Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Allerhand Zpmchdmmnheiteu

Sprache -- da festes nicht dran > sondern auch auf dem Papiere; und zwar
ohne das kindische Apostroph, diesen Stolz des ABCschntzen der Volksschule.
Kein Mensch sagt: eine Anstalt in das Leben rufen, sich auf das be¬
quemste einrichten, sondern ins Leben, aufs bequemste. Warum schreibt
und druckt man nicht so? Hält mans vielleicht für gemein, fiir "plebejisch," für
"vulgär"? O dieser Wahn, daß es eine besondre, höhere, feinere Schreibsprache
gebe im Unterschied vou der Sprechsprache! /

Endlich noch ein weit verbreiteter Fehler, der auch hierher gehört. Wenn
von einer Präposition mehrere Substantiva desselben Geschlechts abhängen und
beim ersten die Verschmelzung mit dem Artikel eingetreten ist, so ist es höchst
anstößig, bei den folgende,? Substantiven den Artikel gewaltsam aus der Ver¬
schmelzung wieder herauszureißen und z. B. zu schreiben: i" gewisser Ent¬
fernung vom Brandplatze oder dem Platze des sonstigen Unglücksfnlles ^ sich
vom Christentum und dessen Sittenlehre" lossagen. Die Verschmelzung vom
wirkt im Sprachgefühl fort auch auf das folgende Wort; man hört also un¬
willkürlich: vom dem Platze, vom den Sittenlehren. In solchen Fällen ist
es unbedingt nötig, entweder die Präposition zu wiederholen, also zu schreiben:
in gewisser Entfernung vom Brandplatze oder vom Platze des sonstigen
Unglücksfalles, oder die Verschmelzung vo" vornherein zu unterlassen und zu
schreiben: von dem Brandplatze oder dem Platze des sonstigen Unglücksfalles.
Das erstere verdient natürlich den Vorzug. Falsch sind also solche Fälle: im
Süden, dem taurischen Gouvernement -- um ersten Tage der Verhandlungen,
dem 15. November; im und am muß hier wiederholt werdeu. Vollends all^
stößig ist es, die Wiederholung der Präposition zu unterlassen, wenn dahinter
der bestimmte Artikel mit dem unbestimmten wechselt, z. B. zur Annahme von
Bestellungen und direkter Erledigung derselben; es muß heißen: zur Annahme
und zu direkter Erledigung.

Ich wende mich zur Flexion des Verbums, um auch da ein Paar Fülle
zu besprechen. Ein recht beschämendes Beispiel der grammatischen Unwissenheit
unsrer Gebildeten ist die Niesenschnelligkeit, womit seit etwa zehn Jahren die
falschen Formen frägt und frug um sich gegriffen haben. Die Sache verhält
sich so. Unsre Zeitwörter mit ag im Stamme zerfallen in zwei Gruppen;
die eine gehört dein starken Verbum an, die andre dem schwachen. Die erste
Gruppe bilden die beiden Verba:

ich trage, du trägst -- ich trug ........... ich habe getragen,
ich schlage, dn schlägst -- ich schlug -- ich habe geschlagen;

sie haben dieselbe Ablautsreihe wie fahre, fuhr, gefahren -- grabe,
grub, gegraben -- wachse, wuchs, gewachsen -- wasche, wusch,
gewaschen u. a. Zur zweiten Gruppe gehören:

ich sage, du sagst -- ich sagte -- ich habe gesagt,
ich jage, dn jagst - ich jagte --- ich habe gejagt,

Allerhand Zpmchdmmnheiteu

Sprache — da festes nicht dran > sondern auch auf dem Papiere; und zwar
ohne das kindische Apostroph, diesen Stolz des ABCschntzen der Volksschule.
Kein Mensch sagt: eine Anstalt in das Leben rufen, sich auf das be¬
quemste einrichten, sondern ins Leben, aufs bequemste. Warum schreibt
und druckt man nicht so? Hält mans vielleicht für gemein, fiir „plebejisch," für
„vulgär"? O dieser Wahn, daß es eine besondre, höhere, feinere Schreibsprache
gebe im Unterschied vou der Sprechsprache! /

