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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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die vor vierzehn Jahren erschienene Schrift in den Kreisen der Naturforscher,
zu denen ich nicht gehöre, gewirkt haben mag, weiß ich nicht; ans den fast
alljährlich wiederkehrenden Proteste" BirchvwS gegen den Leichtsinn, mit dem
die Darwinisten unbewiesene Hypothesen für "uumstößliche Wahrheiten aus¬
geben, sieht man wenigstens so viel, daß sie in Fachkreisen nicht die Allein¬
herrschaft behaupten. An dem uicht fachmännischer Publikum scheint Hartmanns
Buch spurlos vorübergegangen zu sein. Was in Deutschland nicht kirchlich
orthodox ist, strebt nach dem Ruhme darwinischer Rechtgläubigkeit. Für eine
dein Standpunkte der heutigen Forschung angemessene Theorie, die außer den
geläuterten Bestandteilen der Darwinischen kehren auch noch andre Elemente
aufzunehmen hätte, schlägt E. von Hartmann in jener Schrift den Namen
"organische Entwicklungstheorie" vor. EV glaubte schon damals wahrzunehmen,
daß sich die Anhänger der Deseendenzthevrie in Deutschland aus den, Banne
des Darwinismus zu einer dem Volle der Denker mehr entsprechenden Auf¬
fassung hindurchzuarbeiten strebte". "Es dürfte daher, schreibt er in seinem
fremdwörterreichen Deutsch, auch an der Zeit scheinen, den Namen des Dar¬
winismus, der oft in nüßbräuchlicher Weise noch sür einen nicht unwesentlich
modifizirten Thevrienkomplex ans Pietät gegen den Urheber der neuen na!.ur-
philvsvphischen Bewegung und Erregung der Geister festgehalten wird, de, unio
fallen zu lassen." Damit ist er so wenig durchgedrungen, daß vielmehr, wie
kürzlich an dieser Stelle hervorgehoben wurde, der Name Darwins in Deutsch¬
land dazu gemißbraucht wird, alles zu empfehlen, was eine üppig wuchernde
Phantasievvlle Spekulation an kühnen Behauptungen nur immer hervorbringt.

Bor E. von Hartmann hatte schon Darwins Fre'.ut HiEc .eschrieben:
,,Die teleologische und die mechanische Auffassung der Rat?? schließen sich
keineswegs gegenseitig ans. Im Gegenteil, je logischer der Mechanist denkt,
desto sicherer wird er eine ursprüngliche molekulare Anordnung c .,>c-l)inen, die
eben zu dem Zwecke eingerichtet ist, damit daraus d' Erscheinungen des
Weltalls hervorgehe" können." Von Atheismus könne dabei keine Rede sein;
wenn es uicht gegen deu Glauben um Gott verstoße, daß sich ans dem El, das
doch weder ein Hahn noch eine Henne sei, ein Hühnchen entwickle, dann sei
vom gläubigen Standpunkt ans auch gegen die Entwicklung des Weltalls nichts
einzuwenden; eins sei gerade so unerklärlich wie das andre. Ja Darwins
Sohn rechnet sogar die Neubelebung der Teleologie zu den großen Diensten,
die sein Bater der Naturgeschichte geleistet habe. Der Ruhm allerdings, die
unlösbare wechselseitige Abhängigkeit von Mechanismus und Zweck allseitig
dargelegt zu haben, gebührt unserm LvKe, und es erscheint nur als ein be¬
trübender Beweis weitverbreiteter Denkschwäche, daß sich der Urgedanke einer
"gewordenen Zweckmäßigkeit" in Deutschland noch einnisten konnte, nachdem
dieser klare Denker den Widerspruch zwischen der vom Materialismus geforderten
Einheit der Welt und ihrer gleichzeitig behaupteten Planlosigkeit so allseitig


die vor vierzehn Jahren erschienene Schrift in den Kreisen der Naturforscher,
zu denen ich nicht gehöre, gewirkt haben mag, weiß ich nicht; ans den fast
alljährlich wiederkehrenden Proteste» BirchvwS gegen den Leichtsinn, mit dem
die Darwinisten unbewiesene Hypothesen für »uumstößliche Wahrheiten aus¬
geben, sieht man wenigstens so viel, daß sie in Fachkreisen nicht die Allein¬
herrschaft behaupten. An dem uicht fachmännischer Publikum scheint Hartmanns
Buch spurlos vorübergegangen zu sein. Was in Deutschland nicht kirchlich
orthodox ist, strebt nach dem Ruhme darwinischer Rechtgläubigkeit. Für eine
dein Standpunkte der heutigen Forschung angemessene Theorie, die außer den
geläuterten Bestandteilen der Darwinischen kehren auch noch andre Elemente
aufzunehmen hätte, schlägt E. von Hartmann in jener Schrift den Namen
„organische Entwicklungstheorie" vor. EV glaubte schon damals wahrzunehmen,
daß sich die Anhänger der Deseendenzthevrie in Deutschland aus den, Banne
des Darwinismus zu einer dem Volle der Denker mehr entsprechenden Auf¬
fassung hindurchzuarbeiten strebte«. „Es dürfte daher, schreibt er in seinem
fremdwörterreichen Deutsch, auch an der Zeit scheinen, den Namen des Dar¬
winismus, der oft in nüßbräuchlicher Weise noch sür einen nicht unwesentlich
modifizirten Thevrienkomplex ans Pietät gegen den Urheber der neuen na!.ur-
philvsvphischen Bewegung und Erregung der Geister festgehalten wird, de, unio
fallen zu lassen." Damit ist er so wenig durchgedrungen, daß vielmehr, wie
kürzlich an dieser Stelle hervorgehoben wurde, der Name Darwins in Deutsch¬
land dazu gemißbraucht wird, alles zu empfehlen, was eine üppig wuchernde
Phantasievvlle Spekulation an kühnen Behauptungen nur immer hervorbringt.

