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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle und Darwin

War Darwin durch keinen außerhalb seiner Fachwissenschaft liegenden
Einfluß in seine Bahn hineingeführt worden, so trat doch, wie wir sahen,
allmählich eine Wechselwirkung ein zwischen seiner Botanik und seiner
Zoologie einerseits und seiner Metaphysik anderseits; und von da an
bestärkte ihn allerdings in seiner Theorie eine Erwägung, die ganz außer¬
halb der Naturwissenschaften liegt, die aber seinem Herzen Ehre macht.
Wie er in dem angeführten selbstbiographischen Bruchstücke und in meh¬
reren Briefen gesteht, war eS der Anblick des Leidens in der Tierwelt, was
ihm die Annahme eines persönlichen Schöpfers unwahrscheinlich und wider¬
wärtig machte. Der Gedanke widerstrebte ihm, daß ein bewußter Gott Tiere
erschaffen haben sollte, die darauf augewiesen sind, einander erbarmungslos
an- und aufzufressen. Er war sehr mitleidig gegen Tiere und zog sich durch
Einmischung zu Gunsten von Pferden und Vögeln manche Unannehmlichkeit
zu. Auch für die Sklavenbefreiung nahm er mit einer Leidenschaft Partei, die
sonst seinem gelassen pedantischen und bedächtigen Wesen ganz fremd war.
Sehr charakteristisch ist es, daß sich in seinen Schriften und Briefen keine
Spur von Teilnahme findet für die Leiden des englischen Arbeiterstandes, der
Prvletarierkiuder, der hungernden Iren. Es hätte ihn, so oft er in London
weilte, nnr einen Weg von einigen hundert Schritte" gekostet, jenen Abschnitt
des Kampfes uns Dasein zu studiren, der uns Menschen doch unendlich näher
liegt, wie die Leiden der Raupen und Würmer. Der richtige Engländer ver¬
schließt eben vor allem Elend und Verbrechen im eignen Vaterlande so lange
seine Augen, bis ihn ein besonders packender Fall überwältigt; von diesem
Augenblick an macht er dann den Philanthropismus zu seiner Lebensaufgabe.
Mir Darwin trat diese Krisis nicht ein; bis an sein Lebensende blieb er seinen
Würmern, Käfern und Tauben treu. Er gesteht dann weiter ein, daß ihm der
brasilianische Urwald eigentümliche Empfindungen eingeflößt habe. Er habe
da gefühlt, "daß noch etwas mehr im Menschen sei als der bloße Atem seines
Leibes. Jetzt aber (1876) würden die großartigsten Szenen keine derartigen
Überzeugungen und Empfindungen mehr in meiner Seele entstehen lassen.
Man konnte ganz zutreffend sagen, daß ich in dieser Beziehung farbenblind
geworden sei, und daß dem allgemeinen Glauben der Menschheit gegenüber mein
mangelndes Wahrnehmungsvermögen nichts beweise." Aber diese Schlu߬
folgerung sei doch nicht zwingend, weil die Überzeugung vom Dasein Gottes
nicht bei allen Menschenrassen allgemein, das religiöse Gefühl von der allge-
meinern Empfindung des Erhabenen nicht wesentlich verschieden sei und nur
dort religiös werde, wo es sich mit dem schon vorhandenen von anßen her
erzeugten Glauben an Gott verbinden könne. Das Bild von der Fnrbenblind-
heit ist gut. Es wird noch besser dadurch, daß Darwin auch noch seinen
Mangel an Sinn für die Musik heranzieht, und er hätte noch hinzufügen
sollen, daß ihm überhaupt die ästhetische Empfindung verloren gegangen war.


Buckle und Darwin

War Darwin durch keinen außerhalb seiner Fachwissenschaft liegenden
Einfluß in seine Bahn hineingeführt worden, so trat doch, wie wir sahen,
allmählich eine Wechselwirkung ein zwischen seiner Botanik und seiner
Zoologie einerseits und seiner Metaphysik anderseits; und von da an
bestärkte ihn allerdings in seiner Theorie eine Erwägung, die ganz außer¬
halb der Naturwissenschaften liegt, die aber seinem Herzen Ehre macht.
Wie er in dem angeführten selbstbiographischen Bruchstücke und in meh¬
reren Briefen gesteht, war eS der Anblick des Leidens in der Tierwelt, was
ihm die Annahme eines persönlichen Schöpfers unwahrscheinlich und wider¬
wärtig machte. Der Gedanke widerstrebte ihm, daß ein bewußter Gott Tiere
erschaffen haben sollte, die darauf augewiesen sind, einander erbarmungslos
an- und aufzufressen. Er war sehr mitleidig gegen Tiere und zog sich durch
Einmischung zu Gunsten von Pferden und Vögeln manche Unannehmlichkeit
zu. Auch für die Sklavenbefreiung nahm er mit einer Leidenschaft Partei, die
sonst seinem gelassen pedantischen und bedächtigen Wesen ganz fremd war.
Sehr charakteristisch ist es, daß sich in seinen Schriften und Briefen keine
Spur von Teilnahme findet für die Leiden des englischen Arbeiterstandes, der
Prvletarierkiuder, der hungernden Iren. Es hätte ihn, so oft er in London
weilte, nnr einen Weg von einigen hundert Schritte» gekostet, jenen Abschnitt
des Kampfes uns Dasein zu studiren, der uns Menschen doch unendlich näher
liegt, wie die Leiden der Raupen und Würmer. Der richtige Engländer ver¬
schließt eben vor allem Elend und Verbrechen im eignen Vaterlande so lange
seine Augen, bis ihn ein besonders packender Fall überwältigt; von diesem
Augenblick an macht er dann den Philanthropismus zu seiner Lebensaufgabe.
Mir Darwin trat diese Krisis nicht ein; bis an sein Lebensende blieb er seinen
Würmern, Käfern und Tauben treu. Er gesteht dann weiter ein, daß ihm der
brasilianische Urwald eigentümliche Empfindungen eingeflößt habe. Er habe
da gefühlt, „daß noch etwas mehr im Menschen sei als der bloße Atem seines
Leibes. Jetzt aber (1876) würden die großartigsten Szenen keine derartigen
Überzeugungen und Empfindungen mehr in meiner Seele entstehen lassen.
Man konnte ganz zutreffend sagen, daß ich in dieser Beziehung farbenblind
geworden sei, und daß dem allgemeinen Glauben der Menschheit gegenüber mein
mangelndes Wahrnehmungsvermögen nichts beweise." Aber diese Schlu߬
folgerung sei doch nicht zwingend, weil die Überzeugung vom Dasein Gottes
nicht bei allen Menschenrassen allgemein, das religiöse Gefühl von der allge-
meinern Empfindung des Erhabenen nicht wesentlich verschieden sei und nur
dort religiös werde, wo es sich mit dem schon vorhandenen von anßen her
erzeugten Glauben an Gott verbinden könne. Das Bild von der Fnrbenblind-
heit ist gut. Es wird noch besser dadurch, daß Darwin auch noch seinen
Mangel an Sinn für die Musik heranzieht, und er hätte noch hinzufügen
sollen, daß ihm überhaupt die ästhetische Empfindung verloren gegangen war.


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[0518] Buckle und Darwin War Darwin durch keinen außerhalb seiner Fachwissenschaft liegenden Einfluß in seine Bahn hineingeführt worden, so trat doch, wie wir sahen, allmählich eine Wechselwirkung ein zwischen seiner Botanik und seiner Zoologie einerseits und seiner Metaphysik anderseits; und von da an bestärkte ihn allerdings in seiner Theorie eine Erwägung, die ganz außer¬ halb der Naturwissenschaften liegt, die aber seinem Herzen Ehre macht. Wie er in dem angeführten selbstbiographischen Bruchstücke und in meh¬ reren Briefen gesteht, war eS der Anblick des Leidens in der Tierwelt, was ihm die Annahme eines persönlichen Schöpfers unwahrscheinlich und wider¬ wärtig machte. Der Gedanke widerstrebte ihm, daß ein bewußter Gott Tiere erschaffen haben sollte, die darauf augewiesen sind, einander erbarmungslos an- und aufzufressen. Er war sehr mitleidig gegen Tiere und zog sich durch Einmischung zu Gunsten von Pferden und Vögeln manche Unannehmlichkeit zu. Auch für die Sklavenbefreiung nahm er mit einer Leidenschaft Partei, die sonst seinem gelassen pedantischen und bedächtigen Wesen ganz fremd war. Sehr charakteristisch ist es, daß sich in seinen Schriften und Briefen keine Spur von Teilnahme findet für die Leiden des englischen Arbeiterstandes, der Prvletarierkiuder, der hungernden Iren. Es hätte ihn, so oft er in London weilte, nnr einen Weg von einigen hundert Schritte» gekostet, jenen Abschnitt des Kampfes uns Dasein zu studiren, der uns Menschen doch unendlich näher liegt, wie die Leiden der Raupen und Würmer. Der richtige Engländer ver¬ schließt eben vor allem Elend und Verbrechen im eignen Vaterlande so lange seine Augen, bis ihn ein besonders packender Fall überwältigt; von diesem Augenblick an macht er dann den Philanthropismus zu seiner Lebensaufgabe. Mir Darwin trat diese Krisis nicht ein; bis an sein Lebensende blieb er seinen Würmern, Käfern und Tauben treu. Er gesteht dann weiter ein, daß ihm der brasilianische Urwald eigentümliche Empfindungen eingeflößt habe. Er habe da gefühlt, „daß noch etwas mehr im Menschen sei als der bloße Atem seines Leibes. Jetzt aber (1876) würden die großartigsten Szenen keine derartigen Überzeugungen und Empfindungen mehr in meiner Seele entstehen lassen. Man konnte ganz zutreffend sagen, daß ich in dieser Beziehung farbenblind geworden sei, und daß dem allgemeinen Glauben der Menschheit gegenüber mein mangelndes Wahrnehmungsvermögen nichts beweise." Aber diese Schlu߬ folgerung sei doch nicht zwingend, weil die Überzeugung vom Dasein Gottes nicht bei allen Menschenrassen allgemein, das religiöse Gefühl von der allge- meinern Empfindung des Erhabenen nicht wesentlich verschieden sei und nur dort religiös werde, wo es sich mit dem schon vorhandenen von anßen her erzeugten Glauben an Gott verbinden könne. Das Bild von der Fnrbenblind- heit ist gut. Es wird noch besser dadurch, daß Darwin auch noch seinen Mangel an Sinn für die Musik heranzieht, und er hätte noch hinzufügen sollen, daß ihm überhaupt die ästhetische Empfindung verloren gegangen war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/518>, abgerufen am 02.07.2024.