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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Spracht"mmheite"

klar, daß von einem zum andern Orte etwas nur übergeführt, aber nicht
überführt werden kann. Ebenso verhält sichs bei übersiedeln, wo das
Sprachgefühl nenerdings auch ins Schwanken zu kommen anfängt. Es heißt:
Wann siedelst du über? Ich bin schon übergesiedelt, aber nicht: Wann über¬
siedelst du? Ich bin schon übersiedelt. Bisweilen ist derselbe Unterschied
auch zu beobachten, je nachdem das Verbum im intransitiven oder im transitiven
Sinne gebraucht wird, wenn es auch beidemal in seiner eigentlichen, sinnlichen
Bedeutung steht; es heißt: ich habe nach dem Nachbarhause durchgebrochen,
aber: ich 'habe die Schranken durchbrochen - der Fuhrmann ist übergefahren,
aber: der Fuhrmann hat das Kind überfahren.

Eine weit verbreitete Geschmacklosigkeit, die sür unsre Sprache geradezu
schon verderblich geworden ist, ist die im Übermaß herrschende Unsitte, am
Ende von Nebensätzen das sogenannte Hilfszeitwort wegzulassen, also zu
schreiben: Der Bischof war bestrebt, von dein Einfluß, den er früher in der
Stadt besessen (nämlich hatte), möglichst viel zurückzugewinnen, der Rat ba¬
ngen trachtete, die wenigen Rechte, die ihm noch geblieben (nämlich waren),
immer mehr zu beschneiden. Auch beim Infinitiv mit zu läßt mau das sein
Weg und schreibt: Der Ursachen sind mehrere, wen" sie auch sämtlich auf eine
Wurzel zurückzuführen (nämlich sind) -- eine kolossale Pallas, die einst
unen Helm trug, wie aus der oben abgeplatteten Form des Kopfes zu er¬
kennen (nämlich ist). Die Unsitte ist so verbreitet, daß man sie sich nur
dadurch erklären kann, daß die Leute sie für eine besondre Schönheit halten
"ut deshalb mit Vorliebe anwenden. Namentlich Romanschriftsteller schreiben
fast gar nicht anders, aber auch in wissenschaftlichen, namentlich in Geschichts¬
werken geschieht es massenhaft. Ja es muß hie und da geradezu^ in den
Schule" gelehrt werden, daß dieses Wegwerfen des Zeitwortes eine Schönheit
sei; wenigstens erinnere ich mich, in einer pädagogischen Zeitschrift einen Auf¬
satz gelesen zu haben, worin verächtlich vom "Hattewarstil" die Rede war;
offenbar meinte der Verfasser damit die pedantische Korrektheit, die das hatte
und war nicht opfern will. Nun. wer sich einmal die Mühe nehmen null,
bei einem Schriftsteller, der das Zeitwort regelmäßig in dieser We.se wegläßt.
>"ir ein paar Druckseiten lang ans diese angebliche Schönheit zu achten, der
wird sehr bald eines Bessern belehrt werden. Er wird schon nach Weingen
Seiten täuschend den Eindruck haben, als befände er sich in einen, Tiergarten,
wo lauter unglückselige Bestien mit abgehacktem Schwänze" um ihn herum¬
liefen. Es jhe eine ganz abscheuliche Manier. Selbst in Füllen, wo der nach¬
folgende Hauptsat. wieder mit demselbe" Zeitwort anfängt, mit dem der
Nebensatz geschlossen hat. ist das Wegwerfe" des Verbums im Nebensatze
unerträglich. Aber "amentlich das wird nicht nur für eine Feinheit, sonder"
geradezu für eine Notwendigkeit gehalten. Es ist ein allgemeiner Schnlnieister-
aberglaube, daß man nicht ein und dasselbe Wort kurz hinter einander in einen.


Allerhand Spracht»mmheite»

klar, daß von einem zum andern Orte etwas nur übergeführt, aber nicht
überführt werden kann. Ebenso verhält sichs bei übersiedeln, wo das
Sprachgefühl nenerdings auch ins Schwanken zu kommen anfängt. Es heißt:
Wann siedelst du über? Ich bin schon übergesiedelt, aber nicht: Wann über¬
siedelst du? Ich bin schon übersiedelt. Bisweilen ist derselbe Unterschied
auch zu beobachten, je nachdem das Verbum im intransitiven oder im transitiven
Sinne gebraucht wird, wenn es auch beidemal in seiner eigentlichen, sinnlichen
Bedeutung steht; es heißt: ich habe nach dem Nachbarhause durchgebrochen,
aber: ich 'habe die Schranken durchbrochen - der Fuhrmann ist übergefahren,
aber: der Fuhrmann hat das Kind überfahren.

Eine weit verbreitete Geschmacklosigkeit, die sür unsre Sprache geradezu
schon verderblich geworden ist, ist die im Übermaß herrschende Unsitte, am
Ende von Nebensätzen das sogenannte Hilfszeitwort wegzulassen, also zu
schreiben: Der Bischof war bestrebt, von dein Einfluß, den er früher in der
Stadt besessen (nämlich hatte), möglichst viel zurückzugewinnen, der Rat ba¬
ngen trachtete, die wenigen Rechte, die ihm noch geblieben (nämlich waren),
immer mehr zu beschneiden. Auch beim Infinitiv mit zu läßt mau das sein
Weg und schreibt: Der Ursachen sind mehrere, wen» sie auch sämtlich auf eine
Wurzel zurückzuführen (nämlich sind) — eine kolossale Pallas, die einst
unen Helm trug, wie aus der oben abgeplatteten Form des Kopfes zu er¬
kennen (nämlich ist). Die Unsitte ist so verbreitet, daß man sie sich nur
dadurch erklären kann, daß die Leute sie für eine besondre Schönheit halten
"ut deshalb mit Vorliebe anwenden. Namentlich Romanschriftsteller schreiben
fast gar nicht anders, aber auch in wissenschaftlichen, namentlich in Geschichts¬
werken geschieht es massenhaft. Ja es muß hie und da geradezu^ in den
Schule» gelehrt werden, daß dieses Wegwerfen des Zeitwortes eine Schönheit
sei; wenigstens erinnere ich mich, in einer pädagogischen Zeitschrift einen Auf¬
satz gelesen zu haben, worin verächtlich vom „Hattewarstil" die Rede war;
offenbar meinte der Verfasser damit die pedantische Korrektheit, die das hatte
und war nicht opfern will. Nun. wer sich einmal die Mühe nehmen null,
bei einem Schriftsteller, der das Zeitwort regelmäßig in dieser We.se wegläßt.
>"ir ein paar Druckseiten lang ans diese angebliche Schönheit zu achten, der
wird sehr bald eines Bessern belehrt werden. Er wird schon nach Weingen
Seiten täuschend den Eindruck haben, als befände er sich in einen, Tiergarten,
wo lauter unglückselige Bestien mit abgehacktem Schwänze» um ihn herum¬
liefen. Es jhe eine ganz abscheuliche Manier. Selbst in Füllen, wo der nach¬
folgende Hauptsat. wieder mit demselbe» Zeitwort anfängt, mit dem der
Nebensatz geschlossen hat. ist das Wegwerfe» des Verbums im Nebensatze
unerträglich. Aber »amentlich das wird nicht nur für eine Feinheit, sonder»
geradezu für eine Notwendigkeit gehalten. Es ist ein allgemeiner Schnlnieister-
aberglaube, daß man nicht ein und dasselbe Wort kurz hinter einander in einen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/571>, abgerufen am 02.07.2024.