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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle und Darwin

und zuweilen mit köstlicher Ironie beleuchtet hatte. Möge wenigstens ein
Sätzchen aus seiner "Medizinischen Psychologie" hier Platz finden: "Dieselben
Schriftsteller, welche die Trennung von Körper und Geist als eine unstatthafte
Zersplitterung der Welt betrachten, haben selten etwas dawider einzuwenden,
daß der Weltlauf überhaupt planlos sei, und das jedes Ereignis, jedes Erzeugnis
desselben nur ->. lor^o durch die nachwirkende Gewalt seiner vorangehenden
Bedingungen in das Leere hinnnsgeschoben werde, ohne dnrch eine Macht, die
es i>. l'mento bewegt, mit allen andern nach einem gemeinsamen Ziele hingezogen
zu werden."

Darwin war, wie wir gesehen haben, an diesen Verirrungen nicht schuld.
Er würde sich über mögliche metaphysische Folgerungen ans seiner Lehre über¬
haupt nicht ausgesprochen haben, wenn er nicht durch Angriffe und Anfragen
gezwungen worden wäre, die ihn Peinigten, und die daher ungezogen und
lieblos erscheinen. Nur eines, scheint mir, wozu keinerlei Nötigung vorlag,
hätte er lieber ungeschrieben lassen sollen: Die erste^Hälfte des Buches "Die
Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl," oder wenigstens
jene Schilderung unsrer angeblichen Vorfahren, die er von Seite 15>1 an ent-
wi^l. Abgesehen davon, daß der Stammbamu deS Meuscheu Wohl niemals
mit Sicherheit wird festgestellt werden können, hat seine Ausmalung weder
einen praktischen noch einen theoretischen Zweck. Keinen praktischen, weil wir
schon dumme und viehische Menschen genug haben, und es niemand einfallen
wird, deren Zahl dnrch Nachzucht zu vermehren. Keinen theoretischen, weil
die Tiere, deren eine? vom Schöpfer für das Wunder der Menschenschöpfung
verwendet den sei" mag, Tiere waren wie andre Tiere, und unser guter
Geschmack ohne 'ten Nutzen für die Wissenschaft beleidigt wird, wenn uns als
Ahnen bel'--irte und geschwänzte Scheusale vorgestellt werden, bei denen nach
Darwins ^^.cheruug die Weibchen mit Bärten und die Männchen und Milch¬
drüsen zum Sänge er Jungen Versehen waren.

Mag die Bedeutung Darwins, soweit sie über die Botanik und die
Zoologie hinaufreicht, liegen, wo sie will, darin liegt sie ans keinen Fall, daß
dnrch ihn der alte Atheismus, den David Strauß fälschlich neuen Glauben
genannt hat, endlich einmal die bisher noch vermißte wissenschaftliche Be¬
gründung erhalten hätte. "Wer Gott mitbringt, der findet ihn in der Natur,
und wer ihn nicht mitbringt, der findet ihn nicht," sagt der geistvolle Geologe
Quenstedt. So war es vor Darwin, so ist es auch nach Darwin geblieben,
>nit so wird eS immer bleibe". Wenn Darwin selbst zu Zeiten in einer
mechanisch wirkenden Zuchtwahl einen Ersatz für den Schöpfer zu sehen glaubte,
so lag das daran, daß er nach seinem eignen Geständnis keine Übung im
Philosophischen Denken hatte. Wen" aber das Haupt der deutschen Darwininuer
verkündet: "Darwin setzt also an die Stelle einer bewußten Schöpferkraft eine
Summe von sogenannte" blinden, zweck und Planloo wirkenden Naturkräften,"


Buckle und Darwin

und zuweilen mit köstlicher Ironie beleuchtet hatte. Möge wenigstens ein
Sätzchen aus seiner „Medizinischen Psychologie" hier Platz finden: „Dieselben
Schriftsteller, welche die Trennung von Körper und Geist als eine unstatthafte
Zersplitterung der Welt betrachten, haben selten etwas dawider einzuwenden,
daß der Weltlauf überhaupt planlos sei, und das jedes Ereignis, jedes Erzeugnis
desselben nur ->. lor^o durch die nachwirkende Gewalt seiner vorangehenden
Bedingungen in das Leere hinnnsgeschoben werde, ohne dnrch eine Macht, die
es i>. l'mento bewegt, mit allen andern nach einem gemeinsamen Ziele hingezogen
zu werden."

Darwin war, wie wir gesehen haben, an diesen Verirrungen nicht schuld.
Er würde sich über mögliche metaphysische Folgerungen ans seiner Lehre über¬
haupt nicht ausgesprochen haben, wenn er nicht durch Angriffe und Anfragen
gezwungen worden wäre, die ihn Peinigten, und die daher ungezogen und
lieblos erscheinen. Nur eines, scheint mir, wozu keinerlei Nötigung vorlag,
hätte er lieber ungeschrieben lassen sollen: Die erste^Hälfte des Buches „Die
Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl," oder wenigstens
jene Schilderung unsrer angeblichen Vorfahren, die er von Seite 15>1 an ent-
wi^l. Abgesehen davon, daß der Stammbamu deS Meuscheu Wohl niemals
mit Sicherheit wird festgestellt werden können, hat seine Ausmalung weder
einen praktischen noch einen theoretischen Zweck. Keinen praktischen, weil wir
schon dumme und viehische Menschen genug haben, und es niemand einfallen
wird, deren Zahl dnrch Nachzucht zu vermehren. Keinen theoretischen, weil
die Tiere, deren eine? vom Schöpfer für das Wunder der Menschenschöpfung
verwendet den sei» mag, Tiere waren wie andre Tiere, und unser guter
Geschmack ohne 'ten Nutzen für die Wissenschaft beleidigt wird, wenn uns als
Ahnen bel'--irte und geschwänzte Scheusale vorgestellt werden, bei denen nach
Darwins ^^.cheruug die Weibchen mit Bärten und die Männchen und Milch¬
drüsen zum Sänge er Jungen Versehen waren.

