Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Allerhand Sprachdummheilen

Gefühl verloren. Komme mir niemand mit dem Einwände, solche Verbin¬
dungen fänden sich bei den "besten Schriftstellern," sogar bei unsern "Klassikern."
Ein gemeiner Sprachfehler wird nicht um ein Haar besser, weil er sich ge¬
legentlich auch bei unsern "Klassikern" findet. Ein guter Schriftsteller ist
maßgebend, wo er gut und richtig schreibt; wo er falsch schreibt, kann er so
wenig massgebend sein wie ein beliebiger subter.

Eine klägliche Unsicherheit herrscht darüber, in welchen Fällen der Artikel
mit einer vorausgehenden Präposition verschmolzen werden muß, und in
welchen Füllen das nicht geschehen darf, wann es also heißen muß: zum, im,
aufs, ins (oder, wenn denn jemand ohne Apostroph nicht leben kann, auf's,
in's -- vielleicht mich zu'in, i'in?), und wann zu dem, in dem, auf das,
in das. Und doch ist die Sache so überaus einfach und selbstverstündl Der
bestimmte Artikel der, die, das hat ursprünglich demonstrativen Sinn, er be¬
deutet dasselbe wie dieser, diese, dieses, oder wie das herrliche Kanzlei-
"ut Zeitnngswort derjenige, diejenige, dasjenige. In dieser Bedeutung
wird er ja auch noch täglich gebraucht, er wird dann betont, auch gedehnt
gesprochen (man nehme nur seine Ohren zu Hilfe, und nicht immer bloß
die Augen!), während er als bloßer Artikel unbetont bleibt und kurz gesprochen
wird. Nun ist es doch selbstverständlich, daß die Verschmelzung mit der
Präposition nur da eintreten kann, wo der wirkliche Artikel vorliegt. Ver¬
schlungen oder verschluckt werdeu kauu nur ein Wort, das keinen Ton hat.
Es ist also ganz richtig, zusagen: Du wirst schon noch zur Einsicht kommen,
wen" gemeint ist: zur Einsicht überhaupt, zur Einsicht schlechthin. Sowie aber
durch einen nachfolgenden Jnhnltssatz eine bestimmte Einsicht näher bezeichnet
wird, ist es klar, daß der Artikel dann einen Rest seiner ursprünglichen demon¬
strativen Kraft bewahrt hat, und dann kann von einer Verschlingung mit der
Präposition keine Rede mehr sein. Es kann also nnr heißen: Als er nach Jahren
zu der Einsicht kam, daß er nicht zum Künstler geboren sei. Und doch muß
'"an täglich so fehlerhafte Satze lesen, wie: Die Bauern sind zum Bewußt¬
en, gekommen, daß sie auf weitere Schenkung von Grund und Boden nicht
rechnen können -- man kam zur Überzeugung, daß mit den glühenden
Farben des Glases die Wirkung eines Staffeleibildes nicht zu erreichen sei --
die Begleichung seiner Landsleute mit den Deutschen von ehemals führte
Melanchthon zur Erklärung, daß die Deutschen leider ihren Vorfahren un¬
ähnlich geworden seien -- folgende Erwägung führt zur Vermutung, daß
die Ohnmacht Gretchens in der Kirche einem geschichtlichen Fall nachgebildet sei --
er stand im Rufe, es mit der klerikalen Partei zu halten. In alleu diese"
Fällen ist die Verschmelzung der Präposition mit dem Artikel ein grober
Fehler. Es ist unbegreiflich, wie jemand das Gefühl für so etwas verlieren
kaun. Wo dagegen wirklich der bloße Artikel vorliegt, da sollte nun aber auch
überall die Verschmelzung vorgenommen werden, nicht bloß in der lebendigen


Allerhand Sprachdummheilen

Gefühl verloren. Komme mir niemand mit dem Einwände, solche Verbin¬
dungen fänden sich bei den „besten Schriftstellern," sogar bei unsern „Klassikern."
