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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle und Varwin

(erfunden hat er sie bekanntlich nicht). Er selbst hat über den Entwicklungs¬
gang, dnrch den er ganz absichtslos und sogar ahnungslos in seine Theorie
hineingeführt wurde, in seinen Büchern und Briefen muss genaueste berichtet.

Als er seine Forschungsreise auf dem Beagle (27. Dezember 1831 bis
2. Oktober 1836) antrat, war er noch vollkommen bibelglänbig. Die Offiziere
des Schiffes, obwohl selbst orthodox, lachten manchmal herzlich über die Zu¬
versichtlichkeit, mit der er die Bibel als unanfechtbare Autorität zu Beweis¬
führungen verwendete. In Südamerika zuerst und auf den fünfhundert englische
Meilen westlich davon gelegenen Galapagosinseln wurde er an der UnVer¬
änderlichkeit der Arten irre, nicht etwa um der Religion, an die er bei der Sache
gar nicht dachte. Auf den genannten Inseln sah er sich von eigentümlichen
Pflanzen- und Tiergestalten umgeben, wie sie nirgend sonst in der Welt vor¬
kommen. "Doch trugen sie fast alle ein amerikanisches Gepräge an sich. Im
Gesänge der Spottdrossel, in dem scharfen Schrei des Aasgeiers, in den großen
leuchterähnlichen Opuntien bemerkte ich deutlich die Nachbarschaft Amerikas.
Noch überraschender war die Thatsache, daß die meisten Bewohner jeder einzelnen
Insel dieses kleinen Archipels spezifisch verschieden von denen aller andern, aber
trotzdem nahe verwandt unter einander waren. Ich fragte mich, wie diese
eigentümlichen Tiere und Pflanzen Wohl entstanden seien. Die einfachste Ant¬
wort schien zu sein, daß die Bewohner der verschiednen Inseln von einander
und alle zusammen von Einwanderern aus Amerika abstammten, und daß sie
in langen Geschlechtsfolgen Veränderungen erlitten hätten, die jene Verschieden¬
heit bei Übereinstimmung der Grundformen bewirkten. Wodurch diese Ver¬
änderungen herbeigeführt worden seien, das wäre mir noch lange unerklärlich
geblieben, Hütte ich nicht die Züchtuugsergebuisfe an den Haustieren studirt
und mir auf diese Weise eine richtige Vorstellung von den Wirkungen der
Zuchtwahl gebildet. Nachdem ich mir dann diese Idee schon fest angeeignet
hatte, erkannte ich beim Lesen vou Malthusens Werk über die Bevölkerung, daß
natürliche Zuchtwahl das unvermeidliche Ergebnis der raschen Zunahme aller
organischen Wesen war; denn den Kampf ums Dasein in seiner Bedeutung zu
würdigen, war ich durch langes Studium genügend vorbereitet." Außerdem
hatte er in Amerika fleißig Fossilien ausgegraben und sich überzeugt, daß auch
diese einen spezifisch amerikanischen Charakter tragen, wonach also die Folgerung
nahe lag, daß die jetzt dort lebenden Tiere von den dortigen vorweltlichen
abstammen (Das Variiren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Dome¬
stikation S. 10 bis 11). Über die Kühnheit seines Gedankengnuges erschrak er
selbst. "Ich bin beinahe überzeugt," schrieb er am 11. Januar 1844 an Hooker,
,,daß die Arten -- mir ist, als gestünde ich einen Mord ein -- nicht unver¬
änderlich sind. Der Himmel bewahre mich vor dem Lamarckschen Unsinn einer
"Neigung zum-Fortschritt," der "Anpassungen infolge des langsam wirkenden
Willens der Tiere" u. s. w. Aber meine Schlußfolgerungen sind von den seinigen


Buckle und Varwin

(erfunden hat er sie bekanntlich nicht). Er selbst hat über den Entwicklungs¬
gang, dnrch den er ganz absichtslos und sogar ahnungslos in seine Theorie
hineingeführt wurde, in seinen Büchern und Briefen muss genaueste berichtet.

Als er seine Forschungsreise auf dem Beagle (27. Dezember 1831 bis
2. Oktober 1836) antrat, war er noch vollkommen bibelglänbig. Die Offiziere
des Schiffes, obwohl selbst orthodox, lachten manchmal herzlich über die Zu¬
versichtlichkeit, mit der er die Bibel als unanfechtbare Autorität zu Beweis¬
führungen verwendete. In Südamerika zuerst und auf den fünfhundert englische
Meilen westlich davon gelegenen Galapagosinseln wurde er an der UnVer¬
änderlichkeit der Arten irre, nicht etwa um der Religion, an die er bei der Sache
gar nicht dachte. Auf den genannten Inseln sah er sich von eigentümlichen
Pflanzen- und Tiergestalten umgeben, wie sie nirgend sonst in der Welt vor¬
kommen. „Doch trugen sie fast alle ein amerikanisches Gepräge an sich. Im
Gesänge der Spottdrossel, in dem scharfen Schrei des Aasgeiers, in den großen
leuchterähnlichen Opuntien bemerkte ich deutlich die Nachbarschaft Amerikas.
Noch überraschender war die Thatsache, daß die meisten Bewohner jeder einzelnen
Insel dieses kleinen Archipels spezifisch verschieden von denen aller andern, aber
trotzdem nahe verwandt unter einander waren. Ich fragte mich, wie diese
eigentümlichen Tiere und Pflanzen Wohl entstanden seien. Die einfachste Ant¬
wort schien zu sein, daß die Bewohner der verschiednen Inseln von einander
und alle zusammen von Einwanderern aus Amerika abstammten, und daß sie
in langen Geschlechtsfolgen Veränderungen erlitten hätten, die jene Verschieden¬
heit bei Übereinstimmung der Grundformen bewirkten. Wodurch diese Ver¬
änderungen herbeigeführt worden seien, das wäre mir noch lange unerklärlich
geblieben, Hütte ich nicht die Züchtuugsergebuisfe an den Haustieren studirt
und mir auf diese Weise eine richtige Vorstellung von den Wirkungen der
Zuchtwahl gebildet. Nachdem ich mir dann diese Idee schon fest angeeignet
hatte, erkannte ich beim Lesen vou Malthusens Werk über die Bevölkerung, daß
natürliche Zuchtwahl das unvermeidliche Ergebnis der raschen Zunahme aller
organischen Wesen war; denn den Kampf ums Dasein in seiner Bedeutung zu
würdigen, war ich durch langes Studium genügend vorbereitet." Außerdem
hatte er in Amerika fleißig Fossilien ausgegraben und sich überzeugt, daß auch
diese einen spezifisch amerikanischen Charakter tragen, wonach also die Folgerung
nahe lag, daß die jetzt dort lebenden Tiere von den dortigen vorweltlichen
abstammen (Das Variiren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Dome¬
stikation S. 10 bis 11). Über die Kühnheit seines Gedankengnuges erschrak er
selbst. „Ich bin beinahe überzeugt," schrieb er am 11. Januar 1844 an Hooker,
,,daß die Arten — mir ist, als gestünde ich einen Mord ein — nicht unver¬
änderlich sind. Der Himmel bewahre mich vor dem Lamarckschen Unsinn einer
»Neigung zum-Fortschritt,« der »Anpassungen infolge des langsam wirkenden
Willens der Tiere« u. s. w. Aber meine Schlußfolgerungen sind von den seinigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/516>, abgerufen am 28.06.2024.