensche» oder solle'schen Qualen. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/574>, abgerufen am 02.07.2024.