Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Buckle und Darwin

Köter nachlaufen und wenn überhaupt Geschmack, dann einen herzlich schlechten
verraten. Aber den Vögeln und Schmetterlingen spricht er entschieden Schön¬
heitssinn zu. Er verhehlt sich freilich die Schwierigkeit nicht, die in der kunst¬
vollen und durch unzählige Geschlechter sich beständig gleichbleibenden Zeichnung
der Schmetterlinge und vieler Vögel liegt. Und in der That, es gehört ein
starker Glaube dazu, anzunehmen, ein so dummes Vieh wie die Pfauhenne habe
die prachtvollen Pfauenaugen und deren regelmäßige Anordnung auf den langen
Schwanzfedern des Gemahls samt der Kunst des Radschlagens ersonnen und
zu ihrem Vergnügen dem Hahn im Äiufe von einigen hunderttausend Jahren
angezüchtet; das Allerwunderbarste an der Sache würde die Beharrlichkeit sein,
denn äonrm ö rnodilö.

Aufrichtiger als in seinen Büchern gestand Darwin in seinem Briefwechsel
ein, wie lebhaft er diese Schwierigkeiten empfand. So schrieb er z. B. am
it. Mui 1861 an den Botaniker Uhr Gray: "Wenn Sie wünsche", mich vou
einem elenden Tode zu erretten, dann sagen Sie mir, warum "i Anordnung
der Blätter am Steugelj mir die Winkelreihe ^, ^ u. s- w. vor¬
kommt und keine andre. Diese Erscheinung reicht hiu, den ruhigsten Menschen
toll zu machen." In der That müssen derartige Anordnungen in der Natur
jeden toll machen, der sich die Darwinsche Theorie in den Kopf gesetzt hat
und doch seine Augen den Thatsachen nicht geflissentlich verschließt. Mögen
die Blätter in gleicher Höhe am Stengel stehen oder so, daß die ihre An-
heftungsstellen verbindende Linie eine Spirale bildet, in jedem Falle beträgt
die Entfernung von Blatt zu Blatt einen bestimmten Bruchteil des Stengel¬
umfangs, und dieser Bruchteil bleibt nicht bloß bei derselben Pflanze, sondern
innerhalb der Pflanzenart derselbe. Und zwar kommen nur folgende Brüche
V-, °/s. "-s-w- Diese Brüche bilden eine höchst
merkwürdige Reihe. Addirt man nämlich einerseits die Zähler und anderseits
die Nenner, so findet man, daß jeder Zähler die Summe der beiden vorher¬
gehenden Zähler und jeder Nenner die Summe der beiden vorhergehenden
Nenner darstellt. Dieser künstliche arithmetische Bau scheint allerdings vom
Schöpfer besonders zur Verspottung derer erfunden worden zu sein, die
alle Wunder seiner Schöpfung auf eine rohe Mechanik und blinde Kräfte
zurückführen wollen. Gott ist eben, wie ihn der alte Statistiker Süßmilch nennt,
ein großer Arithmetikus. Schon Nägeli hatte hervorgehoben, was später
Wigand und E. von Hartmann weiter ausführten, daß gerade jene morpho¬
logischen Eigentümlichkeiten, wie Blattstellung oder Zahl der Blütenblätter,
die den Artcharakter der Pflanzen ausmachen, für deren Fortkommen im Kampfe
ums Dnsein ganz gleichgiltig und ohne Nutzen sind, Darwin hilft sich mit dem
Troste, daß wir den Nutzen nur nicht kennen, wie er denn überhaupt bei jeder
Gelegenheit klagt, daß wir eigentlich nichts wüßten, was zu dem Alleswissen-
wollen seiner Schule einen sonderbaren Gegensatz bildet.


Buckle und Darwin

Köter nachlaufen und wenn überhaupt Geschmack, dann einen herzlich schlechten
verraten. Aber den Vögeln und Schmetterlingen spricht er entschieden Schön¬
heitssinn zu. Er verhehlt sich freilich die Schwierigkeit nicht, die in der kunst¬
vollen und durch unzählige Geschlechter sich beständig gleichbleibenden Zeichnung
der Schmetterlinge und vieler Vögel liegt. Und in der That, es gehört ein
starker Glaube dazu, anzunehmen, ein so dummes Vieh wie die Pfauhenne habe
die prachtvollen Pfauenaugen und deren regelmäßige Anordnung auf den langen
Schwanzfedern des Gemahls samt der Kunst des Radschlagens ersonnen und
zu ihrem Vergnügen dem Hahn im Äiufe von einigen hunderttausend Jahren
angezüchtet; das Allerwunderbarste an der Sache würde die Beharrlichkeit sein,
denn äonrm ö rnodilö.