Mag die Bedeutung Darwins, soweit sie über die Botanik und die
Zoologie hinaufreicht, liegen, wo sie will, darin liegt sie ans keinen Fall, daß
dnrch ihn der alte Atheismus, den David Strauß fälschlich neuen Glauben
genannt hat, endlich einmal die bisher noch vermißte wissenschaftliche Be¬
gründung erhalten hätte. „Wer Gott mitbringt, der findet ihn in der Natur,
und wer ihn nicht mitbringt, der findet ihn nicht," sagt der geistvolle Geologe
Quenstedt. So war es vor Darwin, so ist es auch nach Darwin geblieben,
>nit so wird eS immer bleibe». Wenn Darwin selbst zu Zeiten in einer
mechanisch wirkenden Zuchtwahl einen Ersatz für den Schöpfer zu sehen glaubte,
so lag das daran, daß er nach seinem eignen Geständnis keine Übung im
Philosophischen Denken hatte. Wen» aber das Haupt der deutschen Darwininuer
verkündet: „Darwin setzt also an die Stelle einer bewußten Schöpferkraft eine
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[0523] Buckle und Darwin und zuweilen mit köstlicher Ironie beleuchtet hatte. Möge wenigstens ein Sätzchen aus seiner „Medizinischen Psychologie" hier Platz finden: „Dieselben Schriftsteller, welche die Trennung von Körper und Geist als eine unstatthafte Zersplitterung der Welt betrachten, haben selten etwas dawider einzuwenden, daß der Weltlauf überhaupt planlos sei, und das jedes Ereignis, jedes Erzeugnis desselben nur ->. lor^o durch die nachwirkende Gewalt seiner vorangehenden Bedingungen in das Leere hinnnsgeschoben werde, ohne dnrch eine Macht, die es i>. l'mento bewegt, mit allen andern nach einem gemeinsamen Ziele hingezogen zu werden." Darwin war, wie wir gesehen haben, an diesen Verirrungen nicht schuld. Er würde sich über mögliche metaphysische Folgerungen ans seiner Lehre über¬ haupt nicht ausgesprochen haben, wenn er nicht durch Angriffe und Anfragen gezwungen worden wäre, die ihn Peinigten, und die daher ungezogen und lieblos erscheinen. Nur eines, scheint mir, wozu keinerlei Nötigung vorlag, hätte er lieber ungeschrieben lassen sollen: Die erste^Hälfte des Buches „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl," oder wenigstens jene Schilderung unsrer angeblichen Vorfahren, die er von Seite 15>1 an ent- wi^l. Abgesehen davon, daß der Stammbamu deS Meuscheu Wohl niemals mit Sicherheit wird festgestellt werden können, hat seine Ausmalung weder einen praktischen noch einen theoretischen Zweck. Keinen praktischen, weil wir schon dumme und viehische Menschen genug haben, und es niemand einfallen wird, deren Zahl dnrch Nachzucht zu vermehren. Keinen theoretischen, weil die Tiere, deren eine? vom Schöpfer für das Wunder der Menschenschöpfung verwendet den sei» mag, Tiere waren wie andre Tiere, und unser guter Geschmack ohne 'ten Nutzen für die Wissenschaft beleidigt wird, wenn uns als Ahnen bel'--irte und geschwänzte Scheusale vorgestellt werden, bei denen nach Darwins ^^.cheruug die Weibchen mit Bärten und die Männchen und Milch¬ drüsen zum Sänge er Jungen Versehen waren. Mag die Bedeutung Darwins, soweit sie über die Botanik und die Zoologie hinaufreicht, liegen, wo sie will, darin liegt sie ans keinen Fall, daß dnrch ihn der alte Atheismus, den David Strauß fälschlich neuen Glauben genannt hat, endlich einmal die bisher noch vermißte wissenschaftliche Be¬ gründung erhalten hätte. „Wer Gott mitbringt, der findet ihn in der Natur, und wer ihn nicht mitbringt, der findet ihn nicht," sagt der geistvolle Geologe Quenstedt. So war es vor Darwin, so ist es auch nach Darwin geblieben, >nit so wird eS immer bleibe». Wenn Darwin selbst zu Zeiten in einer mechanisch wirkenden Zuchtwahl einen Ersatz für den Schöpfer zu sehen glaubte, so lag das daran, daß er nach seinem eignen Geständnis keine Übung im Philosophischen Denken hatte. Wen» aber das Haupt der deutschen Darwininuer verkündet: „Darwin setzt also an die Stelle einer bewußten Schöpferkraft eine Summe von sogenannte» blinden, zweck und Planloo wirkenden Naturkräften,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/523>, abgerufen am 02.07.2024.