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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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"ach Beliebe" zu ergänzen überläßt? Auch auf diese Sprachverwüstung gedenke
ich später in der SnKlehre noch näher einzugehen.

Für diesmal noch ein Paar Beobachtungen über Erscheinungen in unsrer
heutigen Wortbildung. Da habe ich eben in anderthalb Zeilen drei Wörter
hingeschrieben, die auf -ung endigen. Schreckliches Verbrechen! Allgemein
verbreitet ist ja der Aberglaube, diese Wörter klänge" häßlich, ja sie seien ge¬
radezu eine Bernnftaltnng unsrer Sprache In Schulen wird gelehrt, man solle
sie möglichst vermeiden; ich erinnere mich sogar, irgendwo die witzige Be¬
merkung gelesen zu haben, unsre Sprache mit ihrem vielen -- ung -- ung
^ ung klinge wie lauter Unkenrufe.

Das ist barer Unsinn. Die Endung --ung ist tonlos und fällt nirgends
i" solchem Grade ins Gehör, daß ihre öftere Wiederholung in kurzen Zwischen-
räumen stören könnte. Ein Satz wie der, womit ich diese Betrachtung be-
gonnen habe, oder wie folgender ° Wir fassen unser Urteil über die Einrich¬
tung dahin zusammen/ daß ihre Einführung eine schwere Schädigung
des Nechtsgefnhls sein würde -, hat nicht das geringste Anstößige. ' In
lebendiger Rede hört es gar niemand, daß hier kurz hinter einander drei Wörter
"uf --ung stehen. Hebt man freilich die Endung auffällig hervor, so kann
man auch hundert andre Spracherscheinungen anstößig oder lächerlich machen.
Das erste Erfordernis alles Ausdrucks ist Richtigkeit und Klarheit; aber gerade
das wird bei der thörichten Abneigung gegen die Wörter ans --ung fort¬
während vernachlässigt.

Die Wörter auf - ung bezeichnen zunächst eine Handlung, einen Vorgang.
Bildung. Erziehung. Aufklärung bedeutet zunächst die Handlung des
Bittens, des Erziehers. des Aufkläreus. Aus dieser Bedeutung entwickelt sich
"ber leicht eine weitere, nämlich die des Ergebnisses. das diese Handlung hat.
des Zustandes, der durch sie herbeigeführt wird; Bildung. Erziehung.
Aufklärung bedeutet auch deu Zustand des Gebildetseins, des Erzogensems,
des Aufgeklärtseins (man verzeihe die häßlichen Wörter, hier wo es auf Deutlich¬
keit ankommt). Vielfach hat nun die Sprache, um den Unterschied zwischen
der Hmidlnng und ihrem Ergebnis zu bezeichnen, neben dem Wort auf-ung
noch ein kürzeres, meist durch Amiant, unmittelbar ans dein Stamme geschaffen,
gleichsam eine starke Bildung neben der schwachen. So beiden wir Anlage
neben Anlegung und können geradezu reden von der Anlegung von Garten-
Anlagen oder von der Anlegung von Gas- und Wasseranlagen. Aber
wie verfährt man jetzt in dem blindwütigen Hasse gegen das arme --ung?
Da. wo die Sprache eine Unterscheidung an die Hand giebt, mit andern
Worten- wo sie es ermöglicht, einen Unterschied zu machen (da haben wir
gleich wieder ein Beispiel: Unterscheidung und Unterschied!), verschmäht
man ihn und schwatzt von Hingabe, Erwerb, Bezug. Vollzug. Ver¬
gleich, Ausgleich,' wo Hingebung. Erwerbung, Beziehung, Volk-^


»ach Beliebe» zu ergänzen überläßt? Auch auf diese Sprachverwüstung gedenke
ich später in der SnKlehre noch näher einzugehen.

Für diesmal noch ein Paar Beobachtungen über Erscheinungen in unsrer
heutigen Wortbildung. Da habe ich eben in anderthalb Zeilen drei Wörter
hingeschrieben, die auf -ung endigen. Schreckliches Verbrechen! Allgemein
verbreitet ist ja der Aberglaube, diese Wörter klänge» häßlich, ja sie seien ge¬
radezu eine Bernnftaltnng unsrer Sprache In Schulen wird gelehrt, man solle
sie möglichst vermeiden; ich erinnere mich sogar, irgendwo die witzige Be¬
merkung gelesen zu haben, unsre Sprache mit ihrem vielen — ung — ung
^ ung klinge wie lauter Unkenrufe.

Das ist barer Unsinn. Die Endung —ung ist tonlos und fällt nirgends
i» solchem Grade ins Gehör, daß ihre öftere Wiederholung in kurzen Zwischen-
räumen stören könnte. Ein Satz wie der, womit ich diese Betrachtung be-
gonnen habe, oder wie folgender ° Wir fassen unser Urteil über die Einrich¬
tung dahin zusammen/ daß ihre Einführung eine schwere Schädigung
des Nechtsgefnhls sein würde -, hat nicht das geringste Anstößige. ' In
lebendiger Rede hört es gar niemand, daß hier kurz hinter einander drei Wörter
"uf —ung stehen. Hebt man freilich die Endung auffällig hervor, so kann
man auch hundert andre Spracherscheinungen anstößig oder lächerlich machen.
Das erste Erfordernis alles Ausdrucks ist Richtigkeit und Klarheit; aber gerade
das wird bei der thörichten Abneigung gegen die Wörter ans —ung fort¬
während vernachlässigt.