Aufrichtiger als in seinen Büchern gestand Darwin in seinem Briefwechsel
ein, wie lebhaft er diese Schwierigkeiten empfand. So schrieb er z. B. am
it. Mui 1861 an den Botaniker Uhr Gray: „Wenn Sie wünsche», mich vou
einem elenden Tode zu erretten, dann sagen Sie mir, warum »i Anordnung
der Blätter am Steugelj mir die Winkelreihe ^, ^ u. s- w. vor¬
kommt und keine andre. Diese Erscheinung reicht hiu, den ruhigsten Menschen
toll zu machen." In der That müssen derartige Anordnungen in der Natur
jeden toll machen, der sich die Darwinsche Theorie in den Kopf gesetzt hat
und doch seine Augen den Thatsachen nicht geflissentlich verschließt. Mögen
die Blätter in gleicher Höhe am Stengel stehen oder so, daß die ihre An-
heftungsstellen verbindende Linie eine Spirale bildet, in jedem Falle beträgt
die Entfernung von Blatt zu Blatt einen bestimmten Bruchteil des Stengel¬
umfangs, und dieser Bruchteil bleibt nicht bloß bei derselben Pflanze, sondern
innerhalb der Pflanzenart derselbe. Und zwar kommen nur folgende Brüche
V-, °/s. "-s-w- Diese Brüche bilden eine höchst
merkwürdige Reihe. Addirt man nämlich einerseits die Zähler und anderseits
die Nenner, so findet man, daß jeder Zähler die Summe der beiden vorher¬
gehenden Zähler und jeder Nenner die Summe der beiden vorhergehenden
Nenner darstellt. Dieser künstliche arithmetische Bau scheint allerdings vom
Schöpfer besonders zur Verspottung derer erfunden worden zu sein, die
alle Wunder seiner Schöpfung auf eine rohe Mechanik und blinde Kräfte
zurückführen wollen. Gott ist eben, wie ihn der alte Statistiker Süßmilch nennt,
ein großer Arithmetikus. Schon Nägeli hatte hervorgehoben, was später
Wigand und E. von Hartmann weiter ausführten, daß gerade jene morpho¬
logischen Eigentümlichkeiten, wie Blattstellung oder Zahl der Blütenblätter,
die den Artcharakter der Pflanzen ausmachen, für deren Fortkommen im Kampfe
ums Dnsein ganz gleichgiltig und ohne Nutzen sind, Darwin hilft sich mit dem
Troste, daß wir den Nutzen nur nicht kennen, wie er denn überhaupt bei jeder
Gelegenheit klagt, daß wir eigentlich nichts wüßten, was zu dem Alleswissen-
wollen seiner Schule einen sonderbaren Gegensatz bildet.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0565" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206564"/>
          <fw type="header" place="top"> Buckle und Darwin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1875" prev="#ID_1874"> Köter nachlaufen und wenn überhaupt Geschmack, dann einen herzlich schlechten<lb/>
verraten. Aber den Vögeln und Schmetterlingen spricht er entschieden Schön¬<lb/>
heitssinn zu. Er verhehlt sich freilich die Schwierigkeit nicht, die in der kunst¬<lb/>
vollen und durch unzählige Geschlechter sich beständig gleichbleibenden Zeichnung<lb/>
der Schmetterlinge und vieler Vögel liegt. Und in der That, es gehört ein<lb/>
starker Glaube dazu, anzunehmen, ein so dummes Vieh wie die Pfauhenne habe<lb/>
die prachtvollen Pfauenaugen und deren regelmäßige Anordnung auf den langen<lb/>
Schwanzfedern des Gemahls samt der Kunst des Radschlagens ersonnen und<lb/>
zu ihrem Vergnügen dem Hahn im Äiufe von einigen hunderttausend Jahren<lb/>
angezüchtet; das Allerwunderbarste an der Sache würde die Beharrlichkeit sein,<lb/>
denn äonrm ö rnodilö.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1876"> Aufrichtiger als in seinen Büchern gestand Darwin in seinem Briefwechsel<lb/>
ein, wie lebhaft er diese Schwierigkeiten empfand. So schrieb er z. B. am<lb/>
it. Mui 1861 an den Botaniker Uhr Gray: &#x201E;Wenn Sie wünsche», mich vou<lb/>
einem elenden Tode zu erretten, dann sagen Sie mir, warum »i Anordnung<lb/>
der Blätter am Steugelj mir die Winkelreihe ^, ^ u. s- w. vor¬<lb/>
kommt und keine andre. Diese Erscheinung reicht hiu, den ruhigsten Menschen<lb/>
toll zu machen." In der That müssen derartige Anordnungen in der Natur<lb/>
jeden toll machen, der sich die Darwinsche Theorie in den Kopf gesetzt hat<lb/>
und doch seine Augen den Thatsachen nicht geflissentlich verschließt. Mögen<lb/>
die Blätter in gleicher Höhe am Stengel stehen oder so, daß die ihre An-<lb/>
heftungsstellen verbindende Linie eine Spirale bildet, in jedem Falle beträgt<lb/>
die Entfernung von Blatt zu Blatt einen bestimmten Bruchteil des Stengel¬<lb/>
umfangs, und dieser Bruchteil bleibt nicht bloß bei derselben Pflanze, sondern<lb/>
innerhalb der Pflanzenart derselbe.  Und zwar kommen nur folgende Brüche<lb/>
