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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle und Darwin

durch das, was wir von der Variabilität organischer Wesen im Natur¬
zustände, von dem Kampf um das Dasein und der davon abhängigen unver¬
meidliche" Erhaltung vorteilhafter Variationen positiv wissen und durch die
analoge Bildung domestizirter Nassen. Diese Hypothese kann nnn geprüft
werden, und dies scheint mir die einzig passende und gerechte Art, die ganze
Frage zu behandeln. Man muß untersuchen, ob sie mehrere große und von
einander unabhängige Klassen von Thatsachen erklärt, wie die geologische Auf¬
einanderfolge organischer Wesen, ihre Verbreitung in der Vor- und Jetztzeit
und ihre gegenseitigen Verwandtschaften und Homologien. Erklärt das Prinzip
der natürlichen Zuchtwahl diese und andre große Reihen von Thatsachen, so
sollte man sie annehmen. Ans der gewöhnlichen Ansicht, daß jede ^pezies
unabhängig geschaffen worden sei, erhalten wir keine wissenschaftliche Erklärung.
irgend einer dieser Thatsachen." Und da Darwin und seine Jünger überzeugt
sind, daß die Hypothese das Geforderte leiste, so find wir also wissenschaftlich
verpflichtet, fie° anzunehmen. Genau so wird auch heute in Broschüren. Wochen¬
schriften und Zeitungen die Forderung begründet mit dem neidischen Hinweis
auf die angeblich bevorzugten und begünstigten Hypothesen der Physiker. Die
bloße Möglichkeit dieses Hinweises ist ein beklagenswerter Beweis für die
Denkschwäche, die der Darwinismus verschuldet hat. indem er die ehedem von
den verachteten Scholastikern und Systematikern gepflegte Logik unter Hypo¬
thesen und einer unübersichtlichen Masse von Thatsachen erstickte.

Wer den Darwinismus für gleichwertig hält mit den physikalischen Hypo¬
thesen, der begeht zwei grobe Fehler. Die physikalischen Hypothesen werden
benutzt zur Erklärung von Erscheinungen, die sich vor unsern Angen ereignen;
die Lehre von der Entstehung der Arten durch Zuchtwahl aber soll Erschei¬
nungen erklären, die kein Mensch gesehen hat. sondern von denen diese Lehre
behauptet, daß sie sich vor Millionen Jahren zugetragen hätten. Der Dar-
winianer mutet uns zu, daß wir die Erscheinungen glauben sollen, die er uus
klaren Null; die Erscheinungen, die der Physiker erklärt, brauchen wir nicht
SU glauben, denn wir sehen sie. Daß beim Zusammentreffen zweier Lichtstrahlen
das Licht manchmal verstärkt, manchmal geschwächt und unter besondern Um¬
ständen ausgelöscht wird, kann jeder sehen, der nicht blind ist. Und diese so¬
genannten Jnterferenzerscheinungen waren es zunächst, die den Physiker Young
in der Wellentheorie bestärkten. Denn wenn zwei Wellenreihen zusammentreffen,
so können jene drei verschiednen Erfolge eintreten; der dritte in dem Falle,
daß die Wellen gleich groß sind, sich mit gleicher Geschwindigkeit bewegen,
und je ein Wellenberg der einen Reihe in ein Wellenthal der andern zu liegen
kommt. Erst dann würde der Vergleich richtig sein, wenn die Physiker mit
ihren Theorien nicht mehr bloß die gegenwärtig sich ereignenden Naturerschei¬
nungen erklären, sondern begreiflich machen wollten, wie vor Zeiten die ein¬
fachen Stoffe entstanden find, an denen jene Erscheinungen sichtbar werden,


Buckle und Darwin

durch das, was wir von der Variabilität organischer Wesen im Natur¬
zustände, von dem Kampf um das Dasein und der davon abhängigen unver¬
meidliche» Erhaltung vorteilhafter Variationen positiv wissen und durch die
analoge Bildung domestizirter Nassen. Diese Hypothese kann nnn geprüft
werden, und dies scheint mir die einzig passende und gerechte Art, die ganze
Frage zu behandeln. Man muß untersuchen, ob sie mehrere große und von
einander unabhängige Klassen von Thatsachen erklärt, wie die geologische Auf¬
einanderfolge organischer Wesen, ihre Verbreitung in der Vor- und Jetztzeit
und ihre gegenseitigen Verwandtschaften und Homologien. Erklärt das Prinzip
der natürlichen Zuchtwahl diese und andre große Reihen von Thatsachen, so
sollte man sie annehmen. Ans der gewöhnlichen Ansicht, daß jede ^pezies
unabhängig geschaffen worden sei, erhalten wir keine wissenschaftliche Erklärung.
irgend einer dieser Thatsachen." Und da Darwin und seine Jünger überzeugt
sind, daß die Hypothese das Geforderte leiste, so find wir also wissenschaftlich
verpflichtet, fie° anzunehmen. Genau so wird auch heute in Broschüren. Wochen¬
schriften und Zeitungen die Forderung begründet mit dem neidischen Hinweis
auf die angeblich bevorzugten und begünstigten Hypothesen der Physiker. Die
bloße Möglichkeit dieses Hinweises ist ein beklagenswerter Beweis für die
Denkschwäche, die der Darwinismus verschuldet hat. indem er die ehedem von
den verachteten Scholastikern und Systematikern gepflegte Logik unter Hypo¬
thesen und einer unübersichtlichen Masse von Thatsachen erstickte.

