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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Verfttssungsstreit in j)rc"ßer

im "Vermischten" für die Öffentlichkeit erledigt worden sein. Damals aber
war das anders. Der junge Mann war Mitglied eines Korps, diente bei
einem aristokratischen Regiment und war von Adel, sogar Graf. Das war
ein gefundenes Fressen, das die "liberale" Presse sich nicht entgehen lassen
durfte. Da konnte man doch einmal in spaltenlangen Leitartikeln zeigen, wie
die "Junker," wenn sie vollends zur Gewalt kämen, das "Volk" behandeln
würden. Wäre plötzlich einer der sprichwörtlichen "Lüderitze und Köckeritze,
Krachten oder Jtzenplitze" auf magerm Rosse ans der freien Landstraße, etwa
zwischen Berlin und Magdeburg, erschienen und hätte angefangen, aus dem
Stegreife zu leben, die "Pfeffersäcke" niederzuwerfen und die unglücklichen Ge¬
fangnen bei Molchen und Salamandern in grausigen Burgverließ verschmachten
M lassen, der Lärm Hütte unmöglich größer sein können.

Die letzte Tagung des Landtages in der Koufliktszeit wurde um 15. Januar
^W6 durch°Bismarck eröffnet. Die Verhandlungen bieten dasselbe Bild dar
wie die frühern. Die hitzigen Redekämpfe hatten dasselbe thatsächliche Ergebnis
wie früher, nämlich gar keins. Die Fortschrittspartei konnte es natürlich nicht
lassen, wieder Übergriffe in das Gebiet der auswärtigen Politik zu machen.
Diesesmal lieferte der Vertrag zu Gastein den Stoff zu einem heftigen Angriffe
auf die Regierung. Da dieser Vertrag dem Staate keinerlei Verpflichtungen
auferlegte - König Wilhelm hatte bekanntlich die Entschädigungssumme an
Österreich aus seiner eignen Schatulle bezahlt --, so bedürfte er zu seiner
Giltigkeit nicht der Zustimmung des Abgeordnetenhauses (Art. 48 der Verf.).
Aber man konnte ja versuchen, wie weit nun, kam. Außerdem lautet Art. 55:
..Ohne Einwilligung beider Kanunern kann der König nicht zugleich Herrscher
fremder Reiche seim" Wenn der Herr Abgeordnete Virchow, der den Antrag
eingebracht hatte, jenen Vertrag für rechtsuugiltig zu erklären, so lange die
verfassungsmäßige Zustimmung des Landtags fehle, den letztern Beweisgrund
besonders hervorhob, so wollte er offenbar nur zeigen, daß es ihm nicht an
Geist fehle; denn den jetzigen "Kreis Herzogtum Lauenburg" für ein fremdes
Reich zu erklären, und zwar in allem Ernste, das war doch ein guter und
wvhlgelungener Scherz. Trotzdem daß Bismarck in meisterhafter Rede die An¬
maßungen des Hauses zurückwies, wurde natürlich der Antrag Virchows an¬
genommen (251 Stimnien gegen 44). Auch mehrere andre Beschlüsse wurden
gefaßt, durch die die verfassungsmäßigen Befugnisse des Abgeordnetenhauses
überschritten wurden. Am 18. Februar richtete daher Bismarck an das Haus
ein Schreiben, dessen wesentlicher Inhalt folgender war: "Nachdem das königl.
Staatsministerium von Ew. Hochwohlgeboren ges. Schreiben vom Z,, 10. und
16. d. M. durch mich Kenntnis erhalten hat, hat dasselbe beschlossen, die
Annahme dieser Schriftstücke zu verweigern, weil die darin mitgeteilten Be¬
schlüsse in der dem Hause der Abgeordneten durch die Verfassung beigelegten
Kompetenz nicht nur keine Begründung finden, sondern verschiedne Artikel der


Der Verfttssungsstreit in j)rcȧer

im „Vermischten" für die Öffentlichkeit erledigt worden sein. Damals aber
war das anders. Der junge Mann war Mitglied eines Korps, diente bei
einem aristokratischen Regiment und war von Adel, sogar Graf. Das war
ein gefundenes Fressen, das die „liberale" Presse sich nicht entgehen lassen
durfte. Da konnte man doch einmal in spaltenlangen Leitartikeln zeigen, wie
die „Junker," wenn sie vollends zur Gewalt kämen, das „Volk" behandeln
würden. Wäre plötzlich einer der sprichwörtlichen „Lüderitze und Köckeritze,
Krachten oder Jtzenplitze" auf magerm Rosse ans der freien Landstraße, etwa
zwischen Berlin und Magdeburg, erschienen und hätte angefangen, aus dem
Stegreife zu leben, die „Pfeffersäcke" niederzuwerfen und die unglücklichen Ge¬
fangnen bei Molchen und Salamandern in grausigen Burgverließ verschmachten
M lassen, der Lärm Hütte unmöglich größer sein können.

Die letzte Tagung des Landtages in der Koufliktszeit wurde um 15. Januar
^W6 durch°Bismarck eröffnet. Die Verhandlungen bieten dasselbe Bild dar
wie die frühern. Die hitzigen Redekämpfe hatten dasselbe thatsächliche Ergebnis
wie früher, nämlich gar keins. Die Fortschrittspartei konnte es natürlich nicht
lassen, wieder Übergriffe in das Gebiet der auswärtigen Politik zu machen.
Diesesmal lieferte der Vertrag zu Gastein den Stoff zu einem heftigen Angriffe
auf die Regierung. Da dieser Vertrag dem Staate keinerlei Verpflichtungen
auferlegte - König Wilhelm hatte bekanntlich die Entschädigungssumme an
Österreich aus seiner eignen Schatulle bezahlt —, so bedürfte er zu seiner
Giltigkeit nicht der Zustimmung des Abgeordnetenhauses (Art. 48 der Verf.).
Aber man konnte ja versuchen, wie weit nun, kam. Außerdem lautet Art. 55:
..Ohne Einwilligung beider Kanunern kann der König nicht zugleich Herrscher
fremder Reiche seim" Wenn der Herr Abgeordnete Virchow, der den Antrag
eingebracht hatte, jenen Vertrag für rechtsuugiltig zu erklären, so lange die
verfassungsmäßige Zustimmung des Landtags fehle, den letztern Beweisgrund
besonders hervorhob, so wollte er offenbar nur zeigen, daß es ihm nicht an
Geist fehle; denn den jetzigen „Kreis Herzogtum Lauenburg" für ein fremdes
Reich zu erklären, und zwar in allem Ernste, das war doch ein guter und
wvhlgelungener Scherz. Trotzdem daß Bismarck in meisterhafter Rede die An¬
maßungen des Hauses zurückwies, wurde natürlich der Antrag Virchows an¬
genommen (251 Stimnien gegen 44). Auch mehrere andre Beschlüsse wurden
gefaßt, durch die die verfassungsmäßigen Befugnisse des Abgeordnetenhauses
überschritten wurden. Am 18. Februar richtete daher Bismarck an das Haus
ein Schreiben, dessen wesentlicher Inhalt folgender war: „Nachdem das königl.
Staatsministerium von Ew. Hochwohlgeboren ges. Schreiben vom Z,, 10. und
16. d. M. durch mich Kenntnis erhalten hat, hat dasselbe beschlossen, die
Annahme dieser Schriftstücke zu verweigern, weil die darin mitgeteilten Be¬
schlüsse in der dem Hause der Abgeordneten durch die Verfassung beigelegten
Kompetenz nicht nur keine Begründung finden, sondern verschiedne Artikel der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/559>, abgerufen am 02.07.2024.