Bor E. von Hartmann hatte schon Darwins Fre'.ut HiEc .eschrieben:
,,Die teleologische und die mechanische Auffassung der Rat?? schließen sich
keineswegs gegenseitig ans. Im Gegenteil, je logischer der Mechanist denkt,
desto sicherer wird er eine ursprüngliche molekulare Anordnung c .,>c-l)inen, die
eben zu dem Zwecke eingerichtet ist, damit daraus d' Erscheinungen des
Weltalls hervorgehe» können." Von Atheismus könne dabei keine Rede sein;
wenn es uicht gegen deu Glauben um Gott verstoße, daß sich ans dem El, das
doch weder ein Hahn noch eine Henne sei, ein Hühnchen entwickle, dann sei
vom gläubigen Standpunkt ans auch gegen die Entwicklung des Weltalls nichts
einzuwenden; eins sei gerade so unerklärlich wie das andre. Ja Darwins
Sohn rechnet sogar die Neubelebung der Teleologie zu den großen Diensten,
die sein Bater der Naturgeschichte geleistet habe. Der Ruhm allerdings, die
unlösbare wechselseitige Abhängigkeit von Mechanismus und Zweck allseitig
dargelegt zu haben, gebührt unserm LvKe, und es erscheint nur als ein be¬
trübender Beweis weitverbreiteter Denkschwäche, daß sich der Urgedanke einer
„gewordenen Zweckmäßigkeit" in Deutschland noch einnisten konnte, nachdem
dieser klare Denker den Widerspruch zwischen der vom Materialismus geforderten
Einheit der Welt und ihrer gleichzeitig behaupteten Planlosigkeit so allseitig


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[0522] die vor vierzehn Jahren erschienene Schrift in den Kreisen der Naturforscher, zu denen ich nicht gehöre, gewirkt haben mag, weiß ich nicht; ans den fast alljährlich wiederkehrenden Proteste» BirchvwS gegen den Leichtsinn, mit dem die Darwinisten unbewiesene Hypothesen für »uumstößliche Wahrheiten aus¬ geben, sieht man wenigstens so viel, daß sie in Fachkreisen nicht die Allein¬ herrschaft behaupten. An dem uicht fachmännischer Publikum scheint Hartmanns Buch spurlos vorübergegangen zu sein. Was in Deutschland nicht kirchlich orthodox ist, strebt nach dem Ruhme darwinischer Rechtgläubigkeit. Für eine dein Standpunkte der heutigen Forschung angemessene Theorie, die außer den geläuterten Bestandteilen der Darwinischen kehren auch noch andre Elemente aufzunehmen hätte, schlägt E. von Hartmann in jener Schrift den Namen „organische Entwicklungstheorie" vor. EV glaubte schon damals wahrzunehmen, daß sich die Anhänger der Deseendenzthevrie in Deutschland aus den, Banne des Darwinismus zu einer dem Volle der Denker mehr entsprechenden Auf¬ fassung hindurchzuarbeiten strebte«. „Es dürfte daher, schreibt er in seinem fremdwörterreichen Deutsch, auch an der Zeit scheinen, den Namen des Dar¬ winismus, der oft in nüßbräuchlicher Weise noch sür einen nicht unwesentlich modifizirten Thevrienkomplex ans Pietät gegen den Urheber der neuen na!.ur- philvsvphischen Bewegung und Erregung der Geister festgehalten wird, de, unio fallen zu lassen." Damit ist er so wenig durchgedrungen, daß vielmehr, wie kürzlich an dieser Stelle hervorgehoben wurde, der Name Darwins in Deutsch¬ land dazu gemißbraucht wird, alles zu empfehlen, was eine üppig wuchernde Phantasievvlle Spekulation an kühnen Behauptungen nur immer hervorbringt. Bor E. von Hartmann hatte schon Darwins Fre'.ut HiEc .eschrieben: ,,Die teleologische und die mechanische Auffassung der Rat?? schließen sich keineswegs gegenseitig ans. Im Gegenteil, je logischer der Mechanist denkt, desto sicherer wird er eine ursprüngliche molekulare Anordnung c .,>c-l)inen, die eben zu dem Zwecke eingerichtet ist, damit daraus d' Erscheinungen des Weltalls hervorgehe» können." Von Atheismus könne dabei keine Rede sein; wenn es uicht gegen deu Glauben um Gott verstoße, daß sich ans dem El, das doch weder ein Hahn noch eine Henne sei, ein Hühnchen entwickle, dann sei vom gläubigen Standpunkt ans auch gegen die Entwicklung des Weltalls nichts einzuwenden; eins sei gerade so unerklärlich wie das andre. Ja Darwins Sohn rechnet sogar die Neubelebung der Teleologie zu den großen Diensten, die sein Bater der Naturgeschichte geleistet habe. Der Ruhm allerdings, die unlösbare wechselseitige Abhängigkeit von Mechanismus und Zweck allseitig dargelegt zu haben, gebührt unserm LvKe, und es erscheint nur als ein be¬ trübender Beweis weitverbreiteter Denkschwäche, daß sich der Urgedanke einer „gewordenen Zweckmäßigkeit" in Deutschland noch einnisten konnte, nachdem dieser klare Denker den Widerspruch zwischen der vom Materialismus geforderten Einheit der Welt und ihrer gleichzeitig behaupteten Planlosigkeit so allseitig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/522>, abgerufen am 02.07.2024.