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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der verfcissungsstreit in Preußen

Preußens sehn!'. angewiesen gev'ehe" wäre, die Einsetzung noch eines neuen
Bundesfürsten sollten Deutschland Heil und Rettung verschaffen. Die Debatte
über diese Jnterpellation fand am l. und 2. Dezember statt; die Herren Sybel
und Birchow führten das große Wort gegen Bismarck, Diese Redeübung führte
g^var zu einer Resolution in dem angedeuteten Sinne; aber die Regierung ließ
sich dadurch in der Durchführung ihrer wohlüberlegten und tiefdurchdachten
Politik uicht irre machen. Sie verlangte am 9. Dezember die Bewilligung
einer Anleihe von 9 Millionen für den beschlossenen Krieg gegen Dänemark.
Statt diese Anleihe zu bewilligen, beschloß das Halts, eine Adresse an den
König zu richten, in der der Regierung förmlich vorgeschrieben wurde, welche
äußere Politik sie zu befolgen habe, und in der es dann heißt: "Das Hans
der Abgeordneten wendet sich an Eure Majestät, um die schwere Schuld von
sich abzuwenden, daß es nicht alles versucht habe, um eine Politik zu ändern,
welche das Land ans lange Zeit zu schädigen droht. Denn nach dem System
des Ministeriums müssen wir fürchten, daß in seinen Händen die begehrten
Mittel nicht im Interesse der Herzogtümer und Deutschlands, nicht zum Nutzen
der Krone und des Landes verwendet werden dürften." Der Übergriff des
Unterhauses in ein Gebiet, ans dem verfassungsmäßig unzweifelhaft dem König
allein die Entscheidung zusteht, wurde durch eine von dem Gesamtministerium
gegengezeichnete königliche Botschaft mit folgenden Worten zurückgewiesen:
.Wenn an die Spitze dieser Adresse der Satz gestellt worden ist, daß das
Haus der Abgeordneten bereits die Richtung festgestellt habe, welche einzuhalten
Deutschlands Ehre und Interessen gebieten, so will ich annehmen, daß damit
der Mir nach der Verfassung und den Gesetzen des Landes zustehenden Ent¬
scheidung über die Beziehungen der Monarchie zum Auslande nicht hat vor¬
gegriffen werden sollen."

In einer Sitzung der Anleihekonunission (18. Januar) erklärte Bismarck:
"Wir haben zu Ihnen nach wie vor das Vertrauen, daß Sie uns diejenigen
Mittel, welche wir so notwendig bedürfen, auf verfassungsmäßigen Wege zu¬
gänglich machen werden; sonst müssen wir sie nehmen, wo wir sie bekommen."
Die letzten Worte sind ihm bekanntlich bis zum Überdruß oft vorgeworfen
worden. Als die Sache dann im Plenum zur Beratung kam, entwickelte sich
daraus eine zweite Schleswig-Holstein-Debatte (21. und 22. Januar). Die
Redner der Opposition leisteten Unglaubliches in Schmähungen gegen die
Regierung und in Herabsetzung des eignen Vaterlandes. Alle übertraf darin
Herr Rudolf Birchow; er äußerte: "Meine Herren, Sie spreche,', immer von
der Großmacht Preußen. Ich muß sagen, ich besaure, daß dieses Sprechen
von der Großmacht allmählich einen krankhaften Zustand angenommen hat.
Nun, meme Herren, was machen Sie denn mit dieser Großmachtstellung?
Sagt man Ihnen: Macht doch einmal große Politik, geht doch einmal energisch
vor! dann sagen Sie: Ja, das könnte europäische Verwicklungen geben, da


Grenzboten IV 18"9 69
Der verfcissungsstreit in Preußen

Preußens sehn!'. angewiesen gev'ehe» wäre, die Einsetzung noch eines neuen
Bundesfürsten sollten Deutschland Heil und Rettung verschaffen. Die Debatte
über diese Jnterpellation fand am l. und 2. Dezember statt; die Herren Sybel
und Birchow führten das große Wort gegen Bismarck, Diese Redeübung führte
g^var zu einer Resolution in dem angedeuteten Sinne; aber die Regierung ließ
sich dadurch in der Durchführung ihrer wohlüberlegten und tiefdurchdachten
Politik uicht irre machen. Sie verlangte am 9. Dezember die Bewilligung
einer Anleihe von 9 Millionen für den beschlossenen Krieg gegen Dänemark.
Statt diese Anleihe zu bewilligen, beschloß das Halts, eine Adresse an den
König zu richten, in der der Regierung förmlich vorgeschrieben wurde, welche
äußere Politik sie zu befolgen habe, und in der es dann heißt: „Das Hans
der Abgeordneten wendet sich an Eure Majestät, um die schwere Schuld von
sich abzuwenden, daß es nicht alles versucht habe, um eine Politik zu ändern,
welche das Land ans lange Zeit zu schädigen droht. Denn nach dem System
des Ministeriums müssen wir fürchten, daß in seinen Händen die begehrten
Mittel nicht im Interesse der Herzogtümer und Deutschlands, nicht zum Nutzen
der Krone und des Landes verwendet werden dürften." Der Übergriff des
Unterhauses in ein Gebiet, ans dem verfassungsmäßig unzweifelhaft dem König
allein die Entscheidung zusteht, wurde durch eine von dem Gesamtministerium
gegengezeichnete königliche Botschaft mit folgenden Worten zurückgewiesen:
.Wenn an die Spitze dieser Adresse der Satz gestellt worden ist, daß das
Haus der Abgeordneten bereits die Richtung festgestellt habe, welche einzuhalten
Deutschlands Ehre und Interessen gebieten, so will ich annehmen, daß damit
der Mir nach der Verfassung und den Gesetzen des Landes zustehenden Ent¬
scheidung über die Beziehungen der Monarchie zum Auslande nicht hat vor¬
gegriffen werden sollen."

In einer Sitzung der Anleihekonunission (18. Januar) erklärte Bismarck:
„Wir haben zu Ihnen nach wie vor das Vertrauen, daß Sie uns diejenigen
Mittel, welche wir so notwendig bedürfen, auf verfassungsmäßigen Wege zu¬
gänglich machen werden; sonst müssen wir sie nehmen, wo wir sie bekommen."
Die letzten Worte sind ihm bekanntlich bis zum Überdruß oft vorgeworfen
worden. Als die Sache dann im Plenum zur Beratung kam, entwickelte sich
daraus eine zweite Schleswig-Holstein-Debatte (21. und 22. Januar). Die
Redner der Opposition leisteten Unglaubliches in Schmähungen gegen die
Regierung und in Herabsetzung des eignen Vaterlandes. Alle übertraf darin
Herr Rudolf Birchow; er äußerte: „Meine Herren, Sie spreche,', immer von
der Großmacht Preußen. Ich muß sagen, ich besaure, daß dieses Sprechen
von der Großmacht allmählich einen krankhaften Zustand angenommen hat.
Nun, meme Herren, was machen Sie denn mit dieser Großmachtstellung?
Sagt man Ihnen: Macht doch einmal große Politik, geht doch einmal energisch
vor! dann sagen Sie: Ja, das könnte europäische Verwicklungen geben, da


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/553>, abgerufen am 02.07.2024.