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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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das doppelte Unglücks daß ein Amtsgenosse von ihn> in einem unvergeßlichen
Augenblicke sich eine wegen ihrer mierhörten Leichtfertigkeit unvergeßliche Redensart
entschlüpfen ließ, und daß irgend ein Mißgeschick ihn vor der Welt für ewige
Zeit zum Vater dieser großthuerischen Abgeschmacktheit machte, würde der Name
Emile Ollivier zwar in den Registern der französischen Minister stehen, aber
schwerlich auf den Blättern der Weltgeschichte.

Vergegenwärtigen wir uns, wie geringfügig der Einfluß des ehemaligen
Ministers und sein Anteil an der Beschleunigung des Zusammenstoßes vom
Sommer 1870 und wie beträchtlich dagegen der seines kaiserlichen Herrn und
(Gebieters war, so gereicht es ihm unzweifelhaft zur Ehre, wenn er jetzt, wo er
als Schriftsteller auftritt, sich bemüht, die Schuld Napoleons möglichst abzu¬
schwächen. Selbstverständlich sind wir nichts weniger als geneigt, die Ent-
schnldigungsversuche Olliviers alle widerspruchslos gelten zu lassen, ja manche
davon stimmen uns geradezu heiter; z. V. wenn behauptet wird, Napoleon
"habe seit 1"t>6 allerhand Beleidigungen hinuntergeschluckt, um den Krieg mit
Preuße" zu vermeiden." Wir können nus dem gegenüber getrost aus die
öffentliche Meinung Europas mit Einschluß der ehrlichen Franzosen berufen
und fragen: weiß jemand auch nur eine" einzigen Fall preußischer Dreistigkeit
und napoleonischer Langmut als Beleg für diese Behauptung des Verfassers
anzuführen? Freilich wenn das bloße Entstehen und Fortbestehen eines nord¬
deutschen Bnndesstnates unter preußischer Oberleitung, der die Wahrscheinlich
keit einer ähnlichen allgemein deutschen Vereinigung in sich barg, eine Belei¬
digung Frankreichs oder seines Beherrschers bedeutete, wie die Unverschämt¬
heit der "Mameluken" des Kaisers und andrer französischen Chauvinisten be¬
hauptete, daun müssen wir zugeben, daß König Wilhelm und Graf Bismarck
für ein solches Beispiel von Dreistigkeit verantwortlich zu machen waren. Und
anderseits unterlag es keinem Zweifel, daß, wenn die ungeheuerliche Phrase
"Rache für Sadvwa" mir den gerechten Groll einer zum Herrschen und Richten
über Europa berufene" Nation über das ungebührliche Benehmen eines Nach¬
bars ausdrückte, wir in der That den Kaiser Napoleon als den duldsamsten
aller Monarchen zu betrachten und zu preisen haben, wenn er vier lange Jahre
hindurch seinen eignen Ingrimm im Zaume hielt und zu gleicher Zeit den
Ausbruch der von Natur rachsüchtige" und eifersüchtigen Gefühlsweise der
Franzosen verhütete. Doch müssen wir, wenn Herr Ollivier erwartet, daß
wir und andre, denen er sein Werk vorlegt, die "wohlberechtigten Empfindlich¬
keiten Frankreichs" in diesem Lichte ansehen, wenn er voraussetzt, daß wir der
sonderbaren Meinung beistimmen, Preußen habe durch Besiegung Österreichs
und Beseitigung seiner Hegemonie über die deutschen Mittel- und Klein¬
staaten Frankreich beleidigt und geschädigt, doch die Bitte an ihn richten, ein
wenig ausführlicher zu sei" und Beweise zu liefern statt nur Behauptungen
vorzubringen. Doch ist das am Ende nicht unbedingt erforderlich, dn er die


Zur Vorgeschichte dos Krieges van ^K?0

das doppelte Unglücks daß ein Amtsgenosse von ihn> in einem unvergeßlichen
Augenblicke sich eine wegen ihrer mierhörten Leichtfertigkeit unvergeßliche Redensart
entschlüpfen ließ, und daß irgend ein Mißgeschick ihn vor der Welt für ewige
Zeit zum Vater dieser großthuerischen Abgeschmacktheit machte, würde der Name
Emile Ollivier zwar in den Registern der französischen Minister stehen, aber
schwerlich auf den Blättern der Weltgeschichte.

