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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle und varwin

giebt es keinen. Allerdings ist in der allgemeinen Verkettung der Welt jedes
Ding Ursache und Wirkung zugleich; aber hier wird eben gefragt, wodurch die
Wechselwirkung ihren Anfang nahm. Wenn Palmbäume und blätterfressende
Wiederkäuer schon da sind, läßt es sich leicht vorstellen, wie von den letztern
die langhalsigsten am besten fortkommen, und so an hochstämmigen Palmen sich
allmählich ein Geschlecht langhalsiger Giraffen heranbildet. Sind Blüten und
honigsaugende Insekten einmal vorhanden, dann läßt sichs leicht denken, daß
sie einander gegenseitig zu gewissen Änderungen der Formen nötigen. Aber
auf dem Wege dieser mechanischen Anpassung und bloß durch sie ans einem
Prvtoplasmaklümpcheu einerseits Palmen und Orchideen, anderseits Giraffen
und Bienen hervorgehen zu lassen, dazu gehört eine kühne Phantasie und ein
starker Glaube.

Wo ihn die natürliche Zuchtwahl ganz und gnr im Stich läßt, da nimmt
Darwin seine Zuflucht zur geschlechtlichen Zuchtwahl, d. h. dem Überleben
derjenigen Eigenschaften, die Männchen und Weibchen gegenseitig an einander
am meisten schätzen. Aber hier fühlt sich der gesunde Menschenverstand zu
noch lebhafteren Widerspruch herausgefordert. Um jene affenähnlichen Wesen,
von denen wir abstammen sollen, zu Menschen zu veredeln, hätten bei ihrer
Paarung der Schönheitssinn, die Wertschätzung von Gemüts- und Charakter¬
eigenschaften und die Selbstbeherrschung schon ganz allgemein und beharrlich
thätig sein müssen, Eigenschaften, deren Einfluß noch heute bei der Eheschließung
so häufig vermißt werden, daß der Iioiuo s^xisuZ gerade in diesem Falle mit
Vorliebe seinen Unterschied von den Tieren zu vergessen scheint.

Ein wahres Kreuz war für Darwin die Schönheit, die er in den meisten
Fällen durch die geschlechtliche Zuchtwahl zu erklären suchte. Symmetrie, darin
kann man ihm Recht geben, ergiebt sich in vielen, nicht in allen Fällen aus
der zweckmäßigen Anordnung der innern und äußern Körperteile von selbst;
aber bei der Zeichnung und Färbung ließ ihn die "Anpassung" im Stich. Daß
lebhafter gefärbte Blüten leichter von den die Befruchtung vermittelnden In¬
sekten gefunden werden, und daß männliche und weibliche Schmetterlinge einander
desto rascher finden, je mehr sie von ihrer grünen Umgebung abstechen, wird
man zugeben müssen. In einzelnen Fällen scheint sogar die Zeichnung von
Nutzen zu sein; wenigstens behauptet Darwin, schwarze Striche auf den Blumen-
blätteni wiesen den Insekten den Weg zum Nektarium. Aber schwarze Striche
und lebhafte Farben machen die Schönheit noch nicht ans; es giebt auch un¬
scheinbare Blumen und solche, die nach unserm Geschmack unschön siud. Woher
kommt es, daß uns die Mehrzahl durch Schönheit erfreut? Die Schönheit
der Tiere erklärt Darwin daraus, daß die Männchen die schönsten Weibchen
aufsuchen, die Weibchen die schönen Männchen vorziehen. Bei Pferden soll so
etwas ja vorkommen, wenn auch nur ausnahmsweise. An den Hündinnen
mußte Darwin selbst zu seinem Ärger wahrnehmen, daß sie ohne Wahl jedem


Buckle und varwin

giebt es keinen. Allerdings ist in der allgemeinen Verkettung der Welt jedes
Ding Ursache und Wirkung zugleich; aber hier wird eben gefragt, wodurch die
Wechselwirkung ihren Anfang nahm. Wenn Palmbäume und blätterfressende
Wiederkäuer schon da sind, läßt es sich leicht vorstellen, wie von den letztern
die langhalsigsten am besten fortkommen, und so an hochstämmigen Palmen sich
allmählich ein Geschlecht langhalsiger Giraffen heranbildet. Sind Blüten und
honigsaugende Insekten einmal vorhanden, dann läßt sichs leicht denken, daß
sie einander gegenseitig zu gewissen Änderungen der Formen nötigen. Aber
auf dem Wege dieser mechanischen Anpassung und bloß durch sie ans einem
Prvtoplasmaklümpcheu einerseits Palmen und Orchideen, anderseits Giraffen
und Bienen hervorgehen zu lassen, dazu gehört eine kühne Phantasie und ein
starker Glaube.

Wo ihn die natürliche Zuchtwahl ganz und gnr im Stich läßt, da nimmt
Darwin seine Zuflucht zur geschlechtlichen Zuchtwahl, d. h. dem Überleben
derjenigen Eigenschaften, die Männchen und Weibchen gegenseitig an einander
am meisten schätzen. Aber hier fühlt sich der gesunde Menschenverstand zu
noch lebhafteren Widerspruch herausgefordert. Um jene affenähnlichen Wesen,
von denen wir abstammen sollen, zu Menschen zu veredeln, hätten bei ihrer
Paarung der Schönheitssinn, die Wertschätzung von Gemüts- und Charakter¬
eigenschaften und die Selbstbeherrschung schon ganz allgemein und beharrlich
thätig sein müssen, Eigenschaften, deren Einfluß noch heute bei der Eheschließung
so häufig vermißt werden, daß der Iioiuo s^xisuZ gerade in diesem Falle mit
Vorliebe seinen Unterschied von den Tieren zu vergessen scheint.

Ein wahres Kreuz war für Darwin die Schönheit, die er in den meisten
Fällen durch die geschlechtliche Zuchtwahl zu erklären suchte. Symmetrie, darin
kann man ihm Recht geben, ergiebt sich in vielen, nicht in allen Fällen aus
der zweckmäßigen Anordnung der innern und äußern Körperteile von selbst;
aber bei der Zeichnung und Färbung ließ ihn die „Anpassung" im Stich. Daß
lebhafter gefärbte Blüten leichter von den die Befruchtung vermittelnden In¬
sekten gefunden werden, und daß männliche und weibliche Schmetterlinge einander
desto rascher finden, je mehr sie von ihrer grünen Umgebung abstechen, wird
man zugeben müssen. In einzelnen Fällen scheint sogar die Zeichnung von
Nutzen zu sein; wenigstens behauptet Darwin, schwarze Striche auf den Blumen-
blätteni wiesen den Insekten den Weg zum Nektarium. Aber schwarze Striche
und lebhafte Farben machen die Schönheit noch nicht ans; es giebt auch un¬
scheinbare Blumen und solche, die nach unserm Geschmack unschön siud. Woher
kommt es, daß uns die Mehrzahl durch Schönheit erfreut? Die Schönheit
der Tiere erklärt Darwin daraus, daß die Männchen die schönsten Weibchen
aufsuchen, die Weibchen die schönen Männchen vorziehen. Bei Pferden soll so
etwas ja vorkommen, wenn auch nur ausnahmsweise. An den Hündinnen
mußte Darwin selbst zu seinem Ärger wahrnehmen, daß sie ohne Wahl jedem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/564>, abgerufen am 02.07.2024.