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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Vevfcissilugsstreit in Preußen

Verfassung ausdrücklich verletzen. Das Haus der Abgeordneten ist weder be¬
rechtigt, einen von Sr. Majestät dein Könige geschlossenen Staatsvertrag für
rechtsungültig zu erklären, noch richterliche Urteilssprüche anzufechten, noch den
Beamten der Exekutivgewalt Vorschriften zu erteilen. Der Beschluß des Hauses
vom 3. d. Mes. verletzt den Art. 48, der vom 10. d. M. den Art. 86, der
vom 1ö. d. Mes. den Art, 45, der Verfassung. Die königliche Staatsregierung
vermag über rechtswidrig gefaßte Beschlüsse keine amtliche Mitteilung von dem
Präsidium des Hauses entgegenzunehmen, und ich beehre mich daher, Ew. Hoch-
wohlgeboren die überreichten Ausfertigungen der Beschlüsse betreffend das
Herzogtum Lauenburg, den Antrag des Freiherr" von Hoverbeck und die
Petition des Herrn Classen-Kappelmann wieder zuzustellen."

Dieses Schreiben Bismarcks, datirt vom 18. Februar, rief natürlich wieder
starke Aufregung und heftige Debatten hervor. Doch ließ man den Redehelden
hierzu nicht lange Zeit; denn schon am 22. wurden sie durch eine königliche
Verordnung überrascht, die deu Schluß der Tagung verfügte. Der Präsident
Grabow hielt zum Schlüsse noch eine Rede, die seine Anhänger sicher für fehr
"schneidig" erklärt Hütten, wenn dieser schöne Ausdruck damals schon allgemein
gebräuchlich gewesen wäre. Noch "schneidiger" war es freilich, daß die "libe¬
rale" Presse gleichsam triumphirend hervorhob, daß in das zum Schlüsse auf¬
gebrachte Hoch auf den König nnr ,,die Feudalen und die Katholiken" einge¬
stimmt hätten. So weit waren die Männer des "latenten Patriotismus" (der
Ausdruck ist bekanntlich von Schutze-Delitzsch gebraucht wordeu für seine eigne
Partei) bereits auf der schiefen Ebene gekommen. Das that aber nichts. Am 2!!.
Februar wurde der Landtag durch eine Rede Bismarcks geschlossen. Mau hatte
mehr und Wichtigeres zu thu", als die völlig frucht- und wertlosen Nedekcimpfe
mit einer Gesellschaft unverbesserlicher und unbelehrbarer Doktrinäre und ver¬
bissener Parteifanatiker fortzusetzen.

Immer drohender ballten sich über Deutschland die düstern Wetterwolken
zusammen, die nach wenigen Monaten sich in krachenden Schlägen entladen
sollten. Bald sollten die eisernen Würfel rollen in dein blutigen Kriegesspiele,
in welchem Länder und Reiche, Szepter und Kronen den Einsatz bildeten. An
demselben Tage, wo in dem fernen Böhmen auf deu Höhen zwischen Elbe und
Bistritz die männermordende Feldschlacht brüllte und tobte, in der Preußens
waffenfrohe und wafseuftarke Krieger zeigten, daß sie ihrer Heldenväter viere waren,
am 3. Juli, wurden im ganzen Lande die Neuwahlen für das Abgeordnetenhaus
vollzogen. Die trübe und drückende Atmosphäre, die über Preußen ebenso sehr
wie über dem ganzen bundestäglichen Deutschland gelagert hatte, war durch den
"frischen, fröhlichen Krieg" mit einemmale gereinigt und geklärt worden. Etwa
die Hälfte der neugewählten Abgeordneten waren entschiedne Anhänger der
Negierungspolitik. Unter den wiedergewählten Oppositionsmännern waren nicht
wenige, die entweder offen oder doch insgeheim ihr bisheriges Unrecht einsahen


