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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der verfcissungsstrett in j)reußen

müssen wir zu Hause bleiben; aber wenn die kleinen deutschen Staaten etwa
auf dein deutschen Bundestage einen Beschluß fassen wollten, der im Sinne
der Majorität der deutschen Nation wäre, dann sagt Preußen: Wir als Gro߬
macht sind nicht in der Lage, uns diesem Beschlusse zu unterwerfen, wir werden
uns nicht majorisiren lassen von den Kleinen -- aber von den Großen natürlich!
Ich meine, Sie könnten uns mit der Großmachtangelegenheit zu Hause bleiben.
Wenn Preußen einmal gezeigt haben wird gegen Großmächte, daß es eine
Großmacht ist, dann, meine Herren, sprechen Sie wieder davon; so lange
Preußen aber nur gegen kleine und Mittelstaaten als Großmacht spricht, so
lange, denke ich, wollen wir diese Angelegenheit bei uns schweigen lassen." In
derselben Rede hatte er von Bismarck gesagt: "Er ist jetzt dein Bösen verfallen,
und er wird von ihm nicht wieder loskommen." Die Komik in diesem Ausspruche
war aber eine ziemlich unfreiwillige; denn der "Staatsmann" Birchow meinte
das im Ernst, und das war eben das Komische an der Sache. Die Bewilligung
der Anleihe wurde verweigert, und die Kosten für die Reorganisation wurden
im Ordinarium und im Extravrdinarinm gestrichen. Das Herrenhaus verwarf
zum zweitenmale das von dem Abgeordnetenhause aufgestellte Budget und stellte
die ursprüngliche Regiernugsvvrlage wieder her. Das Unterhaus erklärte diesen
Beschluß wieder für null lind nichtig und erklärte ferner, daß die Staats-
regierung sich eines offnen Berfassuugsbruches schuldig mache, wenn sie fort¬
führe, ohne Zustimmung beider Häuser des Landtages über die Mittel des
Staates eigenmächtig zu verfügen. Am 25. Januar wurde der Landtag auf
Befehl des Königs von Bismarck geschlossen, um erst im Anfange des folgenden
Jahres (1865) wieder zusammenzutreten.

Während bis dahin in der innern Politik eine erträgliche Ruhe herrschte,
vollzogen sich die weltgeschichtlichen Ereignisse, die die meerumschlungeueu
Herzogtümer endgiltig von der düuischeu Fremdherrschaft befreiten und sie als
wirkliche und lebendige Glieder wieder mit dem deutschen Baterlande ver¬
einigten. Die wackern Regimenter in Schleswig, meist Brandenburger und
Westfalen, zeigten, daß die Preußen noch verstanden, zu kämpfen und zu siegen,
und Bismarck bewies, daß die Zeit vorüber war, wo eine erbärmliche Diplo¬
matie mit ihren Federn verdarb, was das blanke Schwert errungen hatte.
Aufmerksamer Beobachtern konnte es nicht entgehen, daß in der Stimmung
des Volkes, die so lauge durch wüstes Geschrei und durch fanatische Partei¬
hetzereien irregeleitet worden war, sich eine Umwandlung vorzubereiten und
auch bereits zu vollziehen begann. Doch dauerte es noch lange, bis in dem
parlamentarischen Leben Preußens die Alleinherrschaft der Fortschrittspartei,
die in dem "Konflikt" ihr Lebenselement hatte, gebrochen wurde.

Erst am 14. Januar 1865 wurde der Landtag von neuem eröffnet, wieder
durch den König selbst. Die Thronrede ging in ihrer Fassung bis um die
Grenze des Möglichen, um dem Hause Entgegenkommen zu beweisen und eine


Der verfcissungsstrett in j)reußen

müssen wir zu Hause bleiben; aber wenn die kleinen deutschen Staaten etwa
auf dein deutschen Bundestage einen Beschluß fassen wollten, der im Sinne
der Majorität der deutschen Nation wäre, dann sagt Preußen: Wir als Gro߬
macht sind nicht in der Lage, uns diesem Beschlusse zu unterwerfen, wir werden
uns nicht majorisiren lassen von den Kleinen — aber von den Großen natürlich!
Ich meine, Sie könnten uns mit der Großmachtangelegenheit zu Hause bleiben.
Wenn Preußen einmal gezeigt haben wird gegen Großmächte, daß es eine
Großmacht ist, dann, meine Herren, sprechen Sie wieder davon; so lange
Preußen aber nur gegen kleine und Mittelstaaten als Großmacht spricht, so
lange, denke ich, wollen wir diese Angelegenheit bei uns schweigen lassen." In
derselben Rede hatte er von Bismarck gesagt: „Er ist jetzt dein Bösen verfallen,
und er wird von ihm nicht wieder loskommen." Die Komik in diesem Ausspruche
war aber eine ziemlich unfreiwillige; denn der „Staatsmann" Birchow meinte
das im Ernst, und das war eben das Komische an der Sache. Die Bewilligung
der Anleihe wurde verweigert, und die Kosten für die Reorganisation wurden
im Ordinarium und im Extravrdinarinm gestrichen. Das Herrenhaus verwarf
zum zweitenmale das von dem Abgeordnetenhause aufgestellte Budget und stellte
die ursprüngliche Regiernugsvvrlage wieder her. Das Unterhaus erklärte diesen
Beschluß wieder für null lind nichtig und erklärte ferner, daß die Staats-
regierung sich eines offnen Berfassuugsbruches schuldig mache, wenn sie fort¬
führe, ohne Zustimmung beider Häuser des Landtages über die Mittel des
Staates eigenmächtig zu verfügen. Am 25. Januar wurde der Landtag auf
Befehl des Königs von Bismarck geschlossen, um erst im Anfange des folgenden
Jahres (1865) wieder zusammenzutreten.

Während bis dahin in der innern Politik eine erträgliche Ruhe herrschte,
vollzogen sich die weltgeschichtlichen Ereignisse, die die meerumschlungeueu
Herzogtümer endgiltig von der düuischeu Fremdherrschaft befreiten und sie als
wirkliche und lebendige Glieder wieder mit dem deutschen Baterlande ver¬
einigten. Die wackern Regimenter in Schleswig, meist Brandenburger und
Westfalen, zeigten, daß die Preußen noch verstanden, zu kämpfen und zu siegen,
und Bismarck bewies, daß die Zeit vorüber war, wo eine erbärmliche Diplo¬
matie mit ihren Federn verdarb, was das blanke Schwert errungen hatte.
Aufmerksamer Beobachtern konnte es nicht entgehen, daß in der Stimmung
des Volkes, die so lauge durch wüstes Geschrei und durch fanatische Partei¬
hetzereien irregeleitet worden war, sich eine Umwandlung vorzubereiten und
auch bereits zu vollziehen begann. Doch dauerte es noch lange, bis in dem
parlamentarischen Leben Preußens die Alleinherrschaft der Fortschrittspartei,
die in dem „Konflikt" ihr Lebenselement hatte, gebrochen wurde.

Erst am 14. Januar 1865 wurde der Landtag von neuem eröffnet, wieder
durch den König selbst. Die Thronrede ging in ihrer Fassung bis um die
Grenze des Möglichen, um dem Hause Entgegenkommen zu beweisen und eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/554>, abgerufen am 02.07.2024.