Endlich noch ein weit verbreiteter Fehler, der auch hierher gehört. Wenn
von einer Präposition mehrere Substantiva desselben Geschlechts abhängen und
beim ersten die Verschmelzung mit dem Artikel eingetreten ist, so ist es höchst
anstößig, bei den folgende,? Substantiven den Artikel gewaltsam aus der Ver¬
schmelzung wieder herauszureißen und z. B. zu schreiben: i» gewisser Ent¬
fernung vom Brandplatze oder dem Platze des sonstigen Unglücksfnlles ^ sich
vom Christentum und dessen Sittenlehre» lossagen. Die Verschmelzung vom
wirkt im Sprachgefühl fort auch auf das folgende Wort; man hört also un¬
willkürlich: vom dem Platze, vom den Sittenlehren. In solchen Fällen ist
es unbedingt nötig, entweder die Präposition zu wiederholen, also zu schreiben:
in gewisser Entfernung vom Brandplatze oder vom Platze des sonstigen
Unglücksfalles, oder die Verschmelzung vo» vornherein zu unterlassen und zu
schreiben: von dem Brandplatze oder dem Platze des sonstigen Unglücksfalles.
Das erstere verdient natürlich den Vorzug. Falsch sind also solche Fälle: im
Süden, dem taurischen Gouvernement — um ersten Tage der Verhandlungen,
dem 15. November; im und am muß hier wiederholt werdeu. Vollends all^
stößig ist es, die Wiederholung der Präposition zu unterlassen, wenn dahinter
der bestimmte Artikel mit dem unbestimmten wechselt, z. B. zur Annahme von
Bestellungen und direkter Erledigung derselben; es muß heißen: zur Annahme
und zu direkter Erledigung.

Ich wende mich zur Flexion des Verbums, um auch da ein Paar Fülle
zu besprechen. Ein recht beschämendes Beispiel der grammatischen Unwissenheit
unsrer Gebildeten ist die Niesenschnelligkeit, womit seit etwa zehn Jahren die
falschen Formen frägt und frug um sich gegriffen haben. Die Sache verhält
sich so. Unsre Zeitwörter mit ag im Stamme zerfallen in zwei Gruppen;
die eine gehört dein starken Verbum an, die andre dem schwachen. Die erste
Gruppe bilden die beiden Verba:

ich trage, du trägst — ich trug ........... ich habe getragen,
ich schlage, dn schlägst — ich schlug — ich habe geschlagen;

sie haben dieselbe Ablautsreihe wie fahre, fuhr, gefahren — grabe,
grub, gegraben — wachse, wuchs, gewachsen — wasche, wusch,
gewaschen u. a. Zur zweiten Gruppe gehören:

