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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdumncheiten

Satze zweimal brauchen dürfe. Ich erinnere mich genau, daß uus das in
der Schule immer und immer wieder eingeschärft wurde. Dieser Aberglaube
verschuldet eine ganze Reihe von Dummheiten, z. B. das unnötige und geradezu
störende, irreführende Abwechseln zwischen Synonymen, wo einzig und allein
der wiederholte Gebrauch desselben Wortes am Platze ist, den störenden, das
Verständnis oft in peinlichster Weise erschwerende" Mißbrauch, der mit ersterer
und letzterer, dieser und jener getrieben wird, wo einzig und allein die
Wiederholung des Hauptwortes das Nichtige ist. Ich werde in der Satzlehre
mehr dergleichen zu behandeln haben. Man sehe doch, wie Lessing schreibt,
und wie wenig er von dieser angeblichen Schönheitsregel weiß! Genau das
Gegenteil ist das Nichtige. Ich will nicht sagen, daß es beim Lesen störe,
wenn man nicht weiß, ob das eine hatte, das dasteht, das Ende des Neben¬
satzes oder der Anfang des Hauptsatzes sei; dafür sorgt schon das liebe Komma,
dieser Augentrost des Lesers. Beim Vorlesen aber, also beim Hören, ist das
Weglassen des einen hatte bei weitem störender als die zweimalige Setzung.
Denn in lebendiger Rede spricht ja gar niemand so, da setzt jeder ohne
weiteres das Verbum doppelt, und es fällt nicht im geringsten auf; es ist
eben wieder nur geziertes Papierdeutsch, dieses greuliche Schwanzabhacken!

Doppelt unausstehlich wird es, wenn es in zwei oder mehr aufeinander
folgenden Nebensätzen verschiedne Zeitwörter sind, die dadurch verloren gehen,
haben und sein, z.B.: Es war ein glücklicher Gedanke, dort, wo einst der
deutsche Dichterfürst seinen Fuß hingesetzt (nämlich hat), auf dem Boden,
der durch seinen Aufenthalt geschichtlich geworden (nämlich ist), eine Kuranstalt
zu errichten --, oder wenn das Partizip mit dem Indikativ des Präsens gleich¬
lautet, ohne Hilfszeitwort also das Präteritum vom Präsens gar nicht zu unter¬
scheiden ist, z. B. nachdem 1631 der schwedische General Bauer die Stadt
vergeblich belagert (nämlich hatte) -- er verteilte die Gewehre an die Partei,
mit der er sich befreundet (nämlich hatte) -- in unsrer Zeit, wo der Luxus
eine schwindelhafte Höhe erreicht (nämlich hat) -- er ist auch dann strafbar,
wenn er sich nur an der That beteiligt (nämlich hat). Aber damit berühre
ich ein sehr, sehr trauriges Kapitel, nämlich den verheerenden Einfluß, den
dieses Wegwerfen des Zeitwortes schon auf den richtigen Gebrauch der Tem¬
pora und vor allem den richtigen Gebrauch der Modi im Deutschen ausgeübt
hat und täglich mehr ausübt. Daß selbst unsre ,.führenden" Schriftsteller zum
große" Teil keine blasse Ahnung mehr davou haben, in welche Nebensätze ein
Konjunktiv, und in welche ein Indikativ gehört, daß man täglich hundertfach
der syntaktischen Rohheit begegnet, daß Annahmen, Vermutungen, Meinungen,
Überzeugungen in deu Indikativ, Thatsachen in den Konjunktiv gesetzt werden,
daran ist zum größten Teil das Weglassen der Hilfszeitwörter schuld. Wo
soll noch Gefühl für die Bedeutung eines Modus herkommen, wenn mau jedes
ist, sei, war, wäre, hat, habe, holte, hätte unterdrückt und den, Leser


Allerhand Sprachdumncheiten

Satze zweimal brauchen dürfe. Ich erinnere mich genau, daß uus das in
der Schule immer und immer wieder eingeschärft wurde. Dieser Aberglaube
verschuldet eine ganze Reihe von Dummheiten, z. B. das unnötige und geradezu
störende, irreführende Abwechseln zwischen Synonymen, wo einzig und allein
der wiederholte Gebrauch desselben Wortes am Platze ist, den störenden, das
Verständnis oft in peinlichster Weise erschwerende» Mißbrauch, der mit ersterer
und letzterer, dieser und jener getrieben wird, wo einzig und allein die
Wiederholung des Hauptwortes das Nichtige ist. Ich werde in der Satzlehre
mehr dergleichen zu behandeln haben. Man sehe doch, wie Lessing schreibt,
und wie wenig er von dieser angeblichen Schönheitsregel weiß! Genau das
Gegenteil ist das Nichtige. Ich will nicht sagen, daß es beim Lesen störe,
wenn man nicht weiß, ob das eine hatte, das dasteht, das Ende des Neben¬
satzes oder der Anfang des Hauptsatzes sei; dafür sorgt schon das liebe Komma,
dieser Augentrost des Lesers. Beim Vorlesen aber, also beim Hören, ist das
Weglassen des einen hatte bei weitem störender als die zweimalige Setzung.
Denn in lebendiger Rede spricht ja gar niemand so, da setzt jeder ohne
weiteres das Verbum doppelt, und es fällt nicht im geringsten auf; es ist
eben wieder nur geziertes Papierdeutsch, dieses greuliche Schwanzabhacken!