Ein gemeiner Sprachfehler wird nicht um ein Haar besser, weil er sich ge¬
legentlich auch bei unsern „Klassikern" findet. Ein guter Schriftsteller ist
maßgebend, wo er gut und richtig schreibt; wo er falsch schreibt, kann er so
wenig massgebend sein wie ein beliebiger subter.

Eine klägliche Unsicherheit herrscht darüber, in welchen Fällen der Artikel
mit einer vorausgehenden Präposition verschmolzen werden muß, und in
welchen Füllen das nicht geschehen darf, wann es also heißen muß: zum, im,
aufs, ins (oder, wenn denn jemand ohne Apostroph nicht leben kann, auf's,
in's — vielleicht mich zu'in, i'in?), und wann zu dem, in dem, auf das,
in das. Und doch ist die Sache so überaus einfach und selbstverstündl Der
bestimmte Artikel der, die, das hat ursprünglich demonstrativen Sinn, er be¬
deutet dasselbe wie dieser, diese, dieses, oder wie das herrliche Kanzlei-
"ut Zeitnngswort derjenige, diejenige, dasjenige. In dieser Bedeutung
wird er ja auch noch täglich gebraucht, er wird dann betont, auch gedehnt
gesprochen (man nehme nur seine Ohren zu Hilfe, und nicht immer bloß
die Augen!), während er als bloßer Artikel unbetont bleibt und kurz gesprochen
wird. Nun ist es doch selbstverständlich, daß die Verschmelzung mit der
Präposition nur da eintreten kann, wo der wirkliche Artikel vorliegt. Ver¬
schlungen oder verschluckt werdeu kauu nur ein Wort, das keinen Ton hat.
Es ist also ganz richtig, zusagen: Du wirst schon noch zur Einsicht kommen,
wen» gemeint ist: zur Einsicht überhaupt, zur Einsicht schlechthin. Sowie aber
durch einen nachfolgenden Jnhnltssatz eine bestimmte Einsicht näher bezeichnet
wird, ist es klar, daß der Artikel dann einen Rest seiner ursprünglichen demon¬
strativen Kraft bewahrt hat, und dann kann von einer Verschlingung mit der
Präposition keine Rede mehr sein. Es kann also nnr heißen: Als er nach Jahren
zu der Einsicht kam, daß er nicht zum Künstler geboren sei. Und doch muß
'"an täglich so fehlerhafte Satze lesen, wie: Die Bauern sind zum Bewußt¬
en, gekommen, daß sie auf weitere Schenkung von Grund und Boden nicht
rechnen können — man kam zur Überzeugung, daß mit den glühenden
Farben des Glases die Wirkung eines Staffeleibildes nicht zu erreichen sei —
die Begleichung seiner Landsleute mit den Deutschen von ehemals führte
Melanchthon zur Erklärung, daß die Deutschen leider ihren Vorfahren un¬
ähnlich geworden seien — folgende Erwägung führt zur Vermutung, daß
die Ohnmacht Gretchens in der Kirche einem geschichtlichen Fall nachgebildet sei —
er stand im Rufe, es mit der klerikalen Partei zu halten. In alleu diese»
Fällen ist die Verschmelzung der Präposition mit dem Artikel ein grober
Fehler. Es ist unbegreiflich, wie jemand das Gefühl für so etwas verlieren
kaun. Wo dagegen wirklich der bloße Artikel vorliegt, da sollte nun aber auch
überall die Verschmelzung vorgenommen werden, nicht bloß in der lebendigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206526"/>
          <fw type="header" place="top"> Allerhand Sprachdummheilen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1776" prev="#ID_1775"> Gefühl verloren. Komme mir niemand mit dem Einwände, solche Verbin¬<lb/>
dungen fänden sich bei den &#x201E;besten Schriftstellern," sogar bei unsern &#x201E;Klassikern."<lb/>