ich sage, du sagst — ich sagte — ich habe gesagt,
ich jage, dn jagst - ich jagte —- ich habe gejagt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0528" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206527"/>
          <fw type="header" place="top"> Allerhand Zpmchdmmnheiteu</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1778" prev="#ID_1777"> Sprache &#x2014; da festes nicht dran &gt; sondern auch auf dem Papiere; und zwar<lb/>
ohne das kindische Apostroph, diesen Stolz des ABCschntzen der Volksschule.<lb/>
Kein Mensch sagt: eine Anstalt in das Leben rufen, sich auf das be¬<lb/>
quemste einrichten, sondern ins Leben, aufs bequemste. Warum schreibt<lb/>
und druckt man nicht so? Hält mans vielleicht für gemein, fiir &#x201E;plebejisch," für<lb/>
&#x201E;vulgär"? O dieser Wahn, daß es eine besondre, höhere, feinere Schreibsprache<lb/>
gebe im Unterschied vou der Sprechsprache! /</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1779"> Endlich noch ein weit verbreiteter Fehler, der auch hierher gehört. Wenn<lb/>
von einer Präposition mehrere Substantiva desselben Geschlechts abhängen und<lb/>
beim ersten die Verschmelzung mit dem Artikel eingetreten ist, so ist es höchst<lb/>
anstößig, bei den folgende,? Substantiven den Artikel gewaltsam aus der Ver¬<lb/>
schmelzung wieder herauszureißen und z. B. zu schreiben: i» gewisser Ent¬<lb/>
fernung vom Brandplatze oder dem Platze des sonstigen Unglücksfnlles ^ sich<lb/>
vom Christentum und dessen Sittenlehre» lossagen. Die Verschmelzung vom<lb/>
wirkt im Sprachgefühl fort auch auf das folgende Wort; man hört also un¬<lb/>
willkürlich: vom dem Platze, vom den Sittenlehren. In solchen Fällen ist<lb/>
es unbedingt nötig, entweder die Präposition zu wiederholen, also zu schreiben:<lb/>
in gewisser Entfernung vom Brandplatze oder vom Platze des sonstigen<lb/>
Unglücksfalles, oder die Verschmelzung vo» vornherein zu unterlassen und zu<lb/>
schreiben: von dem Brandplatze oder dem Platze des sonstigen Unglücksfalles.<lb/>
Das erstere verdient natürlich den Vorzug. Falsch sind also solche Fälle: im<lb/>
Süden, dem taurischen Gouvernement &#x2014; um ersten Tage der Verhandlungen,<lb/>
dem 15. November; im und am muß hier wiederholt werdeu. Vollends all^<lb/>
stößig ist es, die Wiederholung der Präposition zu unterlassen, wenn dahinter<lb/>
der bestimmte Artikel mit dem unbestimmten wechselt, z. B. zur Annahme von<lb/>
Bestellungen und direkter Erledigung derselben; es muß heißen: zur Annahme<lb/>
und zu direkter Erledigung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1780" next="#ID_1781"> Ich wende mich zur Flexion des Verbums, um auch da ein Paar Fülle<lb/>
zu besprechen. Ein recht beschämendes Beispiel der grammatischen Unwissenheit<lb/>
unsrer Gebildeten ist die Niesenschnelligkeit, womit seit etwa zehn Jahren die<lb/>
falschen Formen frägt und frug um sich gegriffen haben. Die Sache verhält<lb/>
sich so. Unsre Zeitwörter mit ag im Stamme zerfallen in zwei Gruppen;<lb/>
die eine gehört dein starken Verbum an, die andre dem schwachen. Die erste<lb/>
Gruppe bilden die beiden Verba:</p><lb/>
          <list>
            <item> ich trage, du trägst &#x2014; ich trug ...........   ich habe getragen,</item>
            <item> ich schlage, dn schlägst &#x2014; ich schlug &#x2014; ich habe geschlagen;</item>
          </list><lb/>
          <p xml:id="ID_1781" prev="#ID_1780" next="#ID_1782"> sie haben dieselbe Ablautsreihe wie fahre, fuhr, gefahren &#x2014; grabe,<lb/>
grub, gegraben &#x2014; wachse, wuchs, gewachsen &#x2014; wasche, wusch,<lb/>
gewaschen u. a.  Zur zweiten Gruppe gehören:</p><lb/>
          <list>
            <item> ich sage, du sagst &#x2014; ich sagte &#x2014; ich habe gesagt,</item>
            <item> ich jage, dn jagst -  ich jagte &#x2014;- ich habe gejagt,</item>
          </list><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0528] Allerhand Zpmchdmmnheiteu Sprache — da festes nicht dran > sondern auch auf dem Papiere; und zwar ohne das kindische Apostroph, diesen Stolz des ABCschntzen der Volksschule. Kein Mensch sagt: eine Anstalt in das Leben rufen, sich auf das be¬ quemste einrichten, sondern ins Leben, aufs bequemste. Warum schreibt und druckt man nicht so? Hält mans vielleicht für gemein, fiir „plebejisch," für „vulgär"? O dieser Wahn, daß es eine besondre, höhere, feinere Schreibsprache gebe im Unterschied vou der Sprechsprache! / Endlich noch ein weit verbreiteter Fehler, der auch hierher gehört. Wenn von einer Präposition mehrere Substantiva desselben Geschlechts abhängen und beim ersten die Verschmelzung mit dem Artikel eingetreten ist, so ist es höchst anstößig, bei den folgende,? Substantiven den Artikel gewaltsam aus der Ver¬ schmelzung wieder herauszureißen und z. B. zu schreiben: i» gewisser Ent¬ fernung vom Brandplatze oder dem Platze des sonstigen Unglücksfnlles ^ sich vom Christentum und dessen Sittenlehre» lossagen. Die Verschmelzung vom wirkt im Sprachgefühl fort auch auf das folgende Wort; man hört also un¬ willkürlich: vom dem Platze, vom den Sittenlehren. In solchen Fällen ist es unbedingt nötig, entweder die Präposition zu wiederholen, also zu schreiben: in gewisser Entfernung vom Brandplatze oder vom Platze des sonstigen Unglücksfalles, oder die Verschmelzung vo» vornherein zu unterlassen und zu schreiben: von dem Brandplatze oder dem Platze des sonstigen Unglücksfalles. Das erstere verdient natürlich den Vorzug. Falsch sind also solche Fälle: im Süden, dem taurischen Gouvernement — um ersten Tage der Verhandlungen, dem 15. November; im und am muß hier wiederholt werdeu. Vollends all^ stößig ist es, die Wiederholung der Präposition zu unterlassen, wenn dahinter der bestimmte Artikel mit dem unbestimmten wechselt, z. B. zur Annahme von Bestellungen und direkter Erledigung derselben; es muß heißen: zur Annahme und zu direkter Erledigung. Ich wende mich zur Flexion des Verbums, um auch da ein Paar Fülle zu besprechen. Ein recht beschämendes Beispiel der grammatischen Unwissenheit unsrer Gebildeten ist die Niesenschnelligkeit, womit seit etwa zehn Jahren die falschen Formen frägt und frug um sich gegriffen haben. Die Sache verhält sich so. Unsre Zeitwörter mit ag im Stamme zerfallen in zwei Gruppen; die eine gehört dein starken Verbum an, die andre dem schwachen. Die erste Gruppe bilden die beiden Verba: ich trage, du trägst — ich trug ........... ich habe getragen, ich schlage, dn schlägst — ich schlug — ich habe geschlagen; sie haben dieselbe Ablautsreihe wie fahre, fuhr, gefahren — grabe, grub, gegraben — wachse, wuchs, gewachsen — wasche, wusch, gewaschen u. a. Zur zweiten Gruppe gehören: ich sage, du sagst — ich sagte — ich habe gesagt, ich jage, dn jagst - ich jagte —- ich habe gejagt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/528
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/528>, abgerufen am 22.12.2024.