V-, °/s. "-s-w- Diese Brüche bilden eine höchst<lb/>
merkwürdige Reihe. Addirt man nämlich einerseits die Zähler und anderseits<lb/>
die Nenner, so findet man, daß jeder Zähler die Summe der beiden vorher¬<lb/>
gehenden Zähler und jeder Nenner die Summe der beiden vorhergehenden<lb/>
Nenner darstellt. Dieser künstliche arithmetische Bau scheint allerdings vom<lb/>
Schöpfer besonders zur Verspottung derer erfunden worden zu sein, die<lb/>
alle Wunder seiner Schöpfung auf eine rohe Mechanik und blinde Kräfte<lb/>
zurückführen wollen. Gott ist eben, wie ihn der alte Statistiker Süßmilch nennt,<lb/>
ein großer Arithmetikus. Schon Nägeli hatte hervorgehoben, was später<lb/>
Wigand und E. von Hartmann weiter ausführten, daß gerade jene morpho¬<lb/>
logischen Eigentümlichkeiten, wie Blattstellung oder Zahl der Blütenblätter,<lb/>
die den Artcharakter der Pflanzen ausmachen, für deren Fortkommen im Kampfe<lb/>
ums Dnsein ganz gleichgiltig und ohne Nutzen sind, Darwin hilft sich mit dem<lb/>
Troste, daß wir den Nutzen nur nicht kennen, wie er denn überhaupt bei jeder<lb/>
Gelegenheit klagt, daß wir eigentlich nichts wüßten, was zu dem Alleswissen-<lb/>
wollen seiner Schule einen sonderbaren Gegensatz bildet.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0565] Buckle und Darwin Köter nachlaufen und wenn überhaupt Geschmack, dann einen herzlich schlechten verraten. Aber den Vögeln und Schmetterlingen spricht er entschieden Schön¬ heitssinn zu. Er verhehlt sich freilich die Schwierigkeit nicht, die in der kunst¬ vollen und durch unzählige Geschlechter sich beständig gleichbleibenden Zeichnung der Schmetterlinge und vieler Vögel liegt. Und in der That, es gehört ein starker Glaube dazu, anzunehmen, ein so dummes Vieh wie die Pfauhenne habe die prachtvollen Pfauenaugen und deren regelmäßige Anordnung auf den langen Schwanzfedern des Gemahls samt der Kunst des Radschlagens ersonnen und zu ihrem Vergnügen dem Hahn im Äiufe von einigen hunderttausend Jahren angezüchtet; das Allerwunderbarste an der Sache würde die Beharrlichkeit sein, denn äonrm ö rnodilö. Aufrichtiger als in seinen Büchern gestand Darwin in seinem Briefwechsel ein, wie lebhaft er diese Schwierigkeiten empfand. So schrieb er z. B. am it. Mui 1861 an den Botaniker Uhr Gray: „Wenn Sie wünsche», mich vou einem elenden Tode zu erretten, dann sagen Sie mir, warum »i Anordnung der Blätter am Steugelj mir die Winkelreihe ^, ^ u. s- w. vor¬ kommt und keine andre. Diese Erscheinung reicht hiu, den ruhigsten Menschen toll zu machen." In der That müssen derartige Anordnungen in der Natur jeden toll machen, der sich die Darwinsche Theorie in den Kopf gesetzt hat und doch seine Augen den Thatsachen nicht geflissentlich verschließt. Mögen die Blätter in gleicher Höhe am Stengel stehen oder so, daß die ihre An- heftungsstellen verbindende Linie eine Spirale bildet, in jedem Falle beträgt die Entfernung von Blatt zu Blatt einen bestimmten Bruchteil des Stengel¬ umfangs, und dieser Bruchteil bleibt nicht bloß bei derselben Pflanze, sondern innerhalb der Pflanzenart derselbe. Und zwar kommen nur folgende Brüche V-, °/s. "-s-w- Diese Brüche bilden eine höchst merkwürdige Reihe. Addirt man nämlich einerseits die Zähler und anderseits die Nenner, so findet man, daß jeder Zähler die Summe der beiden vorher¬ gehenden Zähler und jeder Nenner die Summe der beiden vorhergehenden Nenner darstellt. Dieser künstliche arithmetische Bau scheint allerdings vom Schöpfer besonders zur Verspottung derer erfunden worden zu sein, die alle Wunder seiner Schöpfung auf eine rohe Mechanik und blinde Kräfte zurückführen wollen. Gott ist eben, wie ihn der alte Statistiker Süßmilch nennt, ein großer Arithmetikus. Schon Nägeli hatte hervorgehoben, was später Wigand und E. von Hartmann weiter ausführten, daß gerade jene morpho¬ logischen Eigentümlichkeiten, wie Blattstellung oder Zahl der Blütenblätter, die den Artcharakter der Pflanzen ausmachen, für deren Fortkommen im Kampfe ums Dnsein ganz gleichgiltig und ohne Nutzen sind, Darwin hilft sich mit dem Troste, daß wir den Nutzen nur nicht kennen, wie er denn überhaupt bei jeder Gelegenheit klagt, daß wir eigentlich nichts wüßten, was zu dem Alleswissen- wollen seiner Schule einen sonderbaren Gegensatz bildet.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/565
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/565>, abgerufen am 02.07.2024.