Ein gemeiner Sprachfehler wird nicht um ein Haar besser, weil er sich ge¬<lb/>
legentlich auch bei unsern &#x201E;Klassikern" findet. Ein guter Schriftsteller ist<lb/>
maßgebend, wo er gut und richtig schreibt; wo er falsch schreibt, kann er so<lb/>
wenig massgebend sein wie ein beliebiger subter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1777" next="#ID_1778"> Eine klägliche Unsicherheit herrscht darüber, in welchen Fällen der Artikel<lb/>
mit einer vorausgehenden Präposition verschmolzen werden muß, und in<lb/>
welchen Füllen das nicht geschehen darf, wann es also heißen muß: zum, im,<lb/>
aufs, ins (oder, wenn denn jemand ohne Apostroph nicht leben kann, auf's,<lb/>
in's &#x2014; vielleicht mich zu'in, i'in?), und wann zu dem, in dem, auf das,<lb/>
in das. Und doch ist die Sache so überaus einfach und selbstverstündl Der<lb/>
bestimmte Artikel der, die, das hat ursprünglich demonstrativen Sinn, er be¬<lb/>
deutet dasselbe wie dieser, diese, dieses, oder wie das herrliche Kanzlei-<lb/>
"ut Zeitnngswort derjenige, diejenige, dasjenige. In dieser Bedeutung<lb/>
wird er ja auch noch täglich gebraucht, er wird dann betont, auch gedehnt<lb/>
gesprochen (man nehme nur seine Ohren zu Hilfe, und nicht immer bloß<lb/>
die Augen!), während er als bloßer Artikel unbetont bleibt und kurz gesprochen<lb/>
wird. Nun ist es doch selbstverständlich, daß die Verschmelzung mit der<lb/>
Präposition nur da eintreten kann, wo der wirkliche Artikel vorliegt. Ver¬<lb/>
schlungen oder verschluckt werdeu kauu nur ein Wort, das keinen Ton hat.<lb/>
Es ist also ganz richtig, zusagen: Du wirst schon noch zur Einsicht kommen,<lb/>
wen» gemeint ist: zur Einsicht überhaupt, zur Einsicht schlechthin. Sowie aber<lb/>
durch einen nachfolgenden Jnhnltssatz eine bestimmte Einsicht näher bezeichnet<lb/>
wird, ist es klar, daß der Artikel dann einen Rest seiner ursprünglichen demon¬<lb/>
strativen Kraft bewahrt hat, und dann kann von einer Verschlingung mit der<lb/>
Präposition keine Rede mehr sein. Es kann also nnr heißen: Als er nach Jahren<lb/>
zu der Einsicht kam, daß er nicht zum Künstler geboren sei. Und doch muß<lb/>
'"an täglich so fehlerhafte Satze lesen, wie: Die Bauern sind zum Bewußt¬<lb/>
en, gekommen, daß sie auf weitere Schenkung von Grund und Boden nicht<lb/>
rechnen können &#x2014; man kam zur Überzeugung, daß mit den glühenden<lb/>
Farben des Glases die Wirkung eines Staffeleibildes nicht zu erreichen sei &#x2014;<lb/>
die Begleichung seiner Landsleute mit den Deutschen von ehemals führte<lb/>
Melanchthon zur Erklärung, daß die Deutschen leider ihren Vorfahren un¬<lb/>
ähnlich geworden seien &#x2014; folgende Erwägung führt zur Vermutung, daß<lb/>
die Ohnmacht Gretchens in der Kirche einem geschichtlichen Fall nachgebildet sei &#x2014;<lb/>
er stand im Rufe, es mit der klerikalen Partei zu halten. In alleu diese»<lb/>
Fällen ist die Verschmelzung der Präposition mit dem Artikel ein grober<lb/>
Fehler. Es ist unbegreiflich, wie jemand das Gefühl für so etwas verlieren<lb/>
kaun. Wo dagegen wirklich der bloße Artikel vorliegt, da sollte nun aber auch<lb/>