Doppelt unausstehlich wird es, wenn es in zwei oder mehr aufeinander
folgenden Nebensätzen verschiedne Zeitwörter sind, die dadurch verloren gehen,
haben und sein, z.B.: Es war ein glücklicher Gedanke, dort, wo einst der
deutsche Dichterfürst seinen Fuß hingesetzt (nämlich hat), auf dem Boden,
der durch seinen Aufenthalt geschichtlich geworden (nämlich ist), eine Kuranstalt
zu errichten —, oder wenn das Partizip mit dem Indikativ des Präsens gleich¬
lautet, ohne Hilfszeitwort also das Präteritum vom Präsens gar nicht zu unter¬
scheiden ist, z. B. nachdem 1631 der schwedische General Bauer die Stadt
vergeblich belagert (nämlich hatte) — er verteilte die Gewehre an die Partei,
mit der er sich befreundet (nämlich hatte) — in unsrer Zeit, wo der Luxus
eine schwindelhafte Höhe erreicht (nämlich hat) — er ist auch dann strafbar,
wenn er sich nur an der That beteiligt (nämlich hat). Aber damit berühre
ich ein sehr, sehr trauriges Kapitel, nämlich den verheerenden Einfluß, den
dieses Wegwerfen des Zeitwortes schon auf den richtigen Gebrauch der Tem¬
pora und vor allem den richtigen Gebrauch der Modi im Deutschen ausgeübt
hat und täglich mehr ausübt. Daß selbst unsre ,.führenden" Schriftsteller zum
große» Teil keine blasse Ahnung mehr davou haben, in welche Nebensätze ein
Konjunktiv, und in welche ein Indikativ gehört, daß man täglich hundertfach
der syntaktischen Rohheit begegnet, daß Annahmen, Vermutungen, Meinungen,
Überzeugungen in deu Indikativ, Thatsachen in den Konjunktiv gesetzt werden,
daran ist zum größten Teil das Weglassen der Hilfszeitwörter schuld. Wo
soll noch Gefühl für die Bedeutung eines Modus herkommen, wenn mau jedes
ist, sei, war, wäre, hat, habe, holte, hätte unterdrückt und den, Leser


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[0572] Allerhand Sprachdumncheiten Satze zweimal brauchen dürfe. Ich erinnere mich genau, daß uus das in der Schule immer und immer wieder eingeschärft wurde. Dieser Aberglaube verschuldet eine ganze Reihe von Dummheiten, z. B. das unnötige und geradezu störende, irreführende Abwechseln zwischen Synonymen, wo einzig und allein der wiederholte Gebrauch desselben Wortes am Platze ist, den störenden, das Verständnis oft in peinlichster Weise erschwerende» Mißbrauch, der mit ersterer und letzterer, dieser und jener getrieben wird, wo einzig und allein die Wiederholung des Hauptwortes das Nichtige ist. Ich werde in der Satzlehre mehr dergleichen zu behandeln haben. Man sehe doch, wie Lessing schreibt, und wie wenig er von dieser angeblichen Schönheitsregel weiß! Genau das Gegenteil ist das Nichtige. Ich will nicht sagen, daß es beim Lesen störe, wenn man nicht weiß, ob das eine hatte, das dasteht, das Ende des Neben¬ satzes oder der Anfang des Hauptsatzes sei; dafür sorgt schon das liebe Komma, dieser Augentrost des Lesers. Beim Vorlesen aber, also beim Hören, ist das Weglassen des einen hatte bei weitem störender als die zweimalige Setzung. Denn in lebendiger Rede spricht ja gar niemand so, da setzt jeder ohne weiteres das Verbum doppelt, und es fällt nicht im geringsten auf; es ist eben wieder nur geziertes Papierdeutsch, dieses greuliche Schwanzabhacken! Doppelt unausstehlich wird es, wenn es in zwei oder mehr aufeinander folgenden Nebensätzen verschiedne Zeitwörter sind, die dadurch verloren gehen, haben und sein, z.B.: Es war ein glücklicher Gedanke, dort, wo einst der deutsche Dichterfürst seinen Fuß hingesetzt (nämlich hat), auf dem Boden, der durch seinen Aufenthalt geschichtlich geworden (nämlich ist), eine Kuranstalt zu errichten —, oder wenn das Partizip mit dem Indikativ des Präsens gleich¬ lautet, ohne Hilfszeitwort also das Präteritum vom Präsens gar nicht zu unter¬ scheiden ist, z. B. nachdem 1631 der schwedische General Bauer die Stadt vergeblich belagert (nämlich hatte) — er verteilte die Gewehre an die Partei, mit der er sich befreundet (nämlich hatte) — in unsrer Zeit, wo der Luxus eine schwindelhafte Höhe erreicht (nämlich hat) — er ist auch dann strafbar, wenn er sich nur an der That beteiligt (nämlich hat). Aber damit berühre ich ein sehr, sehr trauriges Kapitel, nämlich den verheerenden Einfluß, den dieses Wegwerfen des Zeitwortes schon auf den richtigen Gebrauch der Tem¬ pora und vor allem den richtigen Gebrauch der Modi im Deutschen ausgeübt hat und täglich mehr ausübt. Daß selbst unsre ,.führenden" Schriftsteller zum große» Teil keine blasse Ahnung mehr davou haben, in welche Nebensätze ein Konjunktiv, und in welche ein Indikativ gehört, daß man täglich hundertfach der syntaktischen Rohheit begegnet, daß Annahmen, Vermutungen, Meinungen, Überzeugungen in deu Indikativ, Thatsachen in den Konjunktiv gesetzt werden, daran ist zum größten Teil das Weglassen der Hilfszeitwörter schuld. Wo soll noch Gefühl für die Bedeutung eines Modus herkommen, wenn mau jedes ist, sei, war, wäre, hat, habe, holte, hätte unterdrückt und den, Leser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/572>, abgerufen am 22.12.2024.