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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der verfassungsstreit in Preußen

und eingestanden. Die Alleinherrschaft der Fortschrittspartei war gebrochen,
gebrochen sür immer. Hätten die Wahlen noch etwa acht oder vierzehn Tage
später stattgefunden, als man die ungeheuern Erfolge, die errungen waren,
genauer übersehen konnte, so hätte wahrscheinlich damals schon die ganze Partei
in wenigen Droschken spazieren fahren können.

Am 5. August des ewig denkwürdigen Jahres' 1866 eröffnete der greise
Monarch, der soeben mit unverwelklichen Lorbeeren geschmückt in die Heimat
zurückgekehrt war, den neuen Landtag. Die herrliche Thronrede, dnrch die
das geschah, darf wohl als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Der König
kündigte an, daß seine Negierung für die ohne Staatshaushnltsgesetz geführte
Verwaltung Indemnität nachsuchen werde. Was vor drei Monaten noch eine
unverzeihliche Schwäche gewesen wäre, das war jetzt ein Schritt, der bewies,
welche Geistesgröße und welcher Seelenadel den Herrscher selbst und seiue Um¬
gebung erfüllten. Nach Königgrätz, nach einem Kriege, der dem Staate drei
neue Provinzen brachte, der die Einigung Deutschlands in fast greifbare Nähe
rückte, da konnte man den Gegnern manchen Schritt entgegenkommen, ohne sich
irgendwie zu demütigen!

Der bisherige Präsident Grabow hatte, da er nicht mit Unrecht meinte,
dus; seine Person vielleicht eine Ausgleichung mit der Regierung erschweren
könne, eine Wiederwahl zum Vorsitzenden bestimmt abgelehnt und zog sich bald
ganz aus dem politischen Leben zurück. Alle seine Anhänger, die nicht den
Mut finden konnten, offen einzugestehen, daß sie bisher in Irrtum befangen
gewesen waren, hätten nur seinem Beispiele folgen sollen. Unter den Männern,
die sich der Annahme der Judemuitätsvvrlage, die am 13. Angust eingebracht
worden war, heftig widersetzten, ragte, man könnte sast sagen natürlich, Herr
Professor Virchow hervor; sogar Tochter empfahl die Annahme der Vorlage.
Sie erfolgte im Abgeordnetenhause am 3. September mit 230 gegen 75 Stimmen,
"n Herrenhause an: 8. September mit Einstimmigkeit.

Damit war der Verfassungsstreit in Preußen beendigt, der Konflikt, der
s" viele Jahre das öffentliche Leben vergiftet hatte, war aus der Welt geschafft.

Mehr als zwanzig Jahre, voll von gewaltigen Ereignissen, sind inzwischen
über Deutschland und Europa dahingegangen; die Vorgänge aus den Jahren
1861 bis 1866 gehören der Weltgeschichte an und sind in weitern Kreisen
teilweise schon ganz vergessen, unterliegen aber anch teilweise einer ganz falschen,
schiefen Beurteilung. Dieser entgegenzutreten, war der Zweck dieser Arbeit.
Denn die Parteibestrebungen, die damals den Konflikt herbeiführten, haben mit
ihm nicht aufgehört. Noch heute giebt es nicht nur eine Partei, sondern ein
Gemisch, ein Sammelsurium der verschiedensten Parteien, deren gemeinsames
Bestreben darauf gerichtet ist, um jeden Preis Konflikte mit der Negierung
herbeizuführen und so wiederum Verwirrung, Verhetzung und Unheil über unser
Vaterland zu bringen. Ich brauche diese Parteien nicht zu nennen; jeder


Grenzbote" IV 1889 7"
Der verfassungsstreit in Preußen

und eingestanden. Die Alleinherrschaft der Fortschrittspartei war gebrochen,
gebrochen sür immer. Hätten die Wahlen noch etwa acht oder vierzehn Tage
später stattgefunden, als man die ungeheuern Erfolge, die errungen waren,
genauer übersehen konnte, so hätte wahrscheinlich damals schon die ganze Partei
in wenigen Droschken spazieren fahren können.

Am 5. August des ewig denkwürdigen Jahres' 1866 eröffnete der greise
Monarch, der soeben mit unverwelklichen Lorbeeren geschmückt in die Heimat
zurückgekehrt war, den neuen Landtag. Die herrliche Thronrede, dnrch die
das geschah, darf wohl als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Der König
kündigte an, daß seine Negierung für die ohne Staatshaushnltsgesetz geführte
Verwaltung Indemnität nachsuchen werde. Was vor drei Monaten noch eine
unverzeihliche Schwäche gewesen wäre, das war jetzt ein Schritt, der bewies,
welche Geistesgröße und welcher Seelenadel den Herrscher selbst und seiue Um¬
gebung erfüllten. Nach Königgrätz, nach einem Kriege, der dem Staate drei
neue Provinzen brachte, der die Einigung Deutschlands in fast greifbare Nähe
rückte, da konnte man den Gegnern manchen Schritt entgegenkommen, ohne sich
irgendwie zu demütigen!

Der bisherige Präsident Grabow hatte, da er nicht mit Unrecht meinte,
dus; seine Person vielleicht eine Ausgleichung mit der Regierung erschweren
könne, eine Wiederwahl zum Vorsitzenden bestimmt abgelehnt und zog sich bald
ganz aus dem politischen Leben zurück. Alle seine Anhänger, die nicht den
Mut finden konnten, offen einzugestehen, daß sie bisher in Irrtum befangen
gewesen waren, hätten nur seinem Beispiele folgen sollen. Unter den Männern,
die sich der Annahme der Judemuitätsvvrlage, die am 13. Angust eingebracht
worden war, heftig widersetzten, ragte, man könnte sast sagen natürlich, Herr
Professor Virchow hervor; sogar Tochter empfahl die Annahme der Vorlage.
Sie erfolgte im Abgeordnetenhause am 3. September mit 230 gegen 75 Stimmen,
"n Herrenhause an: 8. September mit Einstimmigkeit.

Damit war der Verfassungsstreit in Preußen beendigt, der Konflikt, der
s" viele Jahre das öffentliche Leben vergiftet hatte, war aus der Welt geschafft.

Mehr als zwanzig Jahre, voll von gewaltigen Ereignissen, sind inzwischen
über Deutschland und Europa dahingegangen; die Vorgänge aus den Jahren
1861 bis 1866 gehören der Weltgeschichte an und sind in weitern Kreisen
teilweise schon ganz vergessen, unterliegen aber anch teilweise einer ganz falschen,
schiefen Beurteilung. Dieser entgegenzutreten, war der Zweck dieser Arbeit.
Denn die Parteibestrebungen, die damals den Konflikt herbeiführten, haben mit
ihm nicht aufgehört. Noch heute giebt es nicht nur eine Partei, sondern ein
Gemisch, ein Sammelsurium der verschiedensten Parteien, deren gemeinsames
Bestreben darauf gerichtet ist, um jeden Preis Konflikte mit der Negierung
herbeizuführen und so wiederum Verwirrung, Verhetzung und Unheil über unser
Vaterland zu bringen. Ich brauche diese Parteien nicht zu nennen; jeder


Grenzbote» IV 1889 7»
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[0561] Der verfassungsstreit in Preußen und eingestanden. Die Alleinherrschaft der Fortschrittspartei war gebrochen, gebrochen sür immer. Hätten die Wahlen noch etwa acht oder vierzehn Tage später stattgefunden, als man die ungeheuern Erfolge, die errungen waren, genauer übersehen konnte, so hätte wahrscheinlich damals schon die ganze Partei in wenigen Droschken spazieren fahren können. Am 5. August des ewig denkwürdigen Jahres' 1866 eröffnete der greise Monarch, der soeben mit unverwelklichen Lorbeeren geschmückt in die Heimat zurückgekehrt war, den neuen Landtag. Die herrliche Thronrede, dnrch die das geschah, darf wohl als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Der König kündigte an, daß seine Negierung für die ohne Staatshaushnltsgesetz geführte Verwaltung Indemnität nachsuchen werde. Was vor drei Monaten noch eine unverzeihliche Schwäche gewesen wäre, das war jetzt ein Schritt, der bewies, welche Geistesgröße und welcher Seelenadel den Herrscher selbst und seiue Um¬ gebung erfüllten. Nach Königgrätz, nach einem Kriege, der dem Staate drei neue Provinzen brachte, der die Einigung Deutschlands in fast greifbare Nähe rückte, da konnte man den Gegnern manchen Schritt entgegenkommen, ohne sich irgendwie zu demütigen! Der bisherige Präsident Grabow hatte, da er nicht mit Unrecht meinte, dus; seine Person vielleicht eine Ausgleichung mit der Regierung erschweren könne, eine Wiederwahl zum Vorsitzenden bestimmt abgelehnt und zog sich bald ganz aus dem politischen Leben zurück. Alle seine Anhänger, die nicht den Mut finden konnten, offen einzugestehen, daß sie bisher in Irrtum befangen gewesen waren, hätten nur seinem Beispiele folgen sollen. Unter den Männern, die sich der Annahme der Judemuitätsvvrlage, die am 13. Angust eingebracht worden war, heftig widersetzten, ragte, man könnte sast sagen natürlich, Herr Professor Virchow hervor; sogar Tochter empfahl die Annahme der Vorlage. Sie erfolgte im Abgeordnetenhause am 3. September mit 230 gegen 75 Stimmen, "n Herrenhause an: 8. September mit Einstimmigkeit. Damit war der Verfassungsstreit in Preußen beendigt, der Konflikt, der s" viele Jahre das öffentliche Leben vergiftet hatte, war aus der Welt geschafft. Mehr als zwanzig Jahre, voll von gewaltigen Ereignissen, sind inzwischen über Deutschland und Europa dahingegangen; die Vorgänge aus den Jahren 1861 bis 1866 gehören der Weltgeschichte an und sind in weitern Kreisen teilweise schon ganz vergessen, unterliegen aber anch teilweise einer ganz falschen, schiefen Beurteilung. Dieser entgegenzutreten, war der Zweck dieser Arbeit. Denn die Parteibestrebungen, die damals den Konflikt herbeiführten, haben mit ihm nicht aufgehört. Noch heute giebt es nicht nur eine Partei, sondern ein Gemisch, ein Sammelsurium der verschiedensten Parteien, deren gemeinsames Bestreben darauf gerichtet ist, um jeden Preis Konflikte mit der Negierung herbeizuführen und so wiederum Verwirrung, Verhetzung und Unheil über unser Vaterland zu bringen. Ich brauche diese Parteien nicht zu nennen; jeder Grenzbote» IV 1889 7»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/561>, abgerufen am 25.07.2024.