überall die Verschmelzung vorgenommen werden, nicht bloß in der lebendigen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0527] Allerhand Sprachdummheilen Gefühl verloren. Komme mir niemand mit dem Einwände, solche Verbin¬ dungen fänden sich bei den „besten Schriftstellern," sogar bei unsern „Klassikern." Ein gemeiner Sprachfehler wird nicht um ein Haar besser, weil er sich ge¬ legentlich auch bei unsern „Klassikern" findet. Ein guter Schriftsteller ist maßgebend, wo er gut und richtig schreibt; wo er falsch schreibt, kann er so wenig massgebend sein wie ein beliebiger subter. Eine klägliche Unsicherheit herrscht darüber, in welchen Fällen der Artikel mit einer vorausgehenden Präposition verschmolzen werden muß, und in welchen Füllen das nicht geschehen darf, wann es also heißen muß: zum, im, aufs, ins (oder, wenn denn jemand ohne Apostroph nicht leben kann, auf's, in's — vielleicht mich zu'in, i'in?), und wann zu dem, in dem, auf das, in das. Und doch ist die Sache so überaus einfach und selbstverstündl Der bestimmte Artikel der, die, das hat ursprünglich demonstrativen Sinn, er be¬ deutet dasselbe wie dieser, diese, dieses, oder wie das herrliche Kanzlei- "ut Zeitnngswort derjenige, diejenige, dasjenige. In dieser Bedeutung wird er ja auch noch täglich gebraucht, er wird dann betont, auch gedehnt gesprochen (man nehme nur seine Ohren zu Hilfe, und nicht immer bloß die Augen!), während er als bloßer Artikel unbetont bleibt und kurz gesprochen wird. Nun ist es doch selbstverständlich, daß die Verschmelzung mit der Präposition nur da eintreten kann, wo der wirkliche Artikel vorliegt. Ver¬ schlungen oder verschluckt werdeu kauu nur ein Wort, das keinen Ton hat. Es ist also ganz richtig, zusagen: Du wirst schon noch zur Einsicht kommen, wen» gemeint ist: zur Einsicht überhaupt, zur Einsicht schlechthin. Sowie aber durch einen nachfolgenden Jnhnltssatz eine bestimmte Einsicht näher bezeichnet wird, ist es klar, daß der Artikel dann einen Rest seiner ursprünglichen demon¬ strativen Kraft bewahrt hat, und dann kann von einer Verschlingung mit der Präposition keine Rede mehr sein. Es kann also nnr heißen: Als er nach Jahren zu der Einsicht kam, daß er nicht zum Künstler geboren sei. Und doch muß '"an täglich so fehlerhafte Satze lesen, wie: Die Bauern sind zum Bewußt¬ en, gekommen, daß sie auf weitere Schenkung von Grund und Boden nicht rechnen können — man kam zur Überzeugung, daß mit den glühenden Farben des Glases die Wirkung eines Staffeleibildes nicht zu erreichen sei — die Begleichung seiner Landsleute mit den Deutschen von ehemals führte Melanchthon zur Erklärung, daß die Deutschen leider ihren Vorfahren un¬ ähnlich geworden seien — folgende Erwägung führt zur Vermutung, daß die Ohnmacht Gretchens in der Kirche einem geschichtlichen Fall nachgebildet sei — er stand im Rufe, es mit der klerikalen Partei zu halten. In alleu diese» Fällen ist die Verschmelzung der Präposition mit dem Artikel ein grober Fehler. Es ist unbegreiflich, wie jemand das Gefühl für so etwas verlieren kaun. Wo dagegen wirklich der bloße Artikel vorliegt, da sollte nun aber auch überall die Verschmelzung vorgenommen werden, nicht bloß in der lebendigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/527
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/527>, abgerufen am 02.07.2024.