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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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und alle andern Gedankengebäude sind dann gleich wertlos und nichtig. Dann
ist ein Kerl, der spekulirt, anstatt zu genießen, niag er nun paulinisch oder
darwinisch spekuliren, wirklich ein dummes Tier, das, von der Drehkrankheit
erfaßt, ans dürrem Stoppelfelde sich zu Tode rennt und den grünen Klee da¬
neben unberührt läßt. In der That, dem Affen, und mag er noch so hoch
entwickelt sein, gebührt keine Stimme in der Philosophie!

Bekanntlich wurde Darwin mit der Gretchenfrage viel geplagt und hat
immer nur zögernd und verdrießlich darauf geantwortet. Sein Briefwechsel
mit einem holländischen Studenten lief vor zwei Jahren, als das von seinem
Sohne Heransgegebene Werk "Leben und Briefe" in deutscher Übersetzung er¬
schienen war, durch alle Zeitungen. Seine Antwort auf solche Anfragen
lautete der Hauptsache nach regelmäßig, er habe über diese Dinge niemals im
Zusammenhange nachgedacht, Theologie und Philosophie seien nicht sein Fach,
an eine Offenbarung glaube er nicht, er könne sich aber auch nicht einen
Atheisten nennen, er sei ein Agnostiker, er wage nichts zu entscheiden. In
einem Briefe an Graham schreibt er: "Ich habe keine Übung im abstrakten
Denken und mag wohl ganz in die Irre gehen. Immerhin haben Sie meine
innerste Überzeugung ausgedrückt, wenn Sie sagen, das Weltall könne un¬
möglich ein Werk des Zufalls sein." Über eine Unterredung mit ihm in den
letzten Jahren seines Lebens berichtet der Herzog von Arghll, ein tiefreligiöser
Maun, der an den wissenschaftlichen und sozialen Bewegungen der Zeit den
lebhaftesten und thätigsten Anteil nahm. Der Herzog äußerte, man könne die
wunderbar zweckmäßigen Anpassungen in der Natur unmöglich betrachten, ohne
das Walten eines vernünftigen Geistes darin zu erkennen. "Ich werde, er¬
zählt er weiter, Mr. Darwins Antwort nie vergessen. Er sah mich scharf an
und sagte: ,,Das kommt wohl oft über mich; aber zu andern Zeiten -- und
hier schüttelte er leise den Kopf -- scheint es vorüberzugehen."

Man sieht, daß Darwin über diesen Punkt niemals mit sich ins Reine
gekommen ist, und daß er, weit entfernt davon, andern Leuten den Atheismus
aufdrängen zu wollen, ihn vielmehr von sich selbst abzuwehren suchte. Ja er
hat nicht einmal den Versuch gemacht, die mechanische Natnrerklürnng bis auf
den tiefsten Grund durchzuführen. "Es wird noch einige Zeit dauern, schrieb
er 1863 etwas spöttisch um Hooker, ehe wir sehen, wie Schleim, Protoplasma
u. dergl. ein neues Tier erzeugt. Es ist einfach Unsinn, gegenwärtig an den
Ursprung des Lebens zu denken jdas soll doch Wohl heißen, den Ursprung des
Lebens erklären zu wollenl; eben so gut könnte man an den Ursprung der
Materie denken." Daß die Descendenztheorie eine zwecksetzende und den Prozeß
leitende Intelligenz nicht ausschließt, sondern geradezu fordert, hat E. von
Hartmann in dein Büchlein, das "Wahrheit und Irrtum im Darwinismus"
mit unübertrefflicher Klarheit scheidet, so überzeugend nachgewiesen, daß es Holz
in den Wald tragen hieße, wenn man noch ein Wort hinzufügen wollte. Wie


Grenzboten IV 188!" 6ö
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und alle andern Gedankengebäude sind dann gleich wertlos und nichtig. Dann
ist ein Kerl, der spekulirt, anstatt zu genießen, niag er nun paulinisch oder
darwinisch spekuliren, wirklich ein dummes Tier, das, von der Drehkrankheit
erfaßt, ans dürrem Stoppelfelde sich zu Tode rennt und den grünen Klee da¬
neben unberührt läßt. In der That, dem Affen, und mag er noch so hoch
entwickelt sein, gebührt keine Stimme in der Philosophie!

Bekanntlich wurde Darwin mit der Gretchenfrage viel geplagt und hat
immer nur zögernd und verdrießlich darauf geantwortet. Sein Briefwechsel
mit einem holländischen Studenten lief vor zwei Jahren, als das von seinem
Sohne Heransgegebene Werk „Leben und Briefe" in deutscher Übersetzung er¬
schienen war, durch alle Zeitungen. Seine Antwort auf solche Anfragen
lautete der Hauptsache nach regelmäßig, er habe über diese Dinge niemals im
Zusammenhange nachgedacht, Theologie und Philosophie seien nicht sein Fach,
an eine Offenbarung glaube er nicht, er könne sich aber auch nicht einen
Atheisten nennen, er sei ein Agnostiker, er wage nichts zu entscheiden. In
einem Briefe an Graham schreibt er: „Ich habe keine Übung im abstrakten
Denken und mag wohl ganz in die Irre gehen. Immerhin haben Sie meine
innerste Überzeugung ausgedrückt, wenn Sie sagen, das Weltall könne un¬
möglich ein Werk des Zufalls sein." Über eine Unterredung mit ihm in den
letzten Jahren seines Lebens berichtet der Herzog von Arghll, ein tiefreligiöser
Maun, der an den wissenschaftlichen und sozialen Bewegungen der Zeit den
lebhaftesten und thätigsten Anteil nahm. Der Herzog äußerte, man könne die
wunderbar zweckmäßigen Anpassungen in der Natur unmöglich betrachten, ohne
das Walten eines vernünftigen Geistes darin zu erkennen. „Ich werde, er¬
zählt er weiter, Mr. Darwins Antwort nie vergessen. Er sah mich scharf an
und sagte: ,,Das kommt wohl oft über mich; aber zu andern Zeiten — und
hier schüttelte er leise den Kopf — scheint es vorüberzugehen."

Man sieht, daß Darwin über diesen Punkt niemals mit sich ins Reine
gekommen ist, und daß er, weit entfernt davon, andern Leuten den Atheismus
aufdrängen zu wollen, ihn vielmehr von sich selbst abzuwehren suchte. Ja er
hat nicht einmal den Versuch gemacht, die mechanische Natnrerklürnng bis auf
den tiefsten Grund durchzuführen. „Es wird noch einige Zeit dauern, schrieb
er 1863 etwas spöttisch um Hooker, ehe wir sehen, wie Schleim, Protoplasma
u. dergl. ein neues Tier erzeugt. Es ist einfach Unsinn, gegenwärtig an den
Ursprung des Lebens zu denken jdas soll doch Wohl heißen, den Ursprung des
Lebens erklären zu wollenl; eben so gut könnte man an den Ursprung der
Materie denken." Daß die Descendenztheorie eine zwecksetzende und den Prozeß
leitende Intelligenz nicht ausschließt, sondern geradezu fordert, hat E. von
Hartmann in dein Büchlein, das „Wahrheit und Irrtum im Darwinismus"
mit unübertrefflicher Klarheit scheidet, so überzeugend nachgewiesen, daß es Holz
in den Wald tragen hieße, wenn man noch ein Wort hinzufügen wollte. Wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/521>, abgerufen am 02.07.2024.