Die Wörter auf - ung bezeichnen zunächst eine Handlung, einen Vorgang.
Bildung. Erziehung. Aufklärung bedeutet zunächst die Handlung des
Bittens, des Erziehers. des Aufkläreus. Aus dieser Bedeutung entwickelt sich
"ber leicht eine weitere, nämlich die des Ergebnisses. das diese Handlung hat.
des Zustandes, der durch sie herbeigeführt wird; Bildung. Erziehung.
Aufklärung bedeutet auch deu Zustand des Gebildetseins, des Erzogensems,
des Aufgeklärtseins (man verzeihe die häßlichen Wörter, hier wo es auf Deutlich¬
keit ankommt). Vielfach hat nun die Sprache, um den Unterschied zwischen
der Hmidlnng und ihrem Ergebnis zu bezeichnen, neben dem Wort auf-ung
noch ein kürzeres, meist durch Amiant, unmittelbar ans dein Stamme geschaffen,
gleichsam eine starke Bildung neben der schwachen. So beiden wir Anlage
neben Anlegung und können geradezu reden von der Anlegung von Garten-
Anlagen oder von der Anlegung von Gas- und Wasseranlagen. Aber
wie verfährt man jetzt in dem blindwütigen Hasse gegen das arme —ung?
Da. wo die Sprache eine Unterscheidung an die Hand giebt, mit andern
Worten- wo sie es ermöglicht, einen Unterschied zu machen (da haben wir
gleich wieder ein Beispiel: Unterscheidung und Unterschied!), verschmäht
man ihn und schwatzt von Hingabe, Erwerb, Bezug. Vollzug. Ver¬
gleich, Ausgleich,' wo Hingebung. Erwerbung, Beziehung, Volk-^


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[0573] »ach Beliebe» zu ergänzen überläßt? Auch auf diese Sprachverwüstung gedenke ich später in der SnKlehre noch näher einzugehen. Für diesmal noch ein Paar Beobachtungen über Erscheinungen in unsrer heutigen Wortbildung. Da habe ich eben in anderthalb Zeilen drei Wörter hingeschrieben, die auf -ung endigen. Schreckliches Verbrechen! Allgemein verbreitet ist ja der Aberglaube, diese Wörter klänge» häßlich, ja sie seien ge¬ radezu eine Bernnftaltnng unsrer Sprache In Schulen wird gelehrt, man solle sie möglichst vermeiden; ich erinnere mich sogar, irgendwo die witzige Be¬ merkung gelesen zu haben, unsre Sprache mit ihrem vielen — ung — ung ^ ung klinge wie lauter Unkenrufe. Das ist barer Unsinn. Die Endung —ung ist tonlos und fällt nirgends i» solchem Grade ins Gehör, daß ihre öftere Wiederholung in kurzen Zwischen- räumen stören könnte. Ein Satz wie der, womit ich diese Betrachtung be- gonnen habe, oder wie folgender ° Wir fassen unser Urteil über die Einrich¬ tung dahin zusammen/ daß ihre Einführung eine schwere Schädigung des Nechtsgefnhls sein würde -, hat nicht das geringste Anstößige. ' In lebendiger Rede hört es gar niemand, daß hier kurz hinter einander drei Wörter "uf —ung stehen. Hebt man freilich die Endung auffällig hervor, so kann man auch hundert andre Spracherscheinungen anstößig oder lächerlich machen. Das erste Erfordernis alles Ausdrucks ist Richtigkeit und Klarheit; aber gerade das wird bei der thörichten Abneigung gegen die Wörter ans —ung fort¬ während vernachlässigt. Die Wörter auf - ung bezeichnen zunächst eine Handlung, einen Vorgang. Bildung. Erziehung. Aufklärung bedeutet zunächst die Handlung des Bittens, des Erziehers. des Aufkläreus. Aus dieser Bedeutung entwickelt sich "ber leicht eine weitere, nämlich die des Ergebnisses. das diese Handlung hat. des Zustandes, der durch sie herbeigeführt wird; Bildung. Erziehung. Aufklärung bedeutet auch deu Zustand des Gebildetseins, des Erzogensems, des Aufgeklärtseins (man verzeihe die häßlichen Wörter, hier wo es auf Deutlich¬ keit ankommt). Vielfach hat nun die Sprache, um den Unterschied zwischen der Hmidlnng und ihrem Ergebnis zu bezeichnen, neben dem Wort auf-ung noch ein kürzeres, meist durch Amiant, unmittelbar ans dein Stamme geschaffen, gleichsam eine starke Bildung neben der schwachen. So beiden wir Anlage neben Anlegung und können geradezu reden von der Anlegung von Garten- Anlagen oder von der Anlegung von Gas- und Wasseranlagen. Aber wie verfährt man jetzt in dem blindwütigen Hasse gegen das arme —ung? Da. wo die Sprache eine Unterscheidung an die Hand giebt, mit andern Worten- wo sie es ermöglicht, einen Unterschied zu machen (da haben wir gleich wieder ein Beispiel: Unterscheidung und Unterschied!), verschmäht man ihn und schwatzt von Hingabe, Erwerb, Bezug. Vollzug. Ver¬ gleich, Ausgleich,' wo Hingebung. Erwerbung, Beziehung, Volk-^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/573>, abgerufen am 02.07.2024.