Der Vevfcissilugsstreit in Preußen

Verfassung ausdrücklich verletzen. Das Haus der Abgeordneten ist weder be¬
rechtigt, einen von Sr. Majestät dein Könige geschlossenen Staatsvertrag für
rechtsungültig zu erklären, noch richterliche Urteilssprüche anzufechten, noch den
Beamten der Exekutivgewalt Vorschriften zu erteilen. Der Beschluß des Hauses
vom 3. d. Mes. verletzt den Art. 48, der vom 10. d. M. den Art. 86, der
vom 1ö. d. Mes. den Art, 45, der Verfassung. Die königliche Staatsregierung
vermag über rechtswidrig gefaßte Beschlüsse keine amtliche Mitteilung von dem
Präsidium des Hauses entgegenzunehmen, und ich beehre mich daher, Ew. Hoch-
wohlgeboren die überreichten Ausfertigungen der Beschlüsse betreffend das
Herzogtum Lauenburg, den Antrag des Freiherr» von Hoverbeck und die
Petition des Herrn Classen-Kappelmann wieder zuzustellen."

Dieses Schreiben Bismarcks, datirt vom 18. Februar, rief natürlich wieder
starke Aufregung und heftige Debatten hervor. Doch ließ man den Redehelden
hierzu nicht lange Zeit; denn schon am 22. wurden sie durch eine königliche
Verordnung überrascht, die deu Schluß der Tagung verfügte. Der Präsident
Grabow hielt zum Schlüsse noch eine Rede, die seine Anhänger sicher für fehr
„schneidig" erklärt Hütten, wenn dieser schöne Ausdruck damals schon allgemein
gebräuchlich gewesen wäre. Noch „schneidiger" war es freilich, daß die „libe¬
rale" Presse gleichsam triumphirend hervorhob, daß in das zum Schlüsse auf¬
gebrachte Hoch auf den König nnr ,,die Feudalen und die Katholiken" einge¬
stimmt hätten. So weit waren die Männer des „latenten Patriotismus" (der
Ausdruck ist bekanntlich von Schutze-Delitzsch gebraucht wordeu für seine eigne
Partei) bereits auf der schiefen Ebene gekommen. Das that aber nichts. Am 2!!.
Februar wurde der Landtag durch eine Rede Bismarcks geschlossen. Mau hatte
mehr und Wichtigeres zu thu», als die völlig frucht- und wertlosen Nedekcimpfe
mit einer Gesellschaft unverbesserlicher und unbelehrbarer Doktrinäre und ver¬
bissener Parteifanatiker fortzusetzen.

Immer drohender ballten sich über Deutschland die düstern Wetterwolken
zusammen, die nach wenigen Monaten sich in krachenden Schlägen entladen
sollten. Bald sollten die eisernen Würfel rollen in dein blutigen Kriegesspiele,
in welchem Länder und Reiche, Szepter und Kronen den Einsatz bildeten. An
demselben Tage, wo in dem fernen Böhmen auf deu Höhen zwischen Elbe und
Bistritz die männermordende Feldschlacht brüllte und tobte, in der Preußens
waffenfrohe und wafseuftarke Krieger zeigten, daß sie ihrer Heldenväter viere waren,
am 3. Juli, wurden im ganzen Lande die Neuwahlen für das Abgeordnetenhaus
vollzogen. Die trübe und drückende Atmosphäre, die über Preußen ebenso sehr
wie über dem ganzen bundestäglichen Deutschland gelagert hatte, war durch den
„frischen, fröhlichen Krieg" mit einemmale gereinigt und geklärt worden. Etwa
die Hälfte der neugewählten Abgeordneten waren entschiedne Anhänger der
Negierungspolitik. Unter den wiedergewählten Oppositionsmännern waren nicht
wenige, die entweder offen oder doch insgeheim ihr bisheriges Unrecht einsahen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/560>, abgerufen am 22.12.2024.