Wer den Darwinismus für gleichwertig hält mit den physikalischen Hypo¬
thesen, der begeht zwei grobe Fehler. Die physikalischen Hypothesen werden
benutzt zur Erklärung von Erscheinungen, die sich vor unsern Angen ereignen;
die Lehre von der Entstehung der Arten durch Zuchtwahl aber soll Erschei¬
nungen erklären, die kein Mensch gesehen hat. sondern von denen diese Lehre
behauptet, daß sie sich vor Millionen Jahren zugetragen hätten. Der Dar-
winianer mutet uns zu, daß wir die Erscheinungen glauben sollen, die er uus
klaren Null; die Erscheinungen, die der Physiker erklärt, brauchen wir nicht
SU glauben, denn wir sehen sie. Daß beim Zusammentreffen zweier Lichtstrahlen
das Licht manchmal verstärkt, manchmal geschwächt und unter besondern Um¬
ständen ausgelöscht wird, kann jeder sehen, der nicht blind ist. Und diese so¬
genannten Jnterferenzerscheinungen waren es zunächst, die den Physiker Young
in der Wellentheorie bestärkten. Denn wenn zwei Wellenreihen zusammentreffen,
so können jene drei verschiednen Erfolge eintreten; der dritte in dem Falle,
daß die Wellen gleich groß sind, sich mit gleicher Geschwindigkeit bewegen,
und je ein Wellenberg der einen Reihe in ein Wellenthal der andern zu liegen
kommt. Erst dann würde der Vergleich richtig sein, wenn die Physiker mit
ihren Theorien nicht mehr bloß die gegenwärtig sich ereignenden Naturerschei¬
nungen erklären, sondern begreiflich machen wollten, wie vor Zeiten die ein¬
fachen Stoffe entstanden find, an denen jene Erscheinungen sichtbar werden,


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[0567] Buckle und Darwin durch das, was wir von der Variabilität organischer Wesen im Natur¬ zustände, von dem Kampf um das Dasein und der davon abhängigen unver¬ meidliche» Erhaltung vorteilhafter Variationen positiv wissen und durch die analoge Bildung domestizirter Nassen. Diese Hypothese kann nnn geprüft werden, und dies scheint mir die einzig passende und gerechte Art, die ganze Frage zu behandeln. Man muß untersuchen, ob sie mehrere große und von einander unabhängige Klassen von Thatsachen erklärt, wie die geologische Auf¬ einanderfolge organischer Wesen, ihre Verbreitung in der Vor- und Jetztzeit und ihre gegenseitigen Verwandtschaften und Homologien. Erklärt das Prinzip der natürlichen Zuchtwahl diese und andre große Reihen von Thatsachen, so sollte man sie annehmen. Ans der gewöhnlichen Ansicht, daß jede ^pezies unabhängig geschaffen worden sei, erhalten wir keine wissenschaftliche Erklärung. irgend einer dieser Thatsachen." Und da Darwin und seine Jünger überzeugt sind, daß die Hypothese das Geforderte leiste, so find wir also wissenschaftlich verpflichtet, fie° anzunehmen. Genau so wird auch heute in Broschüren. Wochen¬ schriften und Zeitungen die Forderung begründet mit dem neidischen Hinweis auf die angeblich bevorzugten und begünstigten Hypothesen der Physiker. Die bloße Möglichkeit dieses Hinweises ist ein beklagenswerter Beweis für die Denkschwäche, die der Darwinismus verschuldet hat. indem er die ehedem von den verachteten Scholastikern und Systematikern gepflegte Logik unter Hypo¬ thesen und einer unübersichtlichen Masse von Thatsachen erstickte. Wer den Darwinismus für gleichwertig hält mit den physikalischen Hypo¬ thesen, der begeht zwei grobe Fehler. Die physikalischen Hypothesen werden benutzt zur Erklärung von Erscheinungen, die sich vor unsern Angen ereignen; die Lehre von der Entstehung der Arten durch Zuchtwahl aber soll Erschei¬ nungen erklären, die kein Mensch gesehen hat. sondern von denen diese Lehre behauptet, daß sie sich vor Millionen Jahren zugetragen hätten. Der Dar- winianer mutet uns zu, daß wir die Erscheinungen glauben sollen, die er uus klaren Null; die Erscheinungen, die der Physiker erklärt, brauchen wir nicht SU glauben, denn wir sehen sie. Daß beim Zusammentreffen zweier Lichtstrahlen das Licht manchmal verstärkt, manchmal geschwächt und unter besondern Um¬ ständen ausgelöscht wird, kann jeder sehen, der nicht blind ist. Und diese so¬ genannten Jnterferenzerscheinungen waren es zunächst, die den Physiker Young in der Wellentheorie bestärkten. Denn wenn zwei Wellenreihen zusammentreffen, so können jene drei verschiednen Erfolge eintreten; der dritte in dem Falle, daß die Wellen gleich groß sind, sich mit gleicher Geschwindigkeit bewegen, und je ein Wellenberg der einen Reihe in ein Wellenthal der andern zu liegen kommt. Erst dann würde der Vergleich richtig sein, wenn die Physiker mit ihren Theorien nicht mehr bloß die gegenwärtig sich ereignenden Naturerschei¬ nungen erklären, sondern begreiflich machen wollten, wie vor Zeiten die ein¬ fachen Stoffe entstanden find, an denen jene Erscheinungen sichtbar werden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/567>, abgerufen am 02.07.2024.