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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdnmmheiten

Aber sollte Mans für möglich halte", daß selbst im Gebrauche des Artikels
grobe Fehler im Schwange sind? Da ist zunächst die abscheuliche Nachlässig¬
keit, mehrere Personen oder Gegenstände von gleichem Genus und numerus
unter einem Artikel unterzubringen, also zu schreiben: das alte und neue
Buchhändlerheim -- die Zustimmung des Bundesrates und Reichs¬
kanzlers eine Sitzung des Ban-, Ökonomie- und Finanzaus¬
schusses -- der deutsche Handel war bedeutender als der englische und
amerikanische zusammen -- ein Ausflug nach dein süßen und salzigen
See. Doppelt störend wird diese Nachlässigkeit, wenn durch das im Plural
stehende Prädikat oder auf irgend eine andre Weise noch besonders fühlbar
gemacht wird, daß sichs um mehrere Personen oder Dinge handelt, wie: der
lyrische und epische Dichter bedürfen dieses Mittels nicht -- an der
Nordseite befinden sich der Dresdner, Magdeburger, Thüringer nud
Berliner Bahnhof -- zwischen dem 13. und 15. Grade südlicher Breite --
der Unterschied zwischen der Bedeutung der kirchlichen und staatlichen
Einrichtungen. In allen diesen Fällen muß unbedingt der Artikel wiederholt
werden. Denn wie kauu ein Buchhnudlerheim zugleich alt und neu, ein See
zugleich süß und salzig, ein Grad zugleich der 13. nud der 15, sein? Wer
soll erraten, daß der Bau-, Ökonomie- und Finanzausschuß drei verschiedne
Ausschüsse sind? Der König von Preußen und Kaiser von Deutsch¬
land -- das ist richtig, denn beide sind ein und dieselbe Person.

Doch es handelt, sich hier mehr um einen Verstoß gegen den Satzbau.
Ein ganz gemeiner Formfehler aber ist es, eine Lüderlichkeit, die einen Stumpf¬
sinn ohne gleichen verrät, ein Femininum und einen Plural nnter ein und
demselben Artikel unterzubringen. Und doch muß man täglich auch solche
Roheiten lesen, wie: die Höhe und Formen des Gitters -- die Siche¬
rung der Post "ud Transporte -- die Gegner der deutschen Land¬
wirtschaft und Getreidezölle -- eine Preisfrage ans dem Gebiete d<>r
Mathematik und Naturwissenschaften -- die Angabe derBevölteruugs-
dichtigkeit und Temperaturverhältnisse - - trotz der papistischen Ge¬
sinnung und Bestrebungen des Herzogs Georg -- Geschichte der
Seuchen, Hungers- nud Kriegsnvt im dreißigjährigen Kriege (gleich
auf dem Titelblatt eines soeben erschienenen Buches!). (Auch beim besitz¬
anzeigenden Adjektiv statt des Artikels kommt der Fehler massenhaft vor, z. B.
die karolingische Pfalz zu Aachen, eine Untersuchung ihrer Lage und Bau¬
werke.) Es ist das eins der kläglichsten Beispiele der herrschenden Papier¬
sprache, in der nicht nach Sinn und Klang, sondern nnr nach dem Lautbilde
des einzelnen Wortes gefragt wird. Die ^ der -- das ist für den Papier-
meuschen nichts weiter als ein Aggregat von drei Buchstaben: d--i--e, d--e--r.-
Daß diese drei Buchstaben das einemal das Femininum im Singular, das
andremal den Plnrnl bezeichnen, ist ihm ganz gleichgiltig, dafür hat er alles


Allerhand Sprachdnmmheiten

Aber sollte Mans für möglich halte», daß selbst im Gebrauche des Artikels
grobe Fehler im Schwange sind? Da ist zunächst die abscheuliche Nachlässig¬
keit, mehrere Personen oder Gegenstände von gleichem Genus und numerus
unter einem Artikel unterzubringen, also zu schreiben: das alte und neue
Buchhändlerheim — die Zustimmung des Bundesrates und Reichs¬
kanzlers eine Sitzung des Ban-, Ökonomie- und Finanzaus¬
schusses — der deutsche Handel war bedeutender als der englische und
amerikanische zusammen — ein Ausflug nach dein süßen und salzigen
See. Doppelt störend wird diese Nachlässigkeit, wenn durch das im Plural
stehende Prädikat oder auf irgend eine andre Weise noch besonders fühlbar
gemacht wird, daß sichs um mehrere Personen oder Dinge handelt, wie: der
lyrische und epische Dichter bedürfen dieses Mittels nicht — an der
Nordseite befinden sich der Dresdner, Magdeburger, Thüringer nud
Berliner Bahnhof — zwischen dem 13. und 15. Grade südlicher Breite —
der Unterschied zwischen der Bedeutung der kirchlichen und staatlichen
Einrichtungen. In allen diesen Fällen muß unbedingt der Artikel wiederholt
werden. Denn wie kauu ein Buchhnudlerheim zugleich alt und neu, ein See
zugleich süß und salzig, ein Grad zugleich der 13. nud der 15, sein? Wer
soll erraten, daß der Bau-, Ökonomie- und Finanzausschuß drei verschiedne
Ausschüsse sind? Der König von Preußen und Kaiser von Deutsch¬
land — das ist richtig, denn beide sind ein und dieselbe Person.

Doch es handelt, sich hier mehr um einen Verstoß gegen den Satzbau.
Ein ganz gemeiner Formfehler aber ist es, eine Lüderlichkeit, die einen Stumpf¬
sinn ohne gleichen verrät, ein Femininum und einen Plural nnter ein und
demselben Artikel unterzubringen. Und doch muß man täglich auch solche
Roheiten lesen, wie: die Höhe und Formen des Gitters — die Siche¬
rung der Post »ud Transporte — die Gegner der deutschen Land¬
wirtschaft und Getreidezölle — eine Preisfrage ans dem Gebiete d<>r
Mathematik und Naturwissenschaften — die Angabe derBevölteruugs-
dichtigkeit und Temperaturverhältnisse - - trotz der papistischen Ge¬
sinnung und Bestrebungen des Herzogs Georg — Geschichte der
Seuchen, Hungers- nud Kriegsnvt im dreißigjährigen Kriege (gleich
auf dem Titelblatt eines soeben erschienenen Buches!). (Auch beim besitz¬
anzeigenden Adjektiv statt des Artikels kommt der Fehler massenhaft vor, z. B.
die karolingische Pfalz zu Aachen, eine Untersuchung ihrer Lage und Bau¬
werke.) Es ist das eins der kläglichsten Beispiele der herrschenden Papier¬
sprache, in der nicht nach Sinn und Klang, sondern nnr nach dem Lautbilde
des einzelnen Wortes gefragt wird. Die ^ der — das ist für den Papier-
meuschen nichts weiter als ein Aggregat von drei Buchstaben: d—i—e, d—e—r.-
Daß diese drei Buchstaben das einemal das Femininum im Singular, das
andremal den Plnrnl bezeichnen, ist ihm ganz gleichgiltig, dafür hat er alles


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[0526] Allerhand Sprachdnmmheiten Aber sollte Mans für möglich halte», daß selbst im Gebrauche des Artikels grobe Fehler im Schwange sind? Da ist zunächst die abscheuliche Nachlässig¬ keit, mehrere Personen oder Gegenstände von gleichem Genus und numerus unter einem Artikel unterzubringen, also zu schreiben: das alte und neue Buchhändlerheim — die Zustimmung des Bundesrates und Reichs¬ kanzlers eine Sitzung des Ban-, Ökonomie- und Finanzaus¬ schusses — der deutsche Handel war bedeutender als der englische und amerikanische zusammen — ein Ausflug nach dein süßen und salzigen See. Doppelt störend wird diese Nachlässigkeit, wenn durch das im Plural stehende Prädikat oder auf irgend eine andre Weise noch besonders fühlbar gemacht wird, daß sichs um mehrere Personen oder Dinge handelt, wie: der lyrische und epische Dichter bedürfen dieses Mittels nicht — an der Nordseite befinden sich der Dresdner, Magdeburger, Thüringer nud Berliner Bahnhof — zwischen dem 13. und 15. Grade südlicher Breite — der Unterschied zwischen der Bedeutung der kirchlichen und staatlichen Einrichtungen. In allen diesen Fällen muß unbedingt der Artikel wiederholt werden. Denn wie kauu ein Buchhnudlerheim zugleich alt und neu, ein See zugleich süß und salzig, ein Grad zugleich der 13. nud der 15, sein? Wer soll erraten, daß der Bau-, Ökonomie- und Finanzausschuß drei verschiedne Ausschüsse sind? Der König von Preußen und Kaiser von Deutsch¬ land — das ist richtig, denn beide sind ein und dieselbe Person. Doch es handelt, sich hier mehr um einen Verstoß gegen den Satzbau. Ein ganz gemeiner Formfehler aber ist es, eine Lüderlichkeit, die einen Stumpf¬ sinn ohne gleichen verrät, ein Femininum und einen Plural nnter ein und demselben Artikel unterzubringen. Und doch muß man täglich auch solche Roheiten lesen, wie: die Höhe und Formen des Gitters — die Siche¬ rung der Post »ud Transporte — die Gegner der deutschen Land¬ wirtschaft und Getreidezölle — eine Preisfrage ans dem Gebiete d<>r Mathematik und Naturwissenschaften — die Angabe derBevölteruugs- dichtigkeit und Temperaturverhältnisse - - trotz der papistischen Ge¬ sinnung und Bestrebungen des Herzogs Georg — Geschichte der Seuchen, Hungers- nud Kriegsnvt im dreißigjährigen Kriege (gleich auf dem Titelblatt eines soeben erschienenen Buches!). (Auch beim besitz¬ anzeigenden Adjektiv statt des Artikels kommt der Fehler massenhaft vor, z. B. die karolingische Pfalz zu Aachen, eine Untersuchung ihrer Lage und Bau¬ werke.) Es ist das eins der kläglichsten Beispiele der herrschenden Papier¬ sprache, in der nicht nach Sinn und Klang, sondern nnr nach dem Lautbilde des einzelnen Wortes gefragt wird. Die ^ der — das ist für den Papier- meuschen nichts weiter als ein Aggregat von drei Buchstaben: d—i—e, d—e—r.- Daß diese drei Buchstaben das einemal das Femininum im Singular, das andremal den Plnrnl bezeichnen, ist ihm ganz gleichgiltig, dafür hat er alles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/526>, abgerufen am 22.12.2024.