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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle und Darwin

die Kehle durch und wendet sich dann zu ihrem auf der andern Seite sitzenden
Vater mit der Bemerkung: "Papa, sagen Sie der Mama, daß es weiter nichts
ist als das Ende von Edmunds Evolution."

Darwin sagt also mit Recht: "Denen, die an die Unsterblichkeit der Seele
glauben, wird die Vernichtung unsrer Welt nicht so furchtbar erscheinen." So
ganz, wie er sich zu Zeiten wohl einbildete, hatte er doch die Gründe der
Teleologen noch nicht innerlich überwunden. Das Weltganze machte immer
wieder tiefen Eindruck auf ihn. "Denke ich darüber nach, dann fühle ich mich
genötigt, mich nach einer ersten Ursache umzusehen in Gestalt eines menschen¬
ähnlichen denkenden Geistes, und ich verdiene dann Theist genannt zu werden.
Diese Folgerung war sehr lebendig in mir um die Zeit, als ich die "Ent¬
stehung der Arten" schrieb." In der That sieht man das aus den Schlu߬
sätzen dieses Werkes. Sie lautem ,,So geht aus dem Kampfe der Natur,
aus Hunger und Tod die Lösung des höchsten Problems hervor, das wir zu
erfassen vermögen: die Erzeugung immer höherer und vollkommnerer Tiere.
Es ist wahrlich eine großartige Ansicht, daß der Schöpfer den Keim alles
Lebens, das uns umgiebt, nur wenigen Formen oder nur eiuer einzigen Form
eingehaucht hat, und daß, während unser Planet den strengen Gesetzen der
Schwerkraft folgend sich im .Kreise schwingt, aus so einfachem Anfange sich
eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und
noch immer entwickelt." Später, heißt es in seinen Aufzeichnungen weiter, sei
ihm der Zweck in der Natur wieder zweifelhaft geworden. "Ich darf mir nicht
anmaßen, auch nur das geringste Licht auf solche abstruse Fragen werfen zu
wollen. Das Geheimnis des Anfangs aller Dinge ist für uns unlösbar, und
ich für meinen Teil muß mich bescheiden, ein Agnostiker zu bleiben." Ins¬
besondre ein "entsetzlicher Zweifel" war es, an dem seine Anläufe zur Teleo-
logie scheiterten; der Gedanke nämlich, ob den Überzeugungen eines Wesens,
das sich ja aus niedern Tieren entwickelt habe, überhaupt irgend welcher Wert
beizulegen sei. "Würde sich wohl jemand auf die Überzeugungen in der Seele
eines Affen verlassen, wenn in einer solchen Überzeugungen vorhanden wären?"
Damit trifft Darwin, ohne es zu merken, den Nagel ans den Kopf. In der
That, von Überzeugung, von dem Werte einer Meinung, von Wahrheit kann
nur so lange die Rede sein, als wir an eine ewige und unveränderliche Wahr¬
heit im Geiste eines persönlichen Gottes glauben, der die Fähigkeit, diese
Wahrheit zu erkennen, und die logischen Gesetze, uach denen diese Fähigkeit
wirkt, in unsre Seele gelegt hat. Giebt es keine solche Wahrheit, d. h. keine
unzerstörbare in der Harmonie ihres reichen Inhalts selige Persönlichkeit, die
die Fülle ihrer Ideen in Geschöpfen verwirklicht, um diese an der eignen
Seligkeit teilnehmen zu lassen, ist der Menschengeist nur eine Phosphorescenz
der Materie und die Vorstellung der eignen Persönlichkeit eine unbegreifliche
Illusion, dann hat sein Denken gar keinen Wert; Teleologie, Darwins Hypothese


Buckle und Darwin

die Kehle durch und wendet sich dann zu ihrem auf der andern Seite sitzenden
Vater mit der Bemerkung: „Papa, sagen Sie der Mama, daß es weiter nichts
ist als das Ende von Edmunds Evolution."

Darwin sagt also mit Recht: „Denen, die an die Unsterblichkeit der Seele
glauben, wird die Vernichtung unsrer Welt nicht so furchtbar erscheinen." So
ganz, wie er sich zu Zeiten wohl einbildete, hatte er doch die Gründe der
Teleologen noch nicht innerlich überwunden. Das Weltganze machte immer
wieder tiefen Eindruck auf ihn. „Denke ich darüber nach, dann fühle ich mich
genötigt, mich nach einer ersten Ursache umzusehen in Gestalt eines menschen¬
ähnlichen denkenden Geistes, und ich verdiene dann Theist genannt zu werden.
Diese Folgerung war sehr lebendig in mir um die Zeit, als ich die »Ent¬
stehung der Arten« schrieb." In der That sieht man das aus den Schlu߬
sätzen dieses Werkes. Sie lautem ,,So geht aus dem Kampfe der Natur,
aus Hunger und Tod die Lösung des höchsten Problems hervor, das wir zu
erfassen vermögen: die Erzeugung immer höherer und vollkommnerer Tiere.
Es ist wahrlich eine großartige Ansicht, daß der Schöpfer den Keim alles
Lebens, das uns umgiebt, nur wenigen Formen oder nur eiuer einzigen Form
eingehaucht hat, und daß, während unser Planet den strengen Gesetzen der
Schwerkraft folgend sich im .Kreise schwingt, aus so einfachem Anfange sich
eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und
noch immer entwickelt." Später, heißt es in seinen Aufzeichnungen weiter, sei
ihm der Zweck in der Natur wieder zweifelhaft geworden. „Ich darf mir nicht
anmaßen, auch nur das geringste Licht auf solche abstruse Fragen werfen zu
wollen. Das Geheimnis des Anfangs aller Dinge ist für uns unlösbar, und
ich für meinen Teil muß mich bescheiden, ein Agnostiker zu bleiben." Ins¬
besondre ein „entsetzlicher Zweifel" war es, an dem seine Anläufe zur Teleo-
logie scheiterten; der Gedanke nämlich, ob den Überzeugungen eines Wesens,
das sich ja aus niedern Tieren entwickelt habe, überhaupt irgend welcher Wert
beizulegen sei. „Würde sich wohl jemand auf die Überzeugungen in der Seele
eines Affen verlassen, wenn in einer solchen Überzeugungen vorhanden wären?"
Damit trifft Darwin, ohne es zu merken, den Nagel ans den Kopf. In der
That, von Überzeugung, von dem Werte einer Meinung, von Wahrheit kann
nur so lange die Rede sein, als wir an eine ewige und unveränderliche Wahr¬
heit im Geiste eines persönlichen Gottes glauben, der die Fähigkeit, diese
Wahrheit zu erkennen, und die logischen Gesetze, uach denen diese Fähigkeit
wirkt, in unsre Seele gelegt hat. Giebt es keine solche Wahrheit, d. h. keine
unzerstörbare in der Harmonie ihres reichen Inhalts selige Persönlichkeit, die
die Fülle ihrer Ideen in Geschöpfen verwirklicht, um diese an der eignen
Seligkeit teilnehmen zu lassen, ist der Menschengeist nur eine Phosphorescenz
der Materie und die Vorstellung der eignen Persönlichkeit eine unbegreifliche
Illusion, dann hat sein Denken gar keinen Wert; Teleologie, Darwins Hypothese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/520>, abgerufen am 02.07.2024.