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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle und Darwin

nicht sehr verschieden, obwohl die Änderungsmittel es gänzlich sind. Ich glaube
-- wie anmaßend! -- die einfachen Mittel gefunden zu haben, durch die ver-
schiedne Spezies verschiednen Zwecken angepaßt werden. Sie werden seufzen
und denken: An was für einen Menschen habe ich meine Zeit verschwendet!
Vor fünf Jahren hätte ich selbst noch so gedacht."

Gleichzeitig zwar, aber nicht in bewußter Wechselwirkung mit seiner Natur-
auffassung, änderte sich seine Stellung zur Religion. Lebhafte religiöse Empfin¬
dungen hatten ihn niemals bewegt, zusammenhängendes Nachdenken über religiöse
und metaphysische Fragen war nicht seine Sache. Bei fortschreitender Bücher¬
kenntnis meinte er nun einzusehen, daß dem Alten Testament nicht mehr
Glaubwürdigkeit beizumessen sei als etwa den heiligen Schriften der Hindu,
und später ließen die Wundergeschichten und Widersprüche im Neuen Testament
ihm auch dieses unglaubwürdig erscheinen. Doch hing er am christlichen Glauben
und gab ihn nicht gern auf. Er hegte zuweilen den phantastischen Wunsch,
es möchten irgend welche Urkunden aufgefunden oder Inschriften ausgegraben
werden, die die Wahrheit des biblischen Berichts über Jesus unwiderleglich
bezeugten; aber so etwas ereignete sich eben nicht. In einer 1876 geschriebenen
Selbstbiographie, aus der sein Sohn Bruchstücke mitteilt, erzählt er das und
sagt dann: "So beschlich mich der Unglaube ganz laugsam, so langsam, daß
ich kein Unbehagen empfand." Schließlich kam ihm auch zum Bewußtsein, daß
und an welcher Stelle diese nebenherlaufende Umbildung seiner Glaubensansicht
in die seiner Naturauffassung eingriff. "Der alte Beweisgrund Mir das Dasein
Gottes^ vom Zweck in der Natur, der mir früher so entscheidend schien, schlägt
jetzt fehl, nachdem das Gesetz der natürlichen Auslese entdeckt worden ist.
^FehlschlußWir können z. B. nicht länger folgern, daß das wunderschöne
Schloß einer zweischaligen Muschel, ähnlich wie die Angel einer Thür, von
einem intelligenten Wesen gebildet sein müsse. In der Variabilität der orga¬
nischen Wesen und in der Wirkungsweise der natürlichen Zuchtwahl scheint
nicht mehr Zweckmäßigkeit zu liegen, als in der Richtung, in der der Wind
weht. ^Welch ein Vergleich!j Ich habe aber diesen Gegenstand am Schlüsse
meines Buches "Über das Variiren der Tiere und Pflanzen u. s. w." erörtert,
und die dort gegebene Beweisführung ist, so weit ich es übersehen kann, niemals
widerlegt worden." Von der trefflichen Widerlegung, die ein Jahr vorher
E. von Hartmann im Anschluß an das Werk eines Fachmanns, des Botanikers
Wigand, geliefert hatte, haben also die deutschen Jünger dem englischen Meister
nichts verraten. Hnrtmann beweist u. ni., daß Darwin die Wirkungen der
Zuchtwahl überschützt, und daß überhaupt der Aufbau der organischen Wesen
ohne eine schaffende Intelligenz nicht denkbar ist, wenn diese auch nicht so
verfährt, wie sichs der kindliche Schvpfungsglaube vorstellt, sondern durch
Anwendung der von Darwin entdeckten Mittel die ursprünglichen einfachen
Gebilde allmählich in zusammengesetztere umwandelt.


Buckle und Darwin

nicht sehr verschieden, obwohl die Änderungsmittel es gänzlich sind. Ich glaube
— wie anmaßend! — die einfachen Mittel gefunden zu haben, durch die ver-
schiedne Spezies verschiednen Zwecken angepaßt werden. Sie werden seufzen
und denken: An was für einen Menschen habe ich meine Zeit verschwendet!
Vor fünf Jahren hätte ich selbst noch so gedacht."

Gleichzeitig zwar, aber nicht in bewußter Wechselwirkung mit seiner Natur-
auffassung, änderte sich seine Stellung zur Religion. Lebhafte religiöse Empfin¬
dungen hatten ihn niemals bewegt, zusammenhängendes Nachdenken über religiöse
und metaphysische Fragen war nicht seine Sache. Bei fortschreitender Bücher¬
kenntnis meinte er nun einzusehen, daß dem Alten Testament nicht mehr
Glaubwürdigkeit beizumessen sei als etwa den heiligen Schriften der Hindu,
und später ließen die Wundergeschichten und Widersprüche im Neuen Testament
ihm auch dieses unglaubwürdig erscheinen. Doch hing er am christlichen Glauben
und gab ihn nicht gern auf. Er hegte zuweilen den phantastischen Wunsch,
es möchten irgend welche Urkunden aufgefunden oder Inschriften ausgegraben
werden, die die Wahrheit des biblischen Berichts über Jesus unwiderleglich
bezeugten; aber so etwas ereignete sich eben nicht. In einer 1876 geschriebenen
Selbstbiographie, aus der sein Sohn Bruchstücke mitteilt, erzählt er das und
sagt dann: „So beschlich mich der Unglaube ganz laugsam, so langsam, daß
ich kein Unbehagen empfand." Schließlich kam ihm auch zum Bewußtsein, daß
und an welcher Stelle diese nebenherlaufende Umbildung seiner Glaubensansicht
in die seiner Naturauffassung eingriff. „Der alte Beweisgrund Mir das Dasein
Gottes^ vom Zweck in der Natur, der mir früher so entscheidend schien, schlägt
jetzt fehl, nachdem das Gesetz der natürlichen Auslese entdeckt worden ist.
^FehlschlußWir können z. B. nicht länger folgern, daß das wunderschöne
Schloß einer zweischaligen Muschel, ähnlich wie die Angel einer Thür, von
einem intelligenten Wesen gebildet sein müsse. In der Variabilität der orga¬
nischen Wesen und in der Wirkungsweise der natürlichen Zuchtwahl scheint
nicht mehr Zweckmäßigkeit zu liegen, als in der Richtung, in der der Wind
weht. ^Welch ein Vergleich!j Ich habe aber diesen Gegenstand am Schlüsse
meines Buches »Über das Variiren der Tiere und Pflanzen u. s. w.« erörtert,
und die dort gegebene Beweisführung ist, so weit ich es übersehen kann, niemals
widerlegt worden." Von der trefflichen Widerlegung, die ein Jahr vorher
E. von Hartmann im Anschluß an das Werk eines Fachmanns, des Botanikers
Wigand, geliefert hatte, haben also die deutschen Jünger dem englischen Meister
nichts verraten. Hnrtmann beweist u. ni., daß Darwin die Wirkungen der
Zuchtwahl überschützt, und daß überhaupt der Aufbau der organischen Wesen
ohne eine schaffende Intelligenz nicht denkbar ist, wenn diese auch nicht so
verfährt, wie sichs der kindliche Schvpfungsglaube vorstellt, sondern durch
Anwendung der von Darwin entdeckten Mittel die ursprünglichen einfachen
Gebilde allmählich in zusammengesetztere umwandelt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/517>, abgerufen am 30.06.2024.