Vergegenwärtigen wir uns, wie geringfügig der Einfluß des ehemaligen
Ministers und sein Anteil an der Beschleunigung des Zusammenstoßes vom
Sommer 1870 und wie beträchtlich dagegen der seines kaiserlichen Herrn und
(Gebieters war, so gereicht es ihm unzweifelhaft zur Ehre, wenn er jetzt, wo er
als Schriftsteller auftritt, sich bemüht, die Schuld Napoleons möglichst abzu¬
schwächen. Selbstverständlich sind wir nichts weniger als geneigt, die Ent-
schnldigungsversuche Olliviers alle widerspruchslos gelten zu lassen, ja manche
davon stimmen uns geradezu heiter; z. V. wenn behauptet wird, Napoleon
„habe seit 1«t>6 allerhand Beleidigungen hinuntergeschluckt, um den Krieg mit
Preuße» zu vermeiden." Wir können nus dem gegenüber getrost aus die
öffentliche Meinung Europas mit Einschluß der ehrlichen Franzosen berufen
und fragen: weiß jemand auch nur eine» einzigen Fall preußischer Dreistigkeit
und napoleonischer Langmut als Beleg für diese Behauptung des Verfassers
anzuführen? Freilich wenn das bloße Entstehen und Fortbestehen eines nord¬
deutschen Bnndesstnates unter preußischer Oberleitung, der die Wahrscheinlich
keit einer ähnlichen allgemein deutschen Vereinigung in sich barg, eine Belei¬
digung Frankreichs oder seines Beherrschers bedeutete, wie die Unverschämt¬
heit der „Mameluken" des Kaisers und andrer französischen Chauvinisten be¬
hauptete, daun müssen wir zugeben, daß König Wilhelm und Graf Bismarck
für ein solches Beispiel von Dreistigkeit verantwortlich zu machen waren. Und
anderseits unterlag es keinem Zweifel, daß, wenn die ungeheuerliche Phrase
„Rache für Sadvwa" mir den gerechten Groll einer zum Herrschen und Richten
über Europa berufene» Nation über das ungebührliche Benehmen eines Nach¬
bars ausdrückte, wir in der That den Kaiser Napoleon als den duldsamsten
aller Monarchen zu betrachten und zu preisen haben, wenn er vier lange Jahre
hindurch seinen eignen Ingrimm im Zaume hielt und zu gleicher Zeit den
Ausbruch der von Natur rachsüchtige» und eifersüchtigen Gefühlsweise der
Franzosen verhütete. Doch müssen wir, wenn Herr Ollivier erwartet, daß
wir und andre, denen er sein Werk vorlegt, die „wohlberechtigten Empfindlich¬
keiten Frankreichs" in diesem Lichte ansehen, wenn er voraussetzt, daß wir der
sonderbaren Meinung beistimmen, Preußen habe durch Besiegung Österreichs
und Beseitigung seiner Hegemonie über die deutschen Mittel- und Klein¬
staaten Frankreich beleidigt und geschädigt, doch die Bitte an ihn richten, ein
wenig ausführlicher zu sei» und Beweise zu liefern statt nur Behauptungen
vorzubringen. Doch ist das am Ende nicht unbedingt erforderlich, dn er die


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[0512] Zur Vorgeschichte dos Krieges van ^K?0 das doppelte Unglücks daß ein Amtsgenosse von ihn> in einem unvergeßlichen Augenblicke sich eine wegen ihrer mierhörten Leichtfertigkeit unvergeßliche Redensart entschlüpfen ließ, und daß irgend ein Mißgeschick ihn vor der Welt für ewige Zeit zum Vater dieser großthuerischen Abgeschmacktheit machte, würde der Name Emile Ollivier zwar in den Registern der französischen Minister stehen, aber schwerlich auf den Blättern der Weltgeschichte. Vergegenwärtigen wir uns, wie geringfügig der Einfluß des ehemaligen Ministers und sein Anteil an der Beschleunigung des Zusammenstoßes vom Sommer 1870 und wie beträchtlich dagegen der seines kaiserlichen Herrn und (Gebieters war, so gereicht es ihm unzweifelhaft zur Ehre, wenn er jetzt, wo er als Schriftsteller auftritt, sich bemüht, die Schuld Napoleons möglichst abzu¬ schwächen. Selbstverständlich sind wir nichts weniger als geneigt, die Ent- schnldigungsversuche Olliviers alle widerspruchslos gelten zu lassen, ja manche davon stimmen uns geradezu heiter; z. V. wenn behauptet wird, Napoleon „habe seit 1«t>6 allerhand Beleidigungen hinuntergeschluckt, um den Krieg mit Preuße» zu vermeiden." Wir können nus dem gegenüber getrost aus die öffentliche Meinung Europas mit Einschluß der ehrlichen Franzosen berufen und fragen: weiß jemand auch nur eine» einzigen Fall preußischer Dreistigkeit und napoleonischer Langmut als Beleg für diese Behauptung des Verfassers anzuführen? Freilich wenn das bloße Entstehen und Fortbestehen eines nord¬ deutschen Bnndesstnates unter preußischer Oberleitung, der die Wahrscheinlich keit einer ähnlichen allgemein deutschen Vereinigung in sich barg, eine Belei¬ digung Frankreichs oder seines Beherrschers bedeutete, wie die Unverschämt¬ heit der „Mameluken" des Kaisers und andrer französischen Chauvinisten be¬ hauptete, daun müssen wir zugeben, daß König Wilhelm und Graf Bismarck für ein solches Beispiel von Dreistigkeit verantwortlich zu machen waren. Und anderseits unterlag es keinem Zweifel, daß, wenn die ungeheuerliche Phrase „Rache für Sadvwa" mir den gerechten Groll einer zum Herrschen und Richten über Europa berufene» Nation über das ungebührliche Benehmen eines Nach¬ bars ausdrückte, wir in der That den Kaiser Napoleon als den duldsamsten aller Monarchen zu betrachten und zu preisen haben, wenn er vier lange Jahre hindurch seinen eignen Ingrimm im Zaume hielt und zu gleicher Zeit den Ausbruch der von Natur rachsüchtige» und eifersüchtigen Gefühlsweise der Franzosen verhütete. Doch müssen wir, wenn Herr Ollivier erwartet, daß wir und andre, denen er sein Werk vorlegt, die „wohlberechtigten Empfindlich¬ keiten Frankreichs" in diesem Lichte ansehen, wenn er voraussetzt, daß wir der sonderbaren Meinung beistimmen, Preußen habe durch Besiegung Österreichs und Beseitigung seiner Hegemonie über die deutschen Mittel- und Klein¬ staaten Frankreich beleidigt und geschädigt, doch die Bitte an ihn richten, ein wenig ausführlicher zu sei» und Beweise zu liefern statt nur Behauptungen vorzubringen. Doch ist das am Ende nicht unbedingt erforderlich, dn er die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/512>, abgerufen am 30.06.2024.