Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

die Herren nur eß- und trinklustig gewesen, so hätten sie wohl volle Befriedi¬
gung gefunden. Aber die Redewut war zu groß. Sobald jedoch die erste
politische Rede gehalten wurde, erschien der Bürgermeister von Longerich und
forderte die Versammlung auf, auseinanderzugeheu. Zwar machte ein witziger
Kopf sofort den tiefempfundenen Vers:


Herr Bürgermeister von Longerich,
Wir sind noch alle so hongerig!

aber nicht einmal durch diese Berufung ans die heiligsten Gefühle des Menschen¬
herzens wurde der gefühllose Beamte gerührt. Wieder erschien Militär und
räumte den Garten. Ebenso waren auch die zur Rheinfahrt gemieteten Dampfer
militärisch besetzt. Aber die Zweckesser und nebeliger wollten ihr Vergnügen
nicht aufgeben. Preußen war den Krallen der finstern Reaktion verfallen;
man beschloß also, dem geknechteten Vaterlande den Rücken zu kehren und das
Land der Freiheit, Nassau, aufzusuchen. Nicht etwa, als ob Nassau ein Land
der Freiheit für die eignen Bewohner gewesen wäre; beileibe nicht! Die Hütten
einmal mucksen sollen! Aber man gewährte damals dort eine sehr weitgehende
Freiheit im Schimpfen auf Preußen, und darauf war doch hauptsächlich die
ganze Sache angelegt. Also ans "ach Oberlahnstein! Aber solche Volksvertreter
wollte nicht einmal die nassnuische Regierung dulden; auch hier erschien, wenn
auch etwas spät, Militär, und damit hatte der kleine Sommerscherz sein Ende
erreicht. Am auffälligsten bei der ganzen Geschichte war, daß man später gar
nicht davon horte, daß einer oder der andre der Festteilnehmer infolge einer
nicht gehaltenen Rede erstickt oder geplatzt wäre. Zum Schlüsse sei nur noch
bemerkt, daß die Verfügung des Polizeipräsidenten von Köln wegen des
Gürzenich wirklich durch richterliche Entscheidung aufgehoben wurde, aber erst
am 28. Juli.

Noch ein Vorgang mag hier erwähnt werden, der zwar auf geschichtliche
Bedeutung keinen Anspruch machen kann, aber höchst bezeichnend ist für die
Art und Weise, in der damals die Volksklassen aufgehetzt wurden. Am Abend
des 4. August hatte in Bonn eine "Kellerei" zwischen Studenten und "Knoten"
stattgefunden, ein Vorkommnis, das leider anch heute noch auf deutscheu Hoch¬
schulen nicht zu deu Seltenheiten gehört. Der Koch des damals in Bonn
studierenden Prinzen Alfred von England, ein gewisser Ott, ein Straßburger
von Geburt, war auf irgend eine Weise, jedenfalls nicht ohne eigne Schuld,
in die Schlägerei verwickelt worden und hatte dabei Verletzungen davongetragen,
die seinen Tod herbeiführten. Der Thäter war ein junger Graf Eulenburg,
Mitglied des Korps Borussia und damals Einjähriger bei den Königshusaren.
Der unglückliche junge Mann, deu man doch eigentlich mehr bedauern mußte,
wurde später zu drei Monaten Festung verurteilt, aber nach Verbüßung eines
Moruks begnadigt. Der ganze Vorfall würde heutzutage durch einige Notizen


die Herren nur eß- und trinklustig gewesen, so hätten sie wohl volle Befriedi¬
gung gefunden. Aber die Redewut war zu groß. Sobald jedoch die erste
politische Rede gehalten wurde, erschien der Bürgermeister von Longerich und
forderte die Versammlung auf, auseinanderzugeheu. Zwar machte ein witziger
Kopf sofort den tiefempfundenen Vers:


Herr Bürgermeister von Longerich,
Wir sind noch alle so hongerig!

aber nicht einmal durch diese Berufung ans die heiligsten Gefühle des Menschen¬
herzens wurde der gefühllose Beamte gerührt. Wieder erschien Militär und
räumte den Garten. Ebenso waren auch die zur Rheinfahrt gemieteten Dampfer
militärisch besetzt. Aber die Zweckesser und nebeliger wollten ihr Vergnügen
nicht aufgeben. Preußen war den Krallen der finstern Reaktion verfallen;
man beschloß also, dem geknechteten Vaterlande den Rücken zu kehren und das
Land der Freiheit, Nassau, aufzusuchen. Nicht etwa, als ob Nassau ein Land
der Freiheit für die eignen Bewohner gewesen wäre; beileibe nicht! Die Hütten
einmal mucksen sollen! Aber man gewährte damals dort eine sehr weitgehende
Freiheit im Schimpfen auf Preußen, und darauf war doch hauptsächlich die
ganze Sache angelegt. Also ans »ach Oberlahnstein! Aber solche Volksvertreter
wollte nicht einmal die nassnuische Regierung dulden; auch hier erschien, wenn
auch etwas spät, Militär, und damit hatte der kleine Sommerscherz sein Ende
erreicht. Am auffälligsten bei der ganzen Geschichte war, daß man später gar
nicht davon horte, daß einer oder der andre der Festteilnehmer infolge einer
nicht gehaltenen Rede erstickt oder geplatzt wäre. Zum Schlüsse sei nur noch
bemerkt, daß die Verfügung des Polizeipräsidenten von Köln wegen des
Gürzenich wirklich durch richterliche Entscheidung aufgehoben wurde, aber erst
am 28. Juli.

Noch ein Vorgang mag hier erwähnt werden, der zwar auf geschichtliche
Bedeutung keinen Anspruch machen kann, aber höchst bezeichnend ist für die
Art und Weise, in der damals die Volksklassen aufgehetzt wurden. Am Abend
des 4. August hatte in Bonn eine „Kellerei" zwischen Studenten und „Knoten"
stattgefunden, ein Vorkommnis, das leider anch heute noch auf deutscheu Hoch¬
schulen nicht zu deu Seltenheiten gehört. Der Koch des damals in Bonn
studierenden Prinzen Alfred von England, ein gewisser Ott, ein Straßburger
von Geburt, war auf irgend eine Weise, jedenfalls nicht ohne eigne Schuld,
in die Schlägerei verwickelt worden und hatte dabei Verletzungen davongetragen,
die seinen Tod herbeiführten. Der Thäter war ein junger Graf Eulenburg,
Mitglied des Korps Borussia und damals Einjähriger bei den Königshusaren.
Der unglückliche junge Mann, deu man doch eigentlich mehr bedauern mußte,
wurde später zu drei Monaten Festung verurteilt, aber nach Verbüßung eines
Moruks begnadigt. Der ganze Vorfall würde heutzutage durch einige Notizen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0558" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206557"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1853" prev="#ID_1852" next="#ID_1854"> die Herren nur eß- und trinklustig gewesen, so hätten sie wohl volle Befriedi¬<lb/>
gung gefunden. Aber die Redewut war zu groß. Sobald jedoch die erste<lb/>
politische Rede gehalten wurde, erschien der Bürgermeister von Longerich und<lb/>
forderte die Versammlung auf, auseinanderzugeheu. Zwar machte ein witziger<lb/>
Kopf sofort den tiefempfundenen Vers:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_14" type="poem">
              <l> Herr Bürgermeister von Longerich,<lb/>
Wir sind noch alle so hongerig!</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1854" prev="#ID_1853"> aber nicht einmal durch diese Berufung ans die heiligsten Gefühle des Menschen¬<lb/>
herzens wurde der gefühllose Beamte gerührt. Wieder erschien Militär und<lb/>
räumte den Garten. Ebenso waren auch die zur Rheinfahrt gemieteten Dampfer<lb/>
militärisch besetzt. Aber die Zweckesser und nebeliger wollten ihr Vergnügen<lb/>
nicht aufgeben. Preußen war den Krallen der finstern Reaktion verfallen;<lb/>
man beschloß also, dem geknechteten Vaterlande den Rücken zu kehren und das<lb/>
Land der Freiheit, Nassau, aufzusuchen. Nicht etwa, als ob Nassau ein Land<lb/>
der Freiheit für die eignen Bewohner gewesen wäre; beileibe nicht! Die Hütten<lb/>
einmal mucksen sollen! Aber man gewährte damals dort eine sehr weitgehende<lb/>
Freiheit im Schimpfen auf Preußen, und darauf war doch hauptsächlich die<lb/>
ganze Sache angelegt. Also ans »ach Oberlahnstein! Aber solche Volksvertreter<lb/>
wollte nicht einmal die nassnuische Regierung dulden; auch hier erschien, wenn<lb/>
auch etwas spät, Militär, und damit hatte der kleine Sommerscherz sein Ende<lb/>
erreicht. Am auffälligsten bei der ganzen Geschichte war, daß man später gar<lb/>
nicht davon horte, daß einer oder der andre der Festteilnehmer infolge einer<lb/>
nicht gehaltenen Rede erstickt oder geplatzt wäre. Zum Schlüsse sei nur noch<lb/>
bemerkt, daß die Verfügung des Polizeipräsidenten von Köln wegen des<lb/>
Gürzenich wirklich durch richterliche Entscheidung aufgehoben wurde, aber erst<lb/>
am 28. Juli.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1855" next="#ID_1856"> Noch ein Vorgang mag hier erwähnt werden, der zwar auf geschichtliche<lb/>
Bedeutung keinen Anspruch machen kann, aber höchst bezeichnend ist für die<lb/>
Art und Weise, in der damals die Volksklassen aufgehetzt wurden. Am Abend<lb/>
des 4. August hatte in Bonn eine &#x201E;Kellerei" zwischen Studenten und &#x201E;Knoten"<lb/>
stattgefunden, ein Vorkommnis, das leider anch heute noch auf deutscheu Hoch¬<lb/>
schulen nicht zu deu Seltenheiten gehört. Der Koch des damals in Bonn<lb/>
studierenden Prinzen Alfred von England, ein gewisser Ott, ein Straßburger<lb/>
von Geburt, war auf irgend eine Weise, jedenfalls nicht ohne eigne Schuld,<lb/>
in die Schlägerei verwickelt worden und hatte dabei Verletzungen davongetragen,<lb/>
die seinen Tod herbeiführten. Der Thäter war ein junger Graf Eulenburg,<lb/>
Mitglied des Korps Borussia und damals Einjähriger bei den Königshusaren.<lb/>
Der unglückliche junge Mann, deu man doch eigentlich mehr bedauern mußte,<lb/>
wurde später zu drei Monaten Festung verurteilt, aber nach Verbüßung eines<lb/>
Moruks begnadigt. Der ganze Vorfall würde heutzutage durch einige Notizen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0558] die Herren nur eß- und trinklustig gewesen, so hätten sie wohl volle Befriedi¬ gung gefunden. Aber die Redewut war zu groß. Sobald jedoch die erste politische Rede gehalten wurde, erschien der Bürgermeister von Longerich und forderte die Versammlung auf, auseinanderzugeheu. Zwar machte ein witziger Kopf sofort den tiefempfundenen Vers: Herr Bürgermeister von Longerich, Wir sind noch alle so hongerig! aber nicht einmal durch diese Berufung ans die heiligsten Gefühle des Menschen¬ herzens wurde der gefühllose Beamte gerührt. Wieder erschien Militär und räumte den Garten. Ebenso waren auch die zur Rheinfahrt gemieteten Dampfer militärisch besetzt. Aber die Zweckesser und nebeliger wollten ihr Vergnügen nicht aufgeben. Preußen war den Krallen der finstern Reaktion verfallen; man beschloß also, dem geknechteten Vaterlande den Rücken zu kehren und das Land der Freiheit, Nassau, aufzusuchen. Nicht etwa, als ob Nassau ein Land der Freiheit für die eignen Bewohner gewesen wäre; beileibe nicht! Die Hütten einmal mucksen sollen! Aber man gewährte damals dort eine sehr weitgehende Freiheit im Schimpfen auf Preußen, und darauf war doch hauptsächlich die ganze Sache angelegt. Also ans »ach Oberlahnstein! Aber solche Volksvertreter wollte nicht einmal die nassnuische Regierung dulden; auch hier erschien, wenn auch etwas spät, Militär, und damit hatte der kleine Sommerscherz sein Ende erreicht. Am auffälligsten bei der ganzen Geschichte war, daß man später gar nicht davon horte, daß einer oder der andre der Festteilnehmer infolge einer nicht gehaltenen Rede erstickt oder geplatzt wäre. Zum Schlüsse sei nur noch bemerkt, daß die Verfügung des Polizeipräsidenten von Köln wegen des Gürzenich wirklich durch richterliche Entscheidung aufgehoben wurde, aber erst am 28. Juli. Noch ein Vorgang mag hier erwähnt werden, der zwar auf geschichtliche Bedeutung keinen Anspruch machen kann, aber höchst bezeichnend ist für die Art und Weise, in der damals die Volksklassen aufgehetzt wurden. Am Abend des 4. August hatte in Bonn eine „Kellerei" zwischen Studenten und „Knoten" stattgefunden, ein Vorkommnis, das leider anch heute noch auf deutscheu Hoch¬ schulen nicht zu deu Seltenheiten gehört. Der Koch des damals in Bonn studierenden Prinzen Alfred von England, ein gewisser Ott, ein Straßburger von Geburt, war auf irgend eine Weise, jedenfalls nicht ohne eigne Schuld, in die Schlägerei verwickelt worden und hatte dabei Verletzungen davongetragen, die seinen Tod herbeiführten. Der Thäter war ein junger Graf Eulenburg, Mitglied des Korps Borussia und damals Einjähriger bei den Königshusaren. Der unglückliche junge Mann, deu man doch eigentlich mehr bedauern mußte, wurde später zu drei Monaten Festung verurteilt, aber nach Verbüßung eines Moruks begnadigt. Der ganze Vorfall würde heutzutage durch einige Notizen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/558
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/558>, abgerufen